Tagungsbericht

"Nur wer arbeitet, soll auch essen." Zur Kultur- und Sozialgeschichte der Arbeitslosigkeit

| vom 23.06.2017 | bis zum 24.06.2017 | AK Kritische Geschichte, Projekt des AStA Bamberg e.V.

Simon Dudek

Flyer zum Symposium

In der Geschichtsschreibung bedarf es besonderer Anstrengung, um bestimmte historische Dimensionen, etwa der Alltagsgeschichte, zu erschließen, die aufgrund der Quellenlage nicht leicht zugänglich sind. Der bisher ungeschriebenen Kultur- und Sozialgeschichte der Arbeitslosigkeit widmete sich am 23. und 24.06.2017 ein Symposium an der Universität Bamberg. Unter dem bis in die Gegenwart oft aufgegriffenem paulinischen Motto „Nur wer arbeitet, soll auch essen“ stellte sich die Veranstaltung die Historisierung des politischen Umgangs sowie der milieuspezifischen Deutung Arbeitsloser und der Arbeitslosigkeit zum Ziel. Darüber hinaus sollte die Kultur der Arbeitslosigkeit eng mit der Geschichte politischer Ökonomie verbunden werden, um einen Beitrag zu heutigen Debatten zu liefern und der Geschichtswissenschaft ein neues Feld zu erschließen. Der Tagungsbericht von Simon Dudek bezeichnet dies als Desiderat und hebt besonders die gelungene Integration von akademischen und politischen Aspekten bei der Veranstaltung hervor, die mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg- und der Petra-Kelly-Stiftung vom AK Kritische Geschichte des AStA Bamberg e.V. organisiert wurde.

„Es liegt in der Natur des Kapitals, einen Teil der Arbeiterbevölkerung zu überarbeiten und einen anderen zu verarmen.“ – Die Evidenz der Marxschen Analyse kapitalistischer Akkumulation zeigte sich auf der Tagung zur Kultur- und Sozialgeschichte der Arbeitslosigkeit schon beim ersten Blick auf das epochenübergreifende Vortragsprogramm. Der historischen Ubiquität des sozialen Verhältnisses Arbeitslosigkeit zum Trotz stellt es als Forschungsfeld in den Geschichtswissenschaften ein Desiderat dar, dem anzunehmen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung zur Aufgabe gemacht haben. In seiner Einführung griff MARC MALISCHKE (Bamberg) den provokativen Titel der Tagung „Nur wer Arbeitet, soll auch essen“ auf. Dieser geht auf einen Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher zurück, in dem dieser die Neuchristen zur Arbeitsamkeit ermahnt. Zugleich stellt die Aussage in ihrer Wiederkehr bei Bebel, Hitler und Stalin auch die Persistenz eines Denkens dar, das in verschiedenen ideologischen Gewändern die Arbeit zum Zweck an sich erhebt. Malischke stellte in diesem Zusammenhang die Parallelen zur gegenwärtigen Schuldenkrise in der Eurozone und deren Folgen, grassierender Jugendarbeitslosigkeit und steigender Altersarmut her. Den ausführlichen Tagungsbericht von Simon Dudek finden Sie hier auf H-Soz-Kult.

Konferenzübersicht:

Marc Malischke (Bamberg): Einführung

Marcel Korge (Leipzig): Unterstützung, Reglementierung und Sanktionierung. Die Ausgestaltung des Systems sozialer Sicherung bei „Arbeitslosigkeit“ durch die vormodernen Handwerksorganisationen

Jan Markert (Bamberg): „mußte erst der Souverain verwundet werden ehe solche Maßregeln erreicht werden konnten!“ Kaiser Wilhelm I. und die Soziale Frage im Deutschland des späten 19. Jahrhunderts

Harald Rein (Frankfurt): „…denn das Stempeln is uns lieber, als das Schuften auf der Welt!“ Organisation und Selbstorganisation Erwerbsloser in der Weimarer Republik.

Jule Ehms (Bochum): „Erwerbslose! Auf zur Solidarität!“ Thesen zur gewerkschaftlichen Organisierung von Erwerbslosen in der Freien Arbeiter Union Deutschlands (Anarcho-Syndikalisten).

Nikolas Lelle (Berlin): „Ich könnte nicht ohne Arbeit sein“ Der Nationalsozialismus und sein Hass auf Arbeitslosigkeit und Nicht-Arbeit

Yves Müller (Hamburg): „Menschen ohne Glück, ohne Arbeit und Brot“? zur Inszenierung von Arbeit und Erwerbslosigkeit in der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) 1930-1941 unter männlichkeitenhistorischer Perspektive

Marc Malischke (Bamberg): Arbeitslose in der Wirtschaftswunderökonomie? Erwerbslosigkeit zwischen Ausblendung und Steuerungshybris in der westdeutschen Nachkriegsökonomik und Wirtschaftspolitik 1948-1973

Benjamin Bauer (Bamberg): Arbeitszwang als Instrument der Vergangenheitspolitik? Das ehemalige KZ Dachau im Postfaschismus

Kyra Palberg (Duisburg-Essen): Praktiken des Nichtstuns. Konstruktionen von Arbeitslosen in der Meinungsforschung

Veranstalter:

Kooperationspartner