JHK 2007

Editorial

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 9-10 | Aufbau Verlag

Widerstandsgruppen, Oppositionelle und Dissidenten finden seit 1989/91 verstärkt das Interesse der Kommunismusforschung. Mit dem Schwerpunkt »Widerstand und Opposition gegen kommunistische Regime« greift das Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung dieses Thema auf und nimmt zugleich die kommunistischen Regime Asiens in den Blick. Da die kommunistischen Parteien in China, Vietnam, Laos und anderen asiatischen Staaten bis heute an der Macht sind, ist die aktuelle Geschichtsschreibung dieser Länder von »weißen Flecken« und propagandistischer Schönfärberei geprägt. Felix Wemheuer behandelt ein solches tabuisiertes Thema: den Widerstand der Bauern in China gegen die kommunistische Landwirtschaftspolitik. Er schildert, wie brutal die Führung um Mao gegen die Bauern vorging, aber auch mit welchen Mitteln die Bauern die KPChdazu veranlassten, die radikalen Maßnahmen wegen des wirtschaftlichen Misserfolges  schrittweise zurückzunehmen. Martin Großheim beschreibt zwei Oppositionsströmungen in der kommunistischen Partei der Werktätigen im Nordvietnam der 50er und 60er Jahre. Die Parallelen zu den Prozessen in Ostmitteleuropa nach dem Tod Stalins 1953 sind beachtlich, auch wenn die Impulse für die vietnamesischen Reformversuche nicht von der Sowjetunion, sondern von China ausgingen. Die laotische kommunistische Bewegung war schwach und kam 1975 nur mit Hilfe Vietnams und Kambodschas an die Macht. Volker Grabowsky unternimmt in seinem Aufsatz erstmals den Versuch, diejenigen Gruppen in Laos zu beschreiben, die in der Laotischen Revolutionären Volkspartei gegen die offizielle Linie aufbegehrten oder sich außerhalb der Partei antikommunistisch positionierten. Der Beitrag von Botakoz Kassymbekova über die heutigen Erinnerungen an die Massenunruhen in den sowjetischen zentralasiatischen Städten Čimkent (Kasachstan) und Frunze (Kirgisien) 1967 runden den Blickpunkt Asien ab. 

Ein unbekanntes Widerstandskapitel schlägt auch Olga Velikanova auf. Die Bewegung zur Bildung von Bauern-Gewerkschaften in der Sowjetunion der 20er Jahre hat bislang kaum Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden. Velikanova führt die Analyse der Massenbewegung zur These, dass die 1929 von der KPdSU vom Zaun gebrochene Kollektivierung und »Entkulalakisierung« nicht zuletzt diese Emanzipationsbestrebungen der Bauern brechen sollten. Jean-Jacques Marie hat einen erschütternden Text über das Schicksal der Trotzkisten im Gulag verfasst. Sie opponierten 1937 mit einem zunächst erfolgreichen Hungerstreik gegen ihre Lagerhaft. Doch ihr Erfolg währte nur kurz: Das NKVD ermordete sie und ihre Familien während des »Großen Terrors« 1938.

Einen weiteren Schwerpunkt des JHK 2007 bilden Kontext und Rezeption der der Oktoberrevolution. Anlass dafür ist ihr 90. Jahrestag. Alexander Vatlin zeichnet erstmals detailliert den außenpolitischen Strategiewechsel der Bolschewiki im Oktober 1918 nach. Dabei führt er zugleich den Nachweis, dass die sowjetischen Herausgeber der Lenin-Werke die Aussagen des marxistisch-leninistischen Klassikers in ihrem Sinne verfälschten. Gerrit Voermanschildert den Kampf zwischen den niederländischen und deutschen Kommunisten um die Vorherrschaft in  der kommunistischen Bewegung Westeuropas 1919/20; Hermann Weber unterzieht seine Thesen zur Stalinisierung der KPD in der Weimarer Republik im Lichte der neueren Veröffentlichungen und der seit 1989 zugänglichen Archivmaterialien einer Überprüfung. 

Die Rubriken »Abhandlungen«, »Dokumentation« und »Sammelrezensionen« bieten wie in jeder Ausgabe Raum für die aktuellen Ergebnisse der Kommunismusforschung. Hervorzuheben ist dabei das Interview, das Manfred Wilke mit dem ehemaligen Dresdener Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer zur gescheiterten Reform der SED 1989/90 geführt hat. Das JHK enthält zudem den International Newsletter of Communist Studies XIII (2007), no 20, der von Bernhard H. Bayerlein herausgegeben und redaktionell betreut wird.

Unser herzlicher Dank gilt der Herman-Weber-Stiftung in Mannheim sowie der Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung in Berlin für die erneute finanzielle Förderung des Jahrbuchs.

Im Jahrbuch haben einige personelle Veränderungen stattgefunden. Jan Foitzik, der dem Herausgeberkreis seit der JHK-Gründung 1993 angehörte, ist aufgrund zahlreicher Verpflichtungen im Sommer 2006 aus diesem Kreis ausgeschieden. Wir bedanken uns sehr herzlich für die langjährige produktive Zusammenarbeit und hoffen weiterhin auf Jan Foitziks Expertise und Rat.

Ebenfalls gilt der Dank der Herausgeber den bisherigen Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirates, die mit dieser Ausgabe von ihrer Funktion entlastet worden sind. Herzlich willkommen werden die neuen Beiratsmitglieder geheißen, die fortan den Herausgeberkreis zu den Tendenzen der Kommunismusforschung in ihrem jeweiligen Land bzw. ihrer (Sprach-)Region beraten werden. Die Herausgeber freuen sich sehr, so namhafte Forscher für das Jahrbuch gewonnen zu haben und möchten zusammen mit ihnen den eingeschlagenen Weg der Internationalisierung der Themen und Autoren des Jahrbuchs fortsetzen. 

 

Berlin, 29. Januar 2007                                                                 Die Herausgeber

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