JHK 1993

Berta Zimmermann - eine Schweizer Kommunistin im Geheimapparat der Komintern

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 261-275

Autor/in: Peter Huber (Genf)

Die Kaderakte der Schweizerin Berta Zimmermann ist in mehrerer Hinsicht aufschlussreich. Die Dokumente geben einen Einblick in die Mechanismen, denen der alte Mitarbeiterstab der \"Otdel meschdunarodnych swasjej\" (OMS, Abteilung für internationale Verbindungen) zum Opfer fiel. Es finden sich Hinweise auf die personelle Besetzung der OMS-Zentrale sowie deren Stützpunkt \"Nr. 20\" in Paris. Erstmals werden Umrisse sichtbar, die im Frühjahr 1936 zur Liquidierung der OMS und deren Umwandlung in \"S.S.\" (Nachrichtendienst) führten. Als Leiter der neuen Organisation zeichnete ein \"Müller\", der bereits im Frühjahr 1937 dem NKWD-Kader Moskwin Platz machen musste.!Die beiden Schweizer Kommunistinnen Berta Zimmermann und Lydia Dübi, letztere Direktorin der OMS in Paris,2 wurden im Sommer 1937 verhaftet und Ende des Jahres erschossen. Beide hatten ihren Aufstieg im Apparat der Komintern im Jahre 1924 in der \"Abteilung für Information und Statistik\" begonnen. Dieser Abteilung stand damals der Basler Edgar Woog vor. Er zog bewusst Leute aus der Schweiz nach, verfügte doch die KP Schweiz (KPS) angesichts der wenig versprechenden Aussichten in der Schweiz über viele gutqualifizierte Genossinnen und Genossen, die im Kominternapparat gebraucht werden konnten.3 Zimmermann und Dübi wechselten zu Beginn der dreissiger Jahre in die \"Abteilung für internationale Verbindungen\" (OMS) und erklommen Posten, die höchste Verschwiegenheit abverlangten. Der konspirative Charakter dieser Arbeit und\"S.S.\" steht für \"sluschby swjasi\", was wir mit \"Nachrichtendienst\" übersetzen. Vgl. das Formular \"Fragebogen\", ausgefüllt von B. Zimmermann am 21.11.1936, mit dem Vermerk \"S.S.\", in: Kaderakte B. Zimmermann, RZA-Komintern. Der erste \"S.S.\"-Leiter Müller ist nicht zu verwechseln mit Georg Brückmann (Deckname \"A. Müller\"), dem KPD-Kaderleiter in Moskau. Eine ausführliche Darstellung erscheint im Herbst l993 in: Huber, Peter: Schweizer Kommunisten in Moskau zur Zeit der Terrors: ein erster Einblick in das Repressionsgefüge der Kominternzentrale. Zürich 1993. 2 Lydia Dübi ( 1901-1937) folgte 1924 dem Ruf nach Moskau und arbeitete Ende der zwanziger Jahre als stellvertretende Leiterin der Archive des EKKI. Ihr Vorgesetzter war der Ukrainer Boris Reinstein (1866-1947). 1930 besuchte sie eine der Spezialschulen in Moskau. Zwischen 1932 und 1937 leitete sie unter dem Decknamen \"Paskal\" den OMS-Stützpunkt in Paris. Vgl. \"Bescheinigung\", unterzeichnet Sisman, 15.6.1939, in: Kaderakte L. Dübi, RZA-Komintern. 3 E. Woog (1898-1973) arbeitete seit l 9 l 9 für die Komintern in Mexiko. Über seine spätere Tätigkeit schrieb er in einem Lebenslauf zu Händen der Komintern: \"Auf Vorschlag der Delegierten aus Lateinamerika zum IV. Kongress der Komintern wurde ich in die Exekutive der Komintern gewählt. Leitete im Apparat des EKKI die Informationsabteilung, Bibliothek und Archiv. 1923 EKKI-Vertreter auf dem Parteitag der KP Hollands. V. Weltkongress Mitglied der IKK. 1927 zum Parteitag nach Mexiko delegiert. 1928 in Berlin Sekretär des WEB der Komintern. Nach dem VI. Weltkongress auf Anforderung der KP Mexiko ging ich nach Mexiko. Ende l929 im romanischen Ländersekretariat der Komintern. 1930 als Instruktor nach Spanien. Im Juni l 931 wurde ich in Spanien verhaftet und nach fünfwöchiger Haft aus Spanien ausgewiesen. Seither arbeitete ich als Referent im romanischen Ländersekretariat und in der Orgabteilung. Nach dem VII. Weltkongress bat ich um die Möglichkeit nach der Schweiz zurückzukehren. Dezember 1935 kehrte ich in die Schweiz zurück und arbeitete im Sekretariat der Partei.\" Vgl.: \"Autobiographie, unterzeichnet \'Alfred Stirner\' (Deckname von Woog)\", 26. l l.1936, in: Kaderakte Woog, RZA-Komintern. 262 JHK 1993Biographische Skizzen/Zeitzeugenberichtederen internationale Verzweigungen bargen in sich gleichzeitig die Voraussetzungen für den Sturz. Als zur Zeit der Schauprozesse \"Verbindungen\" zum Ausland ruchbar wurden, musste ein ganzer Zweig der Komintern in Ungnade fallen.Die Zürcherin Berta Zimmermann reiste im März 1924 mit einem Trupp schweizerischer Auswanderer nach Nowa Lawa im Gouvernement Simbirsk, wo einige Dutzend Schweizer unter Anleitung des ehemaligen KPS-Nationalrates Fritz Platten ein Mustergut aufbauten. Die 22jährige Zimmermann bekam auf der landwirtschaftlichen Genossenschaft \"Solidarität\" eine Arbeit zugewiesen, die ihrer Ausbildung in der Schweiz entsprach. Sie wirkte als Buchhalterin für die Kommune und nebenbei als Lehrerin für die Kinder.4 Über ihre Herkunft musste sie in späteren Jahren der Komintern einige Auskünfte geben. Der Vater war von Beruf Gartenbau-Architekt und arbeitete als städtischer Angestellter auf dem Gartenbauamt Zürich. Sie hatte Gelegenheit, eine höhere Handelsschule zu besuchen, die sie 1921 mit dem Diplom abschloss. Bis zur Ausreise in die Sowjetunion arbeitete Berta Zimmermann als \"Sekretärin in einem Advokaturbüro in Zürich\".5 Sie gab freimütig zu, während der Ausbildungszeit \"auf Kosten meines Vaters\" gelebt zu haben. Keinerlei Angaben machte sie zu ihrer Mutter und der parteipolitischen Einstellung der Eltern. Als 1937 wegen möglicher \"Verbindungen\" die Familienverhältnisse offengelegt werden mussten, schrieb sie: \"Die zwei Schwestern und ein Bruder (Gymnasiast) leben in der Schweiz und gehören keiner Partei an. Mein älterer Bruder lebt seit 1921 in Spanien. Über ihn weiss ich seit Jahren absolut nichts.\"6Auf dem Mustergut in Nowa Lawa verblieb Berta Zimmermann im Jahre 1924 lediglich zwei Monate. Sie scheint ihre Arbeit auf dem Lande lediglich als Zwischenstation und Sprungbrett für eine passendere Arbeit in Moskau betrachtet zu haben. In diese Richtung deutete auch der Kommunarde Frederik Anneveldt, als er 1925 in einem Bericht nach der Schweiz schrieb, die Büroangestellte, \"das berühmte, abenteuerlustige Fräulein\", habe \"durch die freundlichen Bemühungen des Genossen Platten\" einen ihren Anlagen entsprechenden Wirkungskreis in Moskau gefunden. Anneveldt - von Beruf Setzer - kehrte wenig später ebenfalls dem Landleben den Rücken und sollte im Herbst 1937 in einem Straflager der Region Archangelsk zum Tode verurteilt werden.74 Über hundert Schweizer aus dem Umfeld der KPS waren 1923/1924 nach Nowa Lawa ausgewandert. Vgl. Schneider, Barbara: Schweizer Auswanderer in der Sowjetunion. Die Erlebnisse der Schweizer Kommunarden im revolutionären Russland (1924-1930). Schaffhausen 1985. S. 21-79. Vgl. auch: \"Biographie\", unterzeichnet B. Zimmermann, 27.1.1937, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Kornintern. Fritz Platten (1883-1942), der beim Gründungskongress der Komintern am Präsidiumstisch neben Lenin gesessen hatte, spielte später in der Komintern keine Rolle. Er lebte seit 1924 vorwiegend in Moskau und arbeitete bei der IAH. Zu Beginn der dreissiger Jahre war er Mitarbeiter am \"Internationalen Agrarinstitut\" (MAI) in Moskau und unterrichtete am \"Institut für Fremdsprachen\". 1933 ging er eine dritte Heirat, diesmal mit Berta Zimmermann, ein. 1938 wurde er verhaftet und 1942 im Lager erschossen. Angaben aus: Kaderakte F. Platten, RZA-Kornintern; Dossier F. Platten, KGB-Archiv,Moskau. 5 \"Fragebogen für Mitarbeiter des EKKI\", unterzeichnet B. Zimmermann, 26.9.1930; \"Biographie\", un-terzeichnet B. Zimmermann, 27.1.1937, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Kornintern. 6 \"Biographie\", unterzeichnet B. Zimmermann, 27.1.1937, ebenda. Ihr Vater starb 1924, ihre Mutter1932. Vgl. dazu \"Fragebogen\", unterzeichnet B. Zimmermann, 14.7.1936, ebenda. 7 Zu F. Anneveldt (1883-1937) vgl.: Kaderakte F. Anneveldt, ebenda; Beer-Jergitsch, Lilli: 18 Jahre inder UdSSR. Wien 1978. S. 10 (nicht veröffentlicht, Manuskript hinterlegt in: Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich). Bericht Anneveldt in: \"Schaffhauser Arbeiter-Zeitung\", 27.3.1925. P. Huber: Berta ZimmermannJHK 1993 263Berta Zimmermann traf im Mai 1924 in Moskau ein und erhielt eine Stelle als \"Stenotypistin\" in der von Edgar Woog geleiteten \"Abteilung für Information und Statistik\", die der Organisationsabteilung unterstand. Woog wies die \"Geschäftsabteilung\" der Komintern an, Zimmermann als statistische Mitarbeiterin einzutragen und in \"ein Zimmer im Lux zu überweisen\". Zimmermann war neben Lydia Dübi und Hedwig Dasen - der Lebensgefährtin des Kominternfunktionärs Karl Hofmaier - die dritte Schweizerin, die im Sommer 1924 in Woogs Abteilung Arbeit gefunden hatte. Ihre Bekannntschaft mit Fritz Platten, den sie noch im gleichen Jahr heiratete, dürfte ihr diesen Einstieg in die Komintern erleichtert haben.8 Berta Zimmermann stellte sofort den Antrag auf Aufnahme in die russische Partei. Es handelte sich nicht um den üblichen Antrag auf \"Überführung\", sondern um Aufnahme als Parteikandidatin. Zimmermann gehörte nämlich bisher keiner Partei an, ein Umstand, den sie erklären musste und mit ihrer Arbeit als Korrespondentin in einem Zürcher \"Rechtsbureau\" begründete. Weiter schrieb sie: \"Meine Verhältnisse in der Schweiz verunmöglichten mir den Eintritt in die KPS. Ich habe aber seit deren Gründung mit derselben sympathisiert und ihre Tätigkeit mit regem Interesse verfolgt. Nun wünsche ich, in die Reihen der K.P.R. einzutreten, und ich bin bereit, mich allen Pflichten und Anforderungen freudig zu unterziehen. In der Beilage finden Sie ein Empfehlungsschreiben von Genosse Fritz Platten.\" Platten unterstrich in seiner Referenz ihre langjährigen Sympathien und den verlässlichen Charakter; er schloss sein \"Zeugnis\" mit einer Bemerkung, die bei russischen Parteiorganen Zweifel auslösen konnten: \"Ich fühle mich jedoch verpflichtet zu sagen, dass ihr Streben in die Partei zu gelangen auf gefühlsmässiger Einstellung und nicht auf praktischer und theoretischer Durchdringung unserer Bewegung und Weltanschauung basiert.\"9 Dieser offene, von Platten vielleicht vorschnell hingeworfene Satz, hat möglicherweise den negativen Bescheid bewirkt. Platten war für seinen spontanen, unkomplizierten Umgang bekannt und dürfte die russische Parteimentalität unterschätzt haben. In diesen Jahren war Plattens Prestige in der Sowjetunion noch ungebrochen. Darum wurde er von vielen Schweizern immer wieder um Empfehlungen angegangen, die verschlossene Türen - so etwa im Falle von Paul Rüegg - einrennen konnten.10 Vielleicht wähnte sich Platten bei8 Briefe Woog (Deckname \"Stirner\"), Moskau 24.. 1924, 3.9.1924; Angabe zur Heirat aus \"Biographie\", unterzeichnet B. Zimmermann, 27.1.1937, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern. Zu H. Dasen (1899-1971 ), die 1927 nach der Verhaftung des Kominternemissärs Karl Hofmaier in Italien in die Schweiz heimkehrte, vgl.: Hofmaier, Karl: Memoiren eines Schweizer Kommunisten 1917-1947. Zürich 1978. Karl Hofmaiers Bruder Emil (1901-1965) arbeitete seit 1928 bei der Profintern in Moskau. Zusammen mit dem Basler Sigi Barnatter ist er einer der wenigen Schweizer Kommunisten, die nie verhaftet wurden und in den sechziger Jahren in Moskau starben. Näheres in: Huber, Schweizer Kommunisten (Kapitel Hofmaier), a.a.O., sowie: 2200 Moskau, 1970/258, Bd. 8, Dossier \"Emil Hofmaier\" (Bundesarchiv Bern). Zu Woog vgl. Anm. 2.9 \"Zeugnis\", unterzeichnet F. Platten, 31.5.1924; \"Gesuch um Aufnahme in die K.P.R\", 21.5.1924, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern.10 Die KPS besass bis Herbst 1935 keinen offiziellen Vertreter beim EKKI. Bei den \"Überführungen\" in die WKP(B) und den \"Empfehlungen\" für Parteimitglieder im Rahmen der periodischen Überprüfungen gingen die Schweizer Kommunisten regelmässig Fritz Platten an. Platten half 1925 dem aus der KPS ausgeschlossenen Paul Rüegg, vor der IKK Recht zu bekommen. Näheres zu P. Rüegg, der 1937 verhaftet werden sollte, und dem KPS-Vertreter Koni Mayer, der zwischen 1935 und 1938 beim EKKI arbeitete, in: Huber Peter/Bayerlein Bernhard: Begegnungen und Erfahrungen von Schweizer Kommunisten mit den totalitären Strukturen während des stalinschen Terrors in der Sowjetunion, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 43, 1993, Heft 1. S. 61-98. 264 JHK 1993Biographische Skizzen/Zeitzeugenberichteder unvorsichtigen Formulierung in der Illusion, sein Wort allein genüge, um einer Parteilosen die Aufnahme in die WKP(B) zu garantieren.Berta Zimmermann sollte bis zu ihrer Verhaftung parteilos bleiben. Dieser sonderbare Umstand ist um so verwunderlicher, als sie ab 1933 innerhalb der Kominternzentrale einen Posten bekleidete, der höchste Verantwortung und Vertrauen voraussetzte, im Falle Berta Zimmermann jedoch keine Parteimitgliedschaft erforderte. Sie stieg 1929 von der Stenotypistin zur Sekretärin im \"Informationsbüro\" auf, einer Stelle innerhalb der \"Organisationsabteilung\", der B.A.Wassiljew vorstand. Für private Auslandsreisen während des Urlaubs nach Zürich hatte sie bis 1930 dreimal anstandslos die Bewilligung erhalten. Lediglich für die erste Reise im August 1924 liegt im Kaderdossier Zimmermann eine Bestätigung vor. Eine Genossin Grollmann von der OMS erlaubte die Ausreise \"nach erfolgter Besprechung mit Gen. Pjatnitzki\". Der Russe Pjatnitzki war seit 1921 Leiter der OMS und zusammen mit Wassiljew die bestimmende Person in der übergeordneten \"Organisationsabteilung\" der Komintern, welche die finanziellen Zuwendungen an die westlichen Parteien festsetzte und zu ihnen die \"Org-Instruktoren\" entsandte.11 Mit dem Aufstieg ins \"Informationsbüro\" im Jahre 1929 befand sich Zimmermann in einem Sektor der Komintern, der höchste Verschwiegenheit verlangte. Sie unterschrieb folgende Erklärung: \"Ich bin mir bewusst, dass die politische Kommission strikte verbietet: 1) in der persönlichen Korrespondenz jegliche politische oder Parteifragen anzuschneiden.\"Im Sommer 1931 trat Zimmermann in den Dienst der OMS, jener Unterabteilung der \"Organisationsabteilung\", deren personelle Zusammensetzung aufgrund der konspirativen Arbeitsweise im Ausland der Forschung am meisten Rätsel aufgibt.12 Berta Zimmermann legte auf speziell vorgedruckten Scheinen vier Empehlungen vor. Ihr ehemaliger Vorgesetzter Woog schilderte sie als \"absolut zuverlässig für jede Art vertraulicher Arbeit\" und \"treu der Sache der Partei und der Soviet-Union ergeben\". Der Deutsche Hans Pfeiffer, ein Kader in der \"Organisationsabteilung\", kannte sie im Jahre 1930 als Mitarbeiterin des \"Informationsbüros\" bei der Organisationsabteilung als eine verschwiegene Genossin. Ihr Mann Fritz Platten, der inzwischen seiner Oppositionshaltung im \"Deutschen Klub\" aus den Jahren 1927/1928 abgeschworen hatte, bezeugte ihre \"Verschwiegenheit und Verlässlichkeit in jeder Hinsicht\"_ 1311 Die Genossin Grollmann war die Frau des \"Org-Instruktors\" Mike Grollmann, der 1929 in der \"deutschen Frage\" auf Abwege kam. Zur Ausreise vgl. den Brief \"An Gen. Grollmann, OMS\", 4.8.1924, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern. Die drei Reisen fanden im August 1924, Juni 1926 und Juli/September 1930 statt (\"Fragebogen für Mitarbeiter des EKKI\", unterzeichnet Zimmermann, 26.9.1930, ebenda).12 \"Erklärung\", unterzeichnet Zimmermann, undatiert, in: ebenda. Diese Erklärung unterschrieb sie möglicherweise erst 1931 beim Eintritt in die OMS, wandte sich doch ihr Vorgesetzter, J. MirowAbramow, bei der definitiven Anstellung an eine \"Politkommission\". Vgl. dazu BrieJ; Abramow an Politkommission, 17.6.1933, ebenda.13 Die vierte Empfehlung stammte von W.A. Wassiljew (1.9.1931); \"Empfehlung\", unterzeichnet Woog (Deckname \"Stirner\"), 21.8.1931; \"Empfehlung\", unterzeichnet H. Pfeiffer, 28.8.1931; \"Empfehlung\", unterzeichnet F. Platten, undatiert, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern. Zu H. Pfeiffer (1895-1968) vgl.: Weber, Hermann: Die Wandlung des deutschen Kommunismus. Die Stalinisierung der KPD in der Weimarer Republik. Bd. 2. Frankfurt/M. 1969. S. 244-245. Pfeiffer nahm 1930 an mehreren Sitzungen der Organisationsabteilung teil. Vgl. dazu sein Referat im Anhang zu: Protokoll vom 17.1.1930, in: Bestand \"Organisationsabteilung\", 495-25-148, RZA-Komintern. Platten gab 1936 seinen \"dunklen Fleck\" aus der Zeit der Fraktionskämpfe freiherzig zu. Er schrieb: \"1927 Solidarisie- P. Huber: Berta ZimmermannJHK 1993 265Die OMS gab sich mit diesen positiven Aussagen nicht zufrieden und beauftragte die OGPU, die Vorläuferin des NKWD, auf Zimmermann ein wachsames Auge zu werfen. Ein gewisser Sirotinski schrieb an einen Genossen Formaister von der Hauptabteilung der OGPU: \"Betreffs der Verwendung zur Arbeit in der OMS bitten wir, die Genossin Berta Zimmermann zu überprüfen.\" Im Anhang erhielt die OGPU ein Foto Zimmermanns und einen von ihr ausgefüllten Fragebogen.Zimmermann gab zu keinen Klagen Anlass. 1933, nach einer zweijährigen Probezeit, gab ihr Vorgesetzter Mirow-Abramow, der bis 1930 von Berlin aus den OMS-Apparat für Europa aufgebaut hatte, einer \"Politkommission\" die Anweisung: \"Ich bitte Sie, die Genossin Zimmermann definitiv als Mitarbeiterin der OMS beim EKKI anzustellen, und zwar in der Eigenschaft als Delegierte.\" 14In ihrem Kaderdossier der Komintern sind drei Auslandsreisen festgehalten, die sie im Frühjahr 1934 mit ihrem Pass auf den Namen Berta Platten untenahm. Den letzten Schritt bei den drei Ausreisegenehmigungen des Jahres 1934 besorgte Sofia Borisowa Briskina, indem sie dem Leiter der Grenztruppen des NKWD, Frinowski, folgendes Anliegen unterbreitete: \"Ich bitte Sie, auf telegraphischem Wege dem Grenzposten Negoreloje mitzuteilen, die Schweizer Bürgerin Berta Platten ohne jegliche Kontrolle durchzulassen. Sie reist am 4. April 1934.\" 15M. Frinowski hielt diesen Schlüsselposten für die Ausreise bis ins Jahr 1937 und stieg zudem im Oktober 1936 zum stellvertretenden Volkskommissar des NKWD auf. Im Frühjahr 1938 sollte er dem Terror zum Opfer fallen.16 Der Zweck von Berta Zimmermanns drei Auslandsreisen geht aus den Ausreiseformalitäten nicht hervor. Falls sie inihrer Eigenschaft als Delegierte des OMS reiste, benutzte sie mindestens einen der Aufenthalte auch zur Erledigung privater Angelegenheiten. Hans Roggen vom \"Russlandschweizerbüro\" im \"Eidgenössischen Politischen Departement\" notierte: \"Das Passbüro in St. Gallen teilt mit, dass Frau Berta Platten-Zimmermann im März 1934 persönlich vorsprach und einen Pass No. 112065/1411, ausgestellt von Zürich am 8. Februar 1933, zwecks Verlängerung vorwies. Das Passbüro hat ihn am 12. März 1934 bis zum 12.3.1937 verlängert.\" 17rung mit Sinowjew, Radek usw. (Auftreten im D.K.K.). Februar 1928 Abgabe einer Erklärung. Völlige Lossagung von der Opposition.\" Vgl.: \"Lebenslauf\", 9.2.1936, in: Kaderakte Platten, RZA-Komintern. 14 Brief \"An Politkommission\", unterzeichnet Abramow, 17.6.1933; Brief Sirotinski (ohne Funktionsbezeichnung) an Formaister, 20.8.1931. Vgl. auch Brief Sirotinski \"An die Hauptabteilung der OGPU\", Genossen Formaister, 8.9.1931, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern. Zu J. Mirow-Abramow vgl. Lazitch, Branko (in Zusammenarbeit mit Milorad M. Drachkovitch): Biographical Dictionary of the Comintern. Neuausg., Stanford 1986. S. 319. 15 Anweisung an Frinowski, 7.4.1934; vgl. auch die Anweisungen vom 26.2.1934 und 21.3.1934, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern. Briskina gab ähnlich lautende Anweisungen an Frinowski 1935 auch zur Ausreise der beiden Schweizer Marino Bodenmann und Jules Humbert-Droz. Vgl. dazu: Kaderakte Bodenmann, Humbert-Droz. Zur Registrierung der Ehe in der Schweiz vgl.: Brief \"Eidgenössisches Politisches Departement\" an Staatskanzlei Zürich, 2.3.1931, in: Bestand \"Russlandschweizerbüro\", Bd. 112, Dossier \"Platten\", Bundesarchiv Bern. 16 Zur Verhaftung von Frinowski vgl.: Conquest, Robert: The Great Terror. A Reassment. New York, Oxford 1990. S. 432,441. 17 \"Nachtrag\", unterzeichnet H. Roggen, 23.6.1939, in: Bestand \"Russlandschweizerbüro\", Bd. 112, Dossier \"Platten\", Bundesarchiv Bern. Die Schweiz und die Sowjetunion unterhielten in der Zwischenkriegszeit keine diplomatischen Beziehungen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Siegermacht Sowjetunion zu neuer Geltung kam, konnte sich die Schweizer Diplomatie zur Anerkennung durchrin- 266 JHK 1993Biographische Skizzen/ZeitzeugenberichteFür die einsetzenden Säuberungen im Apparat der OMS finden sich auch im Kaderdossier Zimmermann Hinweise. Die Unterschrift von Zimmermanns Vorgesetztem Mirow-Abramow zur Auszahlung von Sonderzulagen fehlt seit Frühjahr 1935. Zusammen mit Pjatnitzki hatte er seit 1921 den Aufbau des konspirativen Apparates der OMS im Westen an die Hand genommen und galt als bester Kenner des Netzes, das die kommunistischen Parteien mit der Kominternzentrale in Moskau verband. Diesem Schlüsselposten im Verbindungssystem zu den ausländischen kommunistischen Parteien kam zur Zeit der Schauprozesse eine zentrale Bedeutung zu. Der Verdacht, mit ehemaligen und potentiellen Opponenten im Westen über eigenständige Kanäle Kontakte zu pflegen, traf nicht nur Exponenten des OMS wie Mirow-Abramow, sondern alle Mitarbeiter.Noch im Herbst 1935 hatte Mirow-Abramow den Schweizer Sigi Barnatter in der \"Chiffrierabteilung\" eingestellt. Ab 1936 zeichnete jedoch ein Genosse Müller als Verantwortlicher der OMS, die zur gleichen Zeit reorganisiert wurde und die Bezeichnung \"Nachrichtendienst\" (\"S.S.\") erhielt.18 Der erste \"S.S.\"-Leiter Müller amtierte vom Februar 1936 bis April 1937 und stellte als neuen Mitarbeiter u.a. P. Stutschewski ein, der im Fall Zimmermann eine unrühmliche Rolle spielen sollte; vor seiner Berufung in die Zentrale der \"S.S.\" soll Müller in Harbin für die OMS oder die GRU und später in Moskau für die GRU gearbeitet haben. In der \"S.S.\" hatte er als Sekretärin F.E. Jaschenko, die später gegen Berta Zimmermann aussagen sollte.19 Der Wechsel von OMS zu \"S.S\" schlug sich auch in neuen Formularen nieder, welche die Kominternmitarbeiter beim Gesuch um Verlängerung des Aufenthaltes einreichen mussten. Dieser Bogen der \"S.S.\" umfasste zehn Fragen. Am untern Rand stand geschrieben: \"Der Fragebogen muss vom verantwortlichen Mitarbeiter der Kaderabteilung oder der Geheimabteilung ausgefüllt werden. Punkt 7 wird von der S.S. ausgefüllt.\"Die unseres Wissens erstmalige Erwähnung einer \"Geheimabteilung\" gibt Rätsel auf. Handelte es sich um eine neugeschaffene Stelle in der \"S.S.\", die für deren Mitarbeiter ähnliche Funktionen wahrnahm wie die Kaderabteilung für den gesamten Kominternmitarbeiterstab?20 Ein Dokument aus dem Kaderdossier des Holländers Wim Rutgers, eines Mitglieds der KPS in Moskau, belegt, dass zu dieser Zeit in vielen sowjetischen Betrieben ein \"Geheimsektor\" bestand. So schrieb der Leiter des \"Geheimsektors\" des Betriebs \"Molotow\", ein Genosse Adrianow, an die Kaderabteilung der Komintern: \"Der Geheimsektor des Betriebs Molotow braucht dringend eine Charakteristik über Rutgersgen. Die in Moskau lebenden Schweizer konnten ihre Pässe in der Zwischenkriegszeit über den IKRKDelegierten W. Wehrlin verlängern lassen. Vgl. dazu: Huber, Schweizer Kommunisten, a.a.O., Kapitel \"IKRK-Delegation Moskau\". Warum B. Zimmermann diesen Weg nicht eingeschlagen hat, ist unerklärlich. Laut Aussagen einer ihrer Schwestern kam Berta Zimmermann 1934 zweimal in die Schweiz, da ihre Mutter im Sterben lag. Vgl. dazu: Brief Frau Zeller-Zimmermann an Gesandtschaft Moskau, Zürich 20.5.1956, in: 2001 (E) 1970/217, Bd. 127, Dossier \"F. Platten\", Bundesarchiv Bern. 18 Pjatnitzki und Mirow-Abramow wurden 1937 verhaftet. Brief Mirow-Abramow an \"Buchhaltungsstelle\", 9.1.1935, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern. Dieser Müller, der Nachfolger von Mirow-Abramow, ist nicht identisch mit G. Brückmann (Deckname \"A. Müller\") von der deutschen Kaderabteilung. 19 Vgl. dazu: Brief Sorkin an Poljatschek (NKWD), 29.5.1937; Brief \"An die Parteikommission des EKKI\", unterzeichnet von P. Stutschewski, 23.6.1937; \"Erklärung\", unterzeichnet Jaschenko, 25.6. 1937, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern. 20 Vgl. \"Fragebogen\", 21.11.1936, ebenda. Sechs Monate später musste Zimmermann erneut eine Verlängerung einreichen. Vgl. \"Fragebogen\", 29.5.1937, ebenda. P. Huber: Berta ZimmermannJHK 1993 267und - falls vorhanden - kompromittierende Unterlagen über ihn.\"21 Auf die Existenzeiner geheimen Stelle in der \"S.S.\" oder in der Komintern, welche die Mitarbeiter überwachte, weist auch der Bericht eines gewissen Sysman hin. Sysman überprüfte 1936 den OMS/\"S.S.\"-Mitarbeiter Sigi Barnatter und kam mit dem neuen \"S.S.\"-Leiter Müller zum Schluss: \" Müller und ich haben den Eindruck, dass der Zusammenbruch unseres Chiffrierwesens in einem bestimmten Zusammenhang mit Barnatter steht. Man hat jedoch noch keinen Durchblick, der Barnatter belasten könnte. Eine Prüfung ist notwendig. Einen Fragebogen über Barnatter hat es in der Spezialabteilung.\"22 Vielleicht handelt es sich bei den drei erwähnten Beispielen (\"Geheimabteilung\", \"Geheimsektor\", \"Spezialabteilung\") um einen ersten Beleg aus dem Kominternarchiv für die vom dänischen Historiker Niels E. Rosenfeldt seit langem an Hand von Indizien umschriebene \"Spezialabteilung\", die von der WKP(B) aus auch in der OMS und der gesamten Kominternzentrale in Moskau Fuss fassen konnte.23Im Dezember 1936 folgte Berta Zimmermann dem allgemeinen Trend und reichte das Gesuch um die sowjetische Staatsbürgerschaft ein. Ihr neuer Vorgesetzter Müller unterstützte das Begehren und sandte es - zusammen mit dem Schweizer Pass - an einen Genossen namens Fokin. Die Behandlung dieser Anträge dauerte in der Regel zwischen sechs Monaten und einem Jahr. Ende Mai 1937 musste Zimmermann ein neues Gesuch um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung eingeben, weil der Sowjetpass auf sich warten liess.24Da Berta Zimmermann weiterhin parteilos war, finden sich in ihrem Kaderdossier keinerlei \"Erklärungen\", wie sie WKP(B)-Mitglieder zur Verteidigung an oder nach denParteiversammlungen abzugeben hatten. In diesen Versammlungen der verschiedenen Parteikollektive des Kominternapparates überprüften sich die Mitglieder gegenseitig auf politische Schwankungen und probten Wachsamkeit. Dieser Praxis mussten sich alle Parteimitglieder erstmals in den Jahren I928/29 unterziehen, als es galt, nach der politischen Niederlage der Parteiopposition die Kominternmitarbeiter auf die neue Linie einzuschwören. Die \"Erklärung\" der Baslerin Lydia Dübi aus dem Jahre 1929 zu Händen des \"Dritten Parteikollektivs\" lässt diese früh eingeübten und akzeptierten Mechanismen klar hervortreten.2521 Brief Adrianow an Kaderabteilung Komintern, 3.11.1938, in: Kaderakte W. Rutgers, ebenda. W. Rutgers, einer der Söhne des Ingenieurs und ehemaligen Kominternmitarbeiters Sebald Rutgers, war mit der Schweizerin Else Fausch verheiratet. Er hatte bis 1931 in Zürich studiert und war dort der KPS beigetreten. Näheres zu seinem Schicksal in der Sowjetunion in Huber, Schweizer Kommunisten, a.a.0., Kapitel \"W. Rutgers\".22 \"Charakteristik\", zitiert in: \"Bescheinigung\", unterzeichnet von Sysman, 26.2.1939, in: Kaderakte S. Barnatter, RZA-Komintern.23 Vgl. Rosenfcldt, Niels Erik: Stalins Secret Chancellery and the Comintern. Evidence About the 0rganizational Patterns. Copenhagen 1991. S. 45-77.24 \"Fragebogen\", unterzeichnet Zimmermann, 29.5.1937; Brief Müller an Fokin (ohne Funktionsbezeichnung), 3.12.1936, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern. Fokin wurde von Müller auch im Januar 1937 ersucht, dem Schweizer \"S.S.\"-Mitarbeiter 0. Stäuble bei der Registrierung im Hotel zu helfen. Vgl. dazu Brief Müller an Fokin, 28.1.1937, in: Kaderakte 0. Stäuble, ebenda.25 \"An das Büro des Dritten Kollektivs der Zelle der KPSU beim EKKI\", unterzeichnet L. Dübi, 4.7.1929, in: Bestand \"Parteikomitee der Parteiorganisation der WKP(B) im EKKI\", 546-129, RZAKomintern. Dübi hatte - wie die beiden Schweizer Fritz Platten und Erwin Schaffner - auf den Versammlungen des \"Deutschen Klubs\" für die Parteiopposition Partei ergriffen; zudem leitete sie die dortige Bibliothek. 1928 war sie in der Thälmann/Wittorf-Affäre auf Kollisionskurs mit der Komintern 268 JHK 1993Biographische Skizzen/ZeitzeugenberichteDas Klima der Angst und gegenseitigen Verdächtigungen wurde 1935 auch vom neuen Kominternführer G. Dimitrow vorangetrieben, der in den Augen vieler bedrohter Kominternmitarbeiter in den folgenden Jahren immer wieder als Retter in letzter Minute erschien. Dimitrow, der Held des Reichstagsbrandprozesses, verlangte auf einer Parteiversammlung der EKKI-Mitarbeiter \"Sondermassnahmen, besondere Arbeitsmethoden, um den Kominternapparat vor dem Eindringen feindlicher Agenten und vor der Gefahr der Doppelzüngelei zu sichern\".26 Die parteilose Berta Zimmermann dürfte aus der Presse, am Arbeitsplatz und auf offenen Parteiversammlungen diese Stimmung und deren Folgen mitbekommen haben. Als \"Aussenstehende\", welche die Kurierabteilung der \"S.S.\" leitete, war sie durch das allen Parteimitgliedern auferlegte Gebot zur Wachsamkeit besonders verwundbar. Im August 1936, am Tage nach der Hinrichtung der 16 Verurteilten im ersten Schauprozess, beschloss die Parteiversammlung der EKKI-Mitarbeiter: \"Jeder Genosse verpflichtet sich, auf seine Umgebung zu achten sowie die Parteiorganisation vor allen Verdächtigungen rechtzeitig zu warnen.\"27Im März 1937 bekam Berta Zimmermann einen Vorgeschmack von dem, was in den kommenden zwei Monaten auf sie zukommen sollte. Ein Kurier der \"S.S.\", der im Sommer 1936 geheime Briefe von Moskau nach Madrid gebracht hatte, machte im März 1937 eine schriftliche \"Mitteilung\", die im Kaderdossier Zimmermann liegt. Die \"Mitteilung\" des englisch sprechenden Kuriers mit den Namen \"Rogers\" und \"Georg\" wurde von einer Frau Hartmann ins Russische übersetzt. Der Kurier bezeugte, dass Berta Zimmermann in der Zentrale der \"S.S.\" im obersten Stockwerk des Kominterngebäudes dabei war, als ihm ein Genosse \"Walter\" im Sommer 1936 einen geheimen Brief zur Überbringung nach Madrid ausgehändigt hatte.28 Sowohl der Absender \"Walter\" als auch der Empfänger in Madrid waren inzwischen in Ungnade gefallen, womit der Bote \"Rogers\" (\"Georg\") und die Zeugin Zimmermann automatisch in Verdacht gerieten. Berta Zimmermann musste eine kurze \"Erklärung\" abgeben: \"Ich erinnere mich, dass Walter bei der Absendung von Georg anwesend war. Doch an eine Übergabe eines Briefes erinnere ich mich nicht, vielleicht habe ich nicht aufgepasst. \"29Wichtiger als eine Klärung dieser diffösen, mehr als ein halbes Jahr zurückliegenden Begebenheit erscheint uns der weitere Weg, den die schriftlichen Stellungnahmen von Zimmermann und des Boten nahmen. Der o.g. Sysman leitete die beiden Aussagen an den Genossen Poljatschek weiter mit der persönlichen Einschätzung: \"Ich glaube, dass beide den Inhalt dieses Briefes kannten und ebenfalls die Person, an die dieser Briefgeraten. Vgl.: Huber/Bayerlein, Begegnungen und Erfahrungen, a.a.O., S. 64-66. Zur Affäre Thälmann/Wittorf vgl.: Weber, Wandlung, a.a.O., Bd. 1, S. 199-223. Vgl. auch die Analyse der Abschwörungsrituale in: Müller, Reinhard: Permanenter Verdacht und \'Zivilhinrichtung\'. Zur Genesis der \'Parteisäuberungen\' in der KPD, in: Kommunisten verfolgen Kommunisten. Stalinistischer Terror und \'Säuberungen\' in den kommunistischen Parteien seit den 30er Jahren. Hrsg. von Hermann Weber und Dietrich Staritz in Verbindung mit Siegfried Babne und Richard Lorenz. Berlin 1993. S. 243-264. 26 Votum von Dimitrow auf Parteiversammlung 20.2.1935, in Bestand 546-1-274, RZA-Komintern. Der russische Historiker F.I. Firsow hatte erstmals Zugang zu diesem Bestand. Vgl.: Firsow, Fridrich: Die Säuberungen im Apparat der Komintern, in: Kommunisten verfolgen Kommunisten, a.a.O., S. 37-51. 27 \"Resolution\", verabschiedet auf Parteiversammlung 26.8.1936, in: Bestand 546-1-340, RZA-Komintern. 28 \"Mitteilung von Rogers\", 27.3.1937, in: Kaderakte Zimmermann, ebenda. 29 \"Erklärung der Genossin Berta\", 4.4.1937, ebenda. P. Huber: Berta ZimmermannJHK 1993 269adressiert war. \"30 Poljatschek gehörte dem NKWD an, trat jedoch im Briefverkehr mit Kominternorganen ohne Funktionsbezeichnung auf. Sysman trug damals auch gegen die beiden Schweizer \"S.S.\"-Mitarbeiter Otto Stäuble und Sigi Barnatter belastendes Material zusammen. Er leistete Vorarbeit und sandte die Hinweise im Falle Zimmermann direkt an Poljatschek, im Falle Stäuble übergab er die Zwischenresultate an Anwelt, den Vorsitzenden der IKK, der sie an Poljatschek weitergab-31 Ausser Anwelt und Sysman betätigte sich auch Alichanow von der Kaderabteilung als Zuträger des NKWD-Mitarbeiters Poljatschek.Ein solcher Informationsfluss von Alichanow zu Poljatschek lässt sich im Falle der Untersuchung gegen die Schweizer Paul Rüegg, Sophie Kirschbaum und Andre Wats beobachten. Während Sysman und - wie wir sehen werden - ein gewisser Sorkin den \"S.S.\"-Sektor der Komintern abdeckten, bediente Alichanow Poljatschek eher mit Material, das bei ihm über Mitarbeiter der übrigen, weniger delikaten Abteilungen der Komintern eingegangen war.32 Als Schlüsselperson, bei der die Fäden der Voruntersuchungen der Abteilungen der Komintern zusammenliefen, entpuppt sich somit Poljatschek. Er gehörte jenem Bereich an, wo sich NKWD und Komintern im Jahre 1937 schnitten und überlagerten. Im Frühjahr 1938 verlieren sich seine Spuren.33Eine zweite \"Erklärung\", die Zimmermann belastete und im Kaderdossier erhalten ist, lief im Mai 1937 ein. Ein Fr.Iw. Milter erachtete es \"für unerlässlich\", mitzuteilen, dass30 Brief Sysman an Poljatschek, 22.4.1937, ebenda.31 Brief Anwelt an Poljatschek, 26.7.1937; \"Bescheinigung\", unterzeichnet Sysman, 26.7.1937, in: Kaderakte 0. Stäuble, ebenda.32 G. Alichanow (1897-1938), der Vater von Jelena Bonner, leitete die Kaderabteilung der Komintern von Januar bis Mai 1937. Er war der Nachfolger von Moises Tschernomordik (1898-1937), der die Abteilung vom Juli bis Dezember 1936 geleitet hatte und dem Terror zum Opfer gefallen war. Vgl.: Kaderakte Tschernomordik, RZA-Komintern. Alichanow war der Partei 1914 beigetreten und hatte lange Jahre in der Organisationsabteilung gearbeitet, aus der 1932 die Kaderabteilung der Komintern hervorging. Zusammen mit F.S. Kotelnikow (1893-?) überprüfte er seit Sommer 1936 den gesamten Mitarbeiterstab des EKKI und spielte bei den \"Säuberungen\" des Kominternapparats eine zentrale Rolle. Vgl.: Kaderakte F.S. Kotelnikow, G. Alichanow, RZA-Komintern. Noch am 25.5.1937, nach der Verhaftung von Alichanow, sandte eine gewisse A. Ballod eine Denunziation an Alichanow, in der sie Zimmermann belastete. Vgl.: \"An die Kaderabteilung, gen. Alichanow\", 25.5.1937, ebenda. Alichanows Tod wird von den russischen Historikern und Mitarbeitern am Kominternarchiv, F. Firsow und L. Babitschenko, die Militärgerichtsakten konsultieren konnten, auf den 13.2.1938 festgesetzt (Auskunft F. Firsow/L. Babitschenko, Moskau 15.2.1993). Über Sorkin finden sich Hinweise im Kaderdossier von K. Mayer und von W. Rutgers. Im März 1938 regelte er die Ausreise von K. Mayer (Brief K. Mayer an Sorkin, 2.3.1938, RZA-Komintern). Noch im Dezember 1942 kassierte er Parteibeiträge von Rutgers (\"Quittung\", unterzeichnet von Sorkin und Kasmertschuk, 22.12.1942, RZAKomintern). Sorkin, der jüdischer Abstammung war, soll im Zuge der antisemitischen Kampagne Ende der vierziger Jahre verhaftet worden sein. Er soll jedoch in den sechziger Jahren in Freiheit gestorben sein (Auskunft von F. Firsow, Moskau 15.2.1993).33 L.M. Poljatschek wurde im Februar 1939 erschossen. Firsow konnte die Akte Poljatschek im Archiv der Armeeprokuratur einsehen. Poljatschek soll - so die Akte - das ehemalige IKK-Mitglied Anwelt im Verhör zu Tode gefoltert haben (Auskunft von F. Firsow, Moskau 15.2.1993). In der Rehabilitierungsurkunde zu Berta Zimmermann werden gegen Poljatschek folgende Vorwürfe erhoben: \"Es wurde überprüft und festgestellt, dass Zimmermann aufgrund gefälschter Materialien verurteilt wurde. Am 4.7.1937 wurde sie ohne Erlaubnis des Prokurators vom NKWD verhaftet, nämlich von Lanfang und Poljatschek, die das Personal des EKKI untersuchten. Sie haben die Verhaftete erpresst. Sie haben die Dokumente gefälscht[ ...]. Poljatschek wurde später zur Rechenschaft gezogen.\".Vgl.: Rehabilitierungsbegründung vom 2.6.1956, in: Dossier B. Zimmermann, KGB-Archiv Moskau. 270 JHK 1993Biographische Skizzen/ZeitzeugenberichteBerta Zimmermann die Frau von Fritz Platten, eines früheren Trotzkisten, sei. Die folgenden Beobachtungen Milters über Zimmermanns zentrale Position in der Kurierabteilung der OMS unter Mirow-Abramow und in der \"S.S.\" unter Müller werden auch in einer anderen Denunziation hervorgehoben. Milter schrieb: \"In den Händen von Genossin Berta konzentrierten sich alle Fäden der Periferie; sie hat Bestellungen für ausländisches Material aufgenommen und weitergegeben, wobei sie Personen verwendete, die ins Ausland fuhren. Soviel ich weiss, hat Genossin Berta auf dieser Linie schon etwa drei Jahre unter der alten Führung (Mirow-Abramow) gearbeitet. Der Umstand, dass sie ihren Posten auch unter Müller behielt, sie als Parteilose und Frau eines ehemaligen Trotzkisten, ruft Zweifel hervor - besteht hier nicht etwas gemeinsames oder eine Annäherung zwischen Müller und Platten oder seinen trotzkistischen Freunden. Ich kann nichts Bestimmtes sagen, doch man muss das aufklären. \"34Die Seitenhiebe auf Müller, der 1936 Mirow-Abramow als Leiter der alten OMS ersetzt und den Übergang zur neuen \"S.S.\" eingeleitet hatte, lassen erahnen, dass sich auch Müller im Sog der Säuberungen befand. Ab Frühjahr 1937 fehlt seine Unterschrift in den Akten; seine Kompetenzen nahm von diesem Zeitpunkt an der Russe Moskwin ein, der in den zwanziger Jahren bezeichnenderweise Leiter der Auslandsabteilung der GPU gewesen war.35 Der Aufstieg von Moskwin an die Spitze der \"S.S.\" symbolisiert die endgültige Übernahme der ehemaligen OMS durch den NKWD.Eine dritte belastende Aussage machte Ende Mai 1937 eine Genossin A. Ballod, ehemals Kurier an einem sowjetischen Konsulat im Ausland. Der Anstoss zu ihrem Bericht gab ihr die Verhaftung von Firin, unter dem sie in der \"Sonderabteilung\" eines Konsulates gearbeitet hatte. Firin war in den zwanziger Jahren stellvertretender Chef des militärischen Abwehrdienstes GRU, bevor er zu Beginn der dreissiger Jahre zum NKWD wechselte und zum stellvertretenden Leiter der Lagerverwaltung (GULAG) aufstieg.36 A. Ballod liess sich bei ihrer Aussage über die vergangene Tätigkeit für Firin im Ausland vom Gedanken leiten, möglichst schnell ihre damalige Mitarbeit offenzulegen, da sie sich sonst dem Verdacht aussetzte, ihre ehemaligen \"Verbindungen\" zum verhafteten Firin vertuschen zu wollen. Bezüglich Berta Zimmermann meldete sie lediglich die Beobachtung, diese treffe sich regelmässig mit Mirow-Abramow; im Dezember 1936 habe sie die beiden einmal um 11 Uhr abends auf der Worowskistrasse gesehen.3734 \"Erklärung\" vom 21.5.1937, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern. 35 Zu Moskwin, Deckname für M.A. Trilisser, vgl. Lazitch, Biographical Dictionary, a.a.O., S. 479. 36 S.G. Firin wurde Ende Mai 1937 verhaftet. Vgl dazu Conquest, Robert: Inside Stalins Secret Police.NKVW Politics 1936-39. Hampshire, London 1985. S. 19, 43; Kriwitzki, Walter G.: Ich war in Stalins Dienst. Amsterdam 1940. S. 54; Poretsky, Elisabeth: Our Own People. A Memoir oflgnace Reiss and His Friends. London, Toronto, Melbourne 1969. S. 121-122. A. Ballod nannte leider weder das Jahr noch das Land, in dem sie unter Firin gearbeitet hatte: \"Heute erfuhr ich, dass Firin verhaftet wurde. Ich weiss, dass Firin in der Sonderabteilung im Konsulat arbeitete, mit ihm arbeitete Roschin Wassili Petrowitsch, ich weiss es nicht genau, doch es scheint mir so und ich erfüllte bei Roschin Sonderaufträge, deren Inhalt ich nicht kannte, doch ich brachte verschiedenen Leuten Pakete und bekam von ihnen Pakete für Roschin. Über diese Arbeit wusste Baranski Kasimir Bescheid, laut Konsulat Snamenski. Die Leute, denen ich Pakete brachte, waren meiner Ansicht nach Weissgardisten, genau kann ich das nicht sagen. Diese Arbeit führte auch Morjakowa Walentina aus, die ebenfalls in der Sonderabteilung arbeitete.\" Vgl. dazu: Brief A. Ballod an Alichanow (Kaderabteilung), 25.5.1937, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern. Laut einer Anmerkung kam der Brief zu Anwelt (IKK), der ihn abtippte und die Kopie mit dem Datum 2.6.1937 versah.37 Ebenda. P. Huber: Berta ZimmermannIHK 1993 271Zur Abklärung der gegen Zimmermann und anderer \"S.S.\"-Mitarbeiter eingegangenen Verdächtigungen trat eine Kommission unter dem IKK-Vorsitzenden Anwelt zusammen. Die Protokolle dieser Kommission sind im Kaderdossier Zimmermann leider nicht erhalten. Anhaltspunkte über die Anklage liefert lediglich ein Brief, den der bei der Kommissionssitzung anwesende Sorkin dem NKWD-Mitarbeiter Poljatschek geschrieben hatte. Sorkin spielte bei der Überprüfung der \"S.S.\"-Mitarbeiter die gleiche Rolle wie Sysman; beide waren Verbindungsglieder zum NKWD-Mann Poljatschek. Laut Sorkin soll Zimmermann in der Kommission Anwelt mitgeteilt haben, \"dass sie zu Abramow in die 4. Verwaltung ging wegen persönlicher Fragen nach seinem Ausscheiden aus der S.S.\".38 Die angesprochene \"4. Verwaltung\" war der Aufklärungsdienst GRU der Roten Armee, für den offenbar Mirow-Abramow nach seiner Absetzung als OMS-Leiter arbeitete. Über mögliche weitere Vorwürfe gegen Zimmermann aufgrund von Denunziationen - bezüglich der \"trotzkistischen Vergangenheit\" ihres Mannes Fritz Platten - berichtete Sorkin in seinem Brief an Poljatschek nicht. Der Verkehr mit ihrem ehemaligen Vorgesetzten Mirow-Abramow, der in diesen Tagen verhaftet wurde, galt als schwerwiegend genug.In der Kommission Anwelt musste sich laut Sorkin noch eine zweite \"S.S.\"-Mitarbeiterin verantworten. F.E. Jaschenko hatte seit 1936 als Sekretärin des damals ernannten \"S.S.\"-Leiters Müller gearbeitet, der nun in Ungnade gefallen war und auch sie ins Verderben riss. Jaschenko war Parteimitglied und sollte nach der Verhaftung von Berta Zimmermann diese vor der Parteikommission belasten.39 Zwei Tage nach seinem Brief an Poljatschek über den Verlauf der Untersuchung gegen Zimmermann stellte Sorkin noch einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung für Zimmermann. Sie erscheint darin weiterhin als \"parteilos\" und Mitarbeiterin der \"S.S.\", welche die sowjetische Staatsbürgerschaft beantragt hat. Sorkin richtete das Schreiben an Korniljew, der in den Jahren 1936/37 auch Ausreisebewilligungen ausstellte - so für Jules Humbert Droz und den Schweizer \"Leninschüler\" Raymond Kamerzin. Korniljew gab im Briefverkehr mit den Kominternorganen nie eine Funktionsbezeichnung an; in einem Brief des Sekretariats von Dimitrow wurde Korniljew jedoch als Mitarbeiter der \"Sonderabteilung\" des NKWD\" angeschrieben.40Vier Tage nach dem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung wurde Berta Zimmermann in ihrer Wohnung in der Gorkistrasse 81, die sie seit Ende der zwanziger Jahre mit Fritz Platten teilte, verhaftet. Fritz Platten erstattete noch gleichentags dem Parteikomitee seiner Arbeitsstelle, dem \"Institut für Fremdsprachen\", Meldung: \"Liebe Genossen: ich muss euch mitteilen, dass heute in der Früh der NKWD in meiner38 Brief Sorkin an Poljatschek, 29.5.1937, ebenda. 39 Ebenda. Sorkin schrieb über Jaschenkos Tätigkeit vor 1936: \"Ich teile mit, dass laut bestehenden An-gaben Jaschenko F. E., während sie in Harbin war, dort gemeinsam mit Müller arbeitete, danach arbeitete sie mit ihm in der 4. Verwaltung [GRU, d. V.].\" 40 \"An den Gen. Korniljew\", 31.5.1937, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern. Korniljew war auch für die Aufenthaltsbewilligung von S. Kirschbaum zuständig. \"An den Gen. Korniljew\", 16.1.1937, in: Kaderakte J. Humbert-Droz, ebenda; \"An den Gen. Korniljew\", 8.1.1937, in: Kaderakte R. Kamerzin, ebenda. Näheres zu R. Kamcrzin in Huber, Schweizer Kommunisten, a.a.O., Kapitel \"R. Kamerzin\". Brief Sergejew (Sekretär von Dimitrow) an Korniljew (Sonderabteilung NKWD), 11.9.1937, in: Bestand \"Sekretariat Dimitrow\", 495-73-49, RZA-Komintern. Korniljew soll in der \"Besonderen Sektion\" gearbeitet haben, die den Kadern auch Passierscheine für offizielle Anlässe ausstellte. So Krivitzki, Stalins Dienst, a.a.O., S. 247. 272 JHK 1993Biographische Skizzen/ZeitzeugenberichteWohnung eine Hausdurchsuchung vorgenommen hat. Meine Frau, die ich vor 13 Jahren geheiratet habe, ist verhaftet. Die Gründe für deren Verhaftung kenne ich nicht.\"41Ob diese Intervention des NKWD einem allfälligen Beschluss der Kommission des IKK-Vorsitzenden Anwelt vorgegriffen hat, lässt sich nicht feststellen. Sicher ist, dass der NKWD durch die Berichte, die Sysman und Sorkin an Podlepitsch gesandt hatten, über den Stand der Anschuldigungen gegen Zimmermann auf dem laufenden war. Nach der von Sysman, Sorkin und Anwelt geleisteten Vorarbeit setzte der NKWD den Zeitpunkt der Verhaftung in eigener Regie fest.Auch in den Tagen nach der Verhaftung leiteten Sysman und Sorkin die für Berta Zimmermann in der \"S.S.\" eingehende Post an Podlepitsch weiter. Ein an den Pforten der \"S.S.\" eintreffender Kurier namens Silber wusste nichts von der Verhaftung, misstraute jedoch offenbar Leuten wie Sorkin. Sysman sandte den von Silber hinterlassenen Brief mit folgender Bemerkung an Poljatschek: \"Ich teile mit, dass Silber den Boten Botrowski gebeten hat, den Brief persönlich an Berta zu übergeben und ihn keinesfalls über den Genossen Sorkin zu übergeben.\"42 Zwölf Tage nach der Verhaftung sanktionierte das Sekretariat des EKKI wie üblich das Einschreiten des NKWD. Im Kaderdossier Zimmermann findet sich lediglich ein \"Auszug aus der Verfügung Nr. 20 betreffs Nachrichtendienst [\"S.S.\", P.H.] des Sekretariats des EKKI\", unterzeichnet von Sorkin am 16. Juni 1937. Offenbar hatte das Organ der Komintern mehrere Verhaftungen abgesegnet, steht doch auf dem Auszug zu lesen: \"Die unten aufgeführten ehemaligen Mitarbeiter sind aus dem Personalbestand auszuschliessen: 2. Berta bzw. Platten Zimmermann.\" Eine nicht eindeutig auszumachende Person beglaubigte den Auszug und fügte von Hand an: \"Verhaftet vom NKWD als Volksfeind. \"43Nach ihrer Verhaftung mussten die bisher verschonten Mitarbeiter \"Erklärungen\" abgeben und ihre Beziehungen zur verschwundenen Person offenlegen. In diese von der Angst um die eigene Haut diktierten \"Erklärungen\" flossen Beobachtungen ein, welche die eigene \"Wachsamkeit\" unterstreichen sollten. Der Mitarbeiter P. Stutschewski befand sich in einer unangenehmen Situation, da er auf einer Versammlung Berta Zimmermann in Schutz genommen hatte. Nach deren Verhaftung sah er sich genötigt, seine Haltung ins rechte Licht zu rücken. An die Parteikommission des EKKI schrieb er: \"Meine Antwort, die ich unter Einfluss einer Laune auf der Versammlung einwarf, dass ich für Berta bürge, halte ich für zutiefst unrichtig, um so mehr, als ich sie wirklich nicht kenne.\"41 \"An das Sekretariat des Parteikomitees\", 4.6.1937, in: Kaderakte F. Platten, RZA-Komintern. Platten, der Russisch nur schlecht beherrschte, schrieb die Meldung in Deutsch; sie wurde ins Russische übersetzt und liegt in seiner Kaderakte.42 Brief an Poljatschek, 16.6.1937, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern. Sorkin schrieb am 7.6.1937 an Poljatschek: \"Ich lege zwei Briefe bei, die wir aus dem Postfach Nr. 170 genommen haben. Wir teilen mit, dass die Korrespondenz aus diesem Fach immer Berta erhielt.\" (Ebenda).43 \"Auszug\", 16.6.1937, in: ebenda. Die schwierige Entzifferung der Unterschrift lässt auf den Namen \"Anutrewa\" schliessen (ebenda). Die Sitzung des Sekretariats fand am gleichen Tag statt. Dem Sekretariat gehörten seit dem VII. Weltkongress 1935 folgende Leute als Mitglieder an: D. Manuilski (Sowjetunion), G. Dimitrow (Bulgarien), K. Gottwald (Tschechoslowakei), 0. Kuusinen (Finnland), A. Marty (Frankreich), W. Pieck (Deutschland) und P. Togliatti (Italien). Lediglich Manuilski, Dimitrow und Kuusinen weilten ständig in Moskau; die übrigen nahmen 1936/37 nur sporadisch an den Sitzungen teil, erfüllten sie doch Missionen im spanischen Bürgerkrieg (Marty, Togliatti) oder in Paris und Prag (Pieck, Gottwald). P. Huber: Berta Zimmermann.!HK 1993 273In diesem Prozess der Entsolidarisierung erwähnte das Parteimitglied Stutschewsk:i als Beweis für sein frühes Misstrauen Berichte, die es bereits vor der Verhaftung von Berta Zimmermann zwei Kominternkadern zukommen liess: \"Ich kenne Berta insofern, wie sie jeder operative Einsatzarbeiter der S.S. kennt. Alle Genossen, die auf Dienstreise geschickt wurden, erhielten die ihnen nötigen Informationen nur von ihr. [...] Nach Verordnung von Müller führte mich Berta in die Arbeit ein. Im Verlaufe der Vertrautmachung mit meiner Arbeit sah ich, dass Berta mehr wusste als ihr zustand. Obwohl sie parteilos war, führte sie faktisch die ganze Einsatzarbeit aus. Da setzte ich es mir zum Ziel, sie soviel als möglich auszuforschen. Alles was ich erfuhr, teilte ich den Genossen Moskwin und Manuilski mit.\"44Die Angaben Stutschewskis bestätigen die zentrale Verantwortung von Zimmermann als Leiterin des Kurierdienstes der Komintern. Sie weisen auch auf zwei Exponenten des Kominternapparates hin, denen wachsame Parteimitglieder ihre Beobachtungen anvertrauten. Moskwin und Manuilski waren zusammen mit Stalin seit 1935 die drei Vertreter der WKP(B) im Präsidium des EKKI. Während sich Stalin im Hintergrund hielt und in keiner der EKKI-Untersuchungskommissionen mitwirkte, die 1937 gegen Schweizer Kommunisten aktiv wurden, standen Moskwin, Manuilski, der IKK-Vorsitzende Anwelt und Alichanow von der Kaderabteilung an vorderster Front. Sie waren im Jahre 1937 die Schaltstellen, bei denen Anfragen und Auskünfte über verdächtige Mitarbeiter der Komintern ein- und ausgingen. Die vier vorgenannten sind die zentralen Verbindungsglieder von der Kominternspitze zum NKWD.45Die letzte schriftliche Aussage im Kaderdossier Zimmermann ist jene von F.E. Jaschenko, die sich bereits vor der Verhaftung von Zimmermann vor der Kommission Anwelt verantworten musste. Von ihrer späteren \"Erklärung an die Parteikommission\" liegt lediglich ein Auszug vor. Das Parteimitglied Jaschenko kam erst 1936 in die \"S.S.\", als der ehemalige Leiter Mirow-Abramow bereits beim militärischen Abwehrdienst GRU arbeitete. Die unfreiwillige Versetzung hinderte Mirow-Abramow nicht, die langjährige Freundschaft mit seiner vormaligen Untergebenen Zimmermann zu pflegen und sie in den Räumlichkeiten der \"S.S.\" aufzusuchen. Jaschenko arbeitete damals als Sekretärin des neuen \"S.S.\"-Leiters Müller und konnte - so schimmert in ihrer \"Erklärung\" durch - diese alteingespielte Freundschaft nur schwer verkraften; um sie herum sei eine \"Wand der Feindschaft\" entstanden.Jaschenkos \"Erklärung\" zeugt auch von den wachsenden Ressentiments russischer Mitarbeiter gegen westliche Vorgesetzte, die dank ihrer Beziehungen in den Genuss exklusiver Artikel kamen: \"Berta war mit Abramow vertraut, er vertraute ihr. A[bramow] bot nur ihr ausländische Schokolade und Pralinen an, sie hatte ausländische Sachen, bekam zweifellos von A[bramow] Geschenke und wenn er kam, brachte A[bramow] sie in seinem Wagen nach Hause, sie war mit seiner Frau befreundet. Als ich zur Sekretärin von M[üller] ernannt wurde, lachten mir Berta und Abramow ins Gesicht, er wollte, dass44 \"An die Parteikommission des EKKI\", 23.6.1937, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern. Er fügte hinzu: \"Mitglied WKP(B) seit 1919, Parteiausweis Nr. 1289215.\"45 Nähere Angaben in: Huber, Schweizer Kommunisten, a.a.O., Kapitel \"Das Repressionsgefüge der Komintern: eine Annäherung\". 274 JHK 1993Biographische Skizzen/ZeitzeugenberichteBerta Sekretärin von M[üller] sei. Berta half mir nicht bei der Arbeit, im Gegenteil[ ... ].\"46Bei ihrer nachträglichen Abrechnung mit der verhafteten Zimmermann schonte Jaschenko auch Müller nicht, war doch dieser inzwischen in Ungnade gefallen. Nachdem sie in der Rivalität um die Gunst den kürzeren gezogen hatte, unterschob sie ihm mangelnde Wachsamkeit: \"Ich erinnere mich, dass M[üller], als er anfing, mit Berta zu arbeiten, sie irgendwie verehrte, er gab ihr immer sein Frühstück, bot ihr Pralinen an, da Berta sich nicht mit dem Gedanken abfinden konnte, dass A[bramow] wegging. Bertas Mann war Mitglied einer trotzkistischen Gruppierung, ich sprach darüber mit M[üller] und fragte ihn, ob man Berta eine solche Arbeit anvertrauen könne. M[üller] antwortete mir zornig, er wisse das alles selbst. \"47Die zitierten \"Erklärungen\" sind Ausdruck tatsächlich vorhandenen Neides und der Missgunst jener neuen Mitarbeiter, die der NKWD zum Auffüllen der gelichteten Reihen im alten Mitarbeiterstab der OMS ausgesucht hatte. Es ist durchaus vorstellbar, dass diese neue Generation bei den altgedienten Kadern auf wenig Gegenliebe stiess und bei der Integration am Arbeitsplatz kaum mit Hilfe rechnen konnte. Die von Jaschenko erwähnte \"Wand der Feindschaft\", die sie umgab, ist ein beredtes Zeugnis. Solche, in jeder Organisation entstehenden Spannungen mussten zur Zeit der Schauprozesse besondere Dimensionen annehmen. Die vom Regime geschürte Jagd auf Spione und Saboteure brach an den Arbeitsplätzen ein Potential auf, das in gegenseitige Bezichtigungen ausartete. Aus panischer Angst, bei einem Abseitsstehen als besonders verschlagenes Element entlarvt zu werden, machten Millonen von Sowjetbürgern diese Spirale des Terrors mit. Die Verhaftung von Zimmermann im Juni 1937 und die belastenden Aussagen fielen zu einem Zeitpunkt, als der Tuchatschewski-Prozess die ganze Sowjetgesellschaft im Banne hielt und jedermann überall Spione witterte.48Berta Zimmermann wurde sechs Monate in Untersuchungshaft gehalten. Der Anklage dürfte es leicht gefallen sein, angesichts Zimmermanns langjähriger Tätigkeit für den Verbindungsdienst der Komintern Anklagepunkte zu formulieren. Ihre häufigen Auslandsmissionen - die letzte im Jahre 1934 - passten vorzüglich ins Schema, das auch bei ihrem Mann Fritz Platten nach dessen Verhaftung zur Anwendung kam. Platten gab bereits beim ersten Verhör durch den NKWD im April 1938 zu, anlässlich einer Reise im Jahre 1932 in den Dienst der polnischen Spionage getreten zu sein. Berta Zimmermann ereilte laut Auskunft des KGB folgendes Schicksal: \"[...] sie wurde am 2. Dezember 1937 durch das Militärkollegium des obersten Gerichtes der Sowjetunion zum Tod durch Erschiessen verurteilt. Die Anklage lautete auf antisowjetische Tätigkeit, Spionage und Terrorismus. Das Urteil wurde am gleichen Tage vollstreckt.\"49Drei Jahre nach dem Tode Stalins revidierte das Oberste Gericht der Sowjetunion das Urteil. In der Begründung steht zu lesen, die NKWD-Mitarbeiter Poljatschek, Lanfang46 \"Auszug aus der Erklärung an die Parteikommission von Jaschenko\", 25.6.1937, in: Kaderakte Zimmermann, RZA-Komintern.47 Ebenda. 48 Vgl. dazu Conquest, Terror, a.a.O., S. 182-213. M.A. Tuchatschewski (1893-1937) und sechs weitereKommandeure der Roten Armee wurden am 12.6.1937 zum Tode verurteilt und erschossen. Vgl. Kurzbiographien der Angeklagten und Untersuchungsakten in: Schauprozesse unter Stalin 1932-1952. Zustandekommen, Hintergründe, Opfer. Berlin 1990. S. 253-304. 49 Antwort des Ministeriums für Staatssicherheit der Russischen Föderation auf unsere Anfrage, Moskau 14.4.1992. Verhör Platten vom 3./4.4.1938, in: Dossier Platten, KGB-Archiv, Moskau. P. Huber: Berta ZimmermannJHK 1993 275und Apresjan hätten Zimmermann ohne Erlaubnis des Staatsanwaltes verhaftet und Geständnisse erpresst. Die Belastungszeugen, unter anderem die verhafteten MirowAbramow sowie der ehemalige Kaderleiter der Komintern, Tschemomordik, seien mit Gewalt zu falschen Aussagen gezwungen worden.SO Aus anderer Quelle wissen wir, dass Poljatschek noch im Februar 1939 von der Rolle des Täters in jene des Opfers schlitterte. Der periodisch gelichtete Repressionsapparat riss sowohl parteitreue Kominternmitarbeiter als auch willfährige und übereifrige Mittäter in den Abgrund.SI50 Beschluss und Begründung des Obersten Gerichts vom 2.6.1956, in: Dossier B. Zimmermann, KGBArchiv Moskau.51 Laut Auskunft von F. Firsow (Moskau, 26.1.1993), vgl. Anm. 33.

Inhalt – JHK 1993

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