JHK 1993

Die Russische Delegation in der Komintern: Machtzentrum des internationalen Kommunismus zwischen Sinowjew und Stalin1

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 82-99

Autor/in: Alexandr Watlin (Moskau)

Daß die KPdSU als die einzige siegreiche, zur Staatsmacht gewordenen Partei in der Kommunistischen Internationale (Komintern) stets eine besondere Rolle spielte und praktisch alle strategischen Wendungen und Kadersäuberungen präjudizierte, ist für die internationale Kommunismusforschung kein Geheimnis. Gleichwohl traten die eigentlichen Umsetzungsmechanismen dieser Machtposition zugunsten der statutgemäßen Organisationen und Ereignisse in den Hintergrund. Heute gehört der dokumentarische Nachlaß der \"russischen\" Organe in der Komintern zu einem besonders geheimgehaltenen Fond im Zentralen Parteiarchiv in Moskau, so daß der Autor des vorliegenden Beitrages als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Marxismus-Leninismus sein Archivheft nur nach zahlreichen Ausschneidungen zurückbekommen hat - und das im Juni 1991, kurz vor dem Putsch. Dennoch wird mit der vorliegenden Untersuchung die Hoffnung verbunden, die wissenschaftliche Erschließung der Russischen Delegation im Exekutivkomitee der Komintern (EKKI), die bislang in historiographischer Hinsicht ein \"weißer Fleck\" ist, anzustoßen.Besondere Sitzungen der Delegation der russischen Bolschewiki fanden schon während der ersten Kominternkongresse statt, sie entsprachen der damals üblichen Praxis der fraktionellen Vorbesprechungen der zu erörternden Fragen in den Organen der Sowjetmacht. Diese Sitzungen fanden nicht regulär statt, wurden nicht protokolliert und hatte keine besondere Bedeutung für die Kongreß-Beschlüsse. Sinowjew, Radek und andere Vertreter der RKP/KPdSU zogen es vor, vertrauliche Vorbesprechungen mit einzelnen ausländischen Parteileitungen zu führen, um danach sichere Mehrheiten bei den Abstimmungen in Kommissionen oder dem Präsidium des EKKI zu haben (vgl. beispielsweise die Vorgeschichte der Einheitsfront im Winter 1921/1922).Die Situation veränderte sich prinzipiell, als mit dem politischen Tod von W.I. Lenin die Führung der Bolschewiki einen autoritären Schiedsrichter verloren hatte und es so zu1 Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen eines Stipendiums der Volkswagen-Stiftung. A. Watlin: Russische Komintern-DelegationJHK 1993 83einer Periode heftiger Machtkämpfe kam. Die Komintern und besonders ihre deutsche Sektion bekam die Tragweite und die negativen Folgen dieser Zersplitterung bereits nach dem mißlungenen \"deutschen Oktober\" 1923 zu spüren. Das ZK-Plenum der russischen Partei befaßte sich zweimal mit dieser Angelegenheit und konnte den scharfen Konflikt auflösen. Nur der stillschweigende Kompromiß zwischen Trotzki und Sinowjew machte Karl Radek, der 1923 in den realen Machtverhältnissen in der RKP die Rolle eines \"Weichenstellers\" spielte, zum \"Sündenbock\" für die deutsche Niederlage.In den Jahren 1924/25 hatte der innerparteiliche Kampf in der alten bolschewistischen Garde dieselben Folgen für die Organisationsgeschichte des EKKis wie für das Politbüro des ZK der KPdSU: Trotz aller seiner Posten wurde Trotzki bei der Behandlung der wichtigsten Komintern-Schritte im EKKI oder im Präsidium praktisch ausgeschlossen. Seine zahlreichen Beschwerden und Bitten, ihm wenigstens Vorbereitungsmaterialien zuzuschicken, blieben erfolglos.Dieselbe Taktik konnte aber nicht angewandt werden, als Sinowjew zum Rivalen der ZK-Mehrheit wurde. Der Vorsitzende der Komintern hatte genügend Autorität und Machtinstrumente, um diese internationale Organisation im innerparteilichen Kampf einzusetzen, und seine Anhänger, besonders in der linken KPD-Führung, waren in der Lage, den internationalen Kommunismus neu zu spalten.Diese Perspektive erschreckte beide Seiten - bei den heftigen Diskussionen während des XIV. Parteitages der KPdSU wurde deshalb die Komintern-Thematik sorgfältig ausgeklammert. Aber die eindeutige Niederlage von Sinowjew und Kamenew konnte den Status quo ante nicht wiederherstellen. Sowohl Sinowjew als auch seine Opposition dachten daran, wie sich diese Situation auf die Komintern auswirken würde.Sinowjew drohte, als Komintern-Vorsitzender zurückzutreten, was nicht nur einen internationalen Skandal, sondern auch die akute Gefahr der Spaltung in der kommunistischen Bewegung bedeutet hätte. Stalin und Bucharin konnten dies nicht zulassen. In der Politbüro-Sitzung am 7. Januar 1926 begann der mühsame Handel, um einen Kompromiß zu erreichen.2 Sinowjew konnte einen taktischen Sieg feiern. Um eine \"kollektive Führung\" nach den Leninschen Organisationsprinzipien herzustellen, beschloß das Politbüro der KPdSU, alle strategischen Fragen der Komintern-Politik in einer Delegation der sowjetischen KP zu behandeln und danach dem Präsidium des EKKI jeweils eine einheitliche Meinung darzulegen. So entstand im innerparteilichen Machtkampf die \"russische Delegation\", die in keinem Statut vorgesehen war und trotzdem für jeden Komintern-Funktionär schon bald die Wahrheit in letzter Instanz verkörperte.Schon am nächsten Tag, am 8. Januar 1926, fand eine erste Sitzung der Russischen Delegation statt. Zum Vorsitzenden wurde Sinowjew gewählt, zum Sekretär Pjatnitzki. An der Arbeit der Delegation nahmen außerdem Stalin, Bucharin, Trotzki, Kamenew, Losowski und Manuilski teil.3 Schon ab 1926 wurden aber die Oppositionellen durch Stalin-Leute wie Lominadse und Molotow schrittweise ersetzt. Die kurze Geschichte einer fraktionierten Russischen Delegation im EKKI ist ein wichtiger Bestandteil des sta-2 Das Stenogramm dieser Politbürositzung ist bislang nicht auffindbar. Die Rekonstruktion erfolgte anhand der späteren Materialien der russischen Delegation.3 Protokoll N 1 der Sitzung der Russischen Delegation am 8. Januar 1926, in: Russisches Zentrum für die Aufbewahrung und Erforschung von Dokumenten der neuesten Geschichte (im weiteren: RZAEDNG), Fond 508, Findbuch 1, Einheit 3. Die Blätter der Sitzungsprotokolle wurden gewöhnlich nicht paginiert. 84 JHK 1993Aufsätze und Miszellenlinistischen Kampfes um die Herrschaft in der bolschewistischen Partei, im Sowjetland und nicht zuletzt in der internationalen kommunistischen Bewegung.Ausschaltung der \"Linken\" in der KPdSU und KominternDie ersten Sitzungen der Delegation stellten den Versuch der Mehrheit dar, ihren Sieg voll auszuspielen. Es gelang Sinowjew zwar, die Übertragung der russischen Diskussion in die anderen Sektionen der Komintern zu verhindern, aber in dem Beschlußentwurf, den Bucharin in der Sitzung am 12. Januar vorgestellt hatte, konnte man zwischen den Zeilen lesen, wer die Verantwortung für die weitere Diskussion tragen würde. Obwohl die Diskussionsübertragung nun als \"unerwünscht\" bezeichnet wurde, zeigte die Ausschaltung anderer Sektionen (und letztlich der Komintern selbst) bei der Behandlung der \"russischen Frage\" eindeutig das administrative Übergewicht der KPdSU, das noch schlimmere Folgen mit sich bringen konnte. Sinowjew reagierte scharf und drohte wiederum mit dem Rücktritt. In seiner Erklärung schrieb er, daß er \"nur aus Versehen nicht gegen diesen Beschluß gestimmt hat\". \"Ich mußte mit der Tatsache rechnen, daß die Mehrheit den Brief abschicken wird, der gegen meine Position gerichtet war, deshalb machte ich keine Vorschläge zum Text, sondern beschränkte mich auf folgendes: 1) es ist notwendig zu sagen, daß ich zurückgetreten bin 2) es ist notwendig zu sagen, daß nach unserer gemeinsamen Meinung die Diskussion in der Komintern unerwünscht ist. \"4Trotz dieser \"Gemeinsamkeit\" wollten beide Seiten diese Diskussion im eigenen Sinne beeinflussen. Stalin schickte seinen Gefolgsmann Lominadse gleich nach dem XIV. Parteitag nach Deutschland, um Thälmann und andere KPD-Funktionäre im \"richtigen\" Sinne zu instruieren. Erst nach mehrmaligen Protesten Sinowjews schickte Stalin am 6. Februar 1926 ein Telegramm an Lominadse und forderte ihn darin auf, \"Vorträge und Veröffentlichungen in der Presse einzustellen und unverzüglich nach Moskau auszureisen\".5Sinowjew selbst suchte aktiv neue Kontakte mit seinen Gleichgesinnten im Ausland, konnte aber nicht offen auftreten. Seine Anhänger, Vujovic und Guralski, wollten Anfang Januar eine gewisse Frau Hessler nach Deutschland und Frankreich schicken, um die Oppositionellen dort mit der Plattform der russischen Opposition bekannt zu machen. Besondere Hoffnungen waren mit Werner Scholem in der KPD verbunden, weil man dachte, er könnte die Partei spalten und nur die \"Brandlerianer\" im Fahrwasser der Komintern lassen.Obwohl nach der Vereinbarung im Politbüro am 7. Januar 1926 die Reise von Hessler beendet wurde, blieb diese Angelegenheit noch den ganzen Monat auf der Tagesordnung der Russischen Delegation und des Politbüros. Hessler erklärte gegenüber Bucharin, daß sie den Auftrag bekommen habe, die westlichen Sektionen zur abwartenden Haltung zu bewegen, \"bis die Parteistimmung wieder nach links kommt\".6 Gemeinsame Denunziationen und Spionage im Rahmen einer Partei vergifteten auch in der Komintern die At-4 Erklärung Sinowjews zum Protokoll der Sitzung der Russischen Delegation am 12. Januar 1926, in: ebenda, 508/1/4, BI. 4.5 Telegramm von Stalin an Lominadse vom 6. Februar 1926, in: ebenda, 508/1/107, BI. 1. 6 Erklärung von Gertrude Hessler als Beilage zum Protokoll der Sitzung der Russischen Delegation am2. Februar 1926, in: ebenda, 508/1/6, BI. 8. A. Watlin: Russische Komintern-DelegationJHK 1993 85mosphäre, deren \"Apparatschiks\" schon ab 1926 ihre Linientreue durch die Denunzierung von \"Abweichlern\" beweisen konnten.Obwohl der Zusammenschluß der \"Sinowjewisten\" im internationalen Maßstab eine Phantasie war, konnte diese Behauptung von Stalin instrumentalisiert werden. Während des VI. EKKI-Plenums setzte er Sinowjew weiter unter Druck. In der Sitzung der Russischen Delegation am 21. Februar I926 sagte Stalin, daß \"die deutsche Delegation auf dem Plenum unzufrieden mit den Reden Sinowjews wäre, da er die Ultra-Linken zu schwach kritisiere\" .7 Mehr noch: In der nächsten Sitzung gab Stalin die Worte seines Freundes Thälmann wieder, daß nach der Information von Vujovic Sinowjew den Führer der KPD absetzen wollte. 8Jeder Versuch Sinowjews, eine einigermaßen konstruktive Arbeit der KPdSU-Vertreter in der Komintern wiederherzustellen, war zum Scheitern verurteilt. Er wußte schon, daß seine Tage gezählt waren, und stellte am 3. März den neuen Antrag, als Vorsitzender der Komintern entlassen zu werden. Den letzten Anstoß gab dabei die Veröffentlichung des Stalin-Artikels \"Zu Fragen des Leninismus\" in der Internationalen PresseKorrespondenz.Stalin aber zog es vor, das Katz-und-Maus-Spiel fortzusetzen. Sinowjew bekam die Zusicherung, daß er den Apparat der Komintern mit \"seinen Leuten\" vervollständigen könne, daß die russische Diskussion auf dem VI. Plenum unberührt bleibe und Sinowjew sogar die Antwort auf den Stalin-Artikel schreiben dürfe. Tatsächlich wurden aber im März/April 1926 die letzten Sinowjew-Anhänger aus dem EKKI-Apparat gesäubert. Als in Berlin eine Broschüre über den XIV. Parteitag erschien, konnte Sinowjew bei Abwesenheit von Stalin in der Russischen Delegation noch den Beschluß durchsetzen, diese Veröffentlichung zu verurteilen. Das war sein letzter \"parlamentarischer\" Sieg, der unter den Umständen der Stalinisierung indes ohne Folgen blieb. Als Stalin diese Nachricht bekam, schrieb er am 20. April aufgeregt an Pjatnitzki: \"Nachdem ich die Broschüre gesehen habe, kann ich gar keine Gründe finden, warum ihre Veröffentlichung verurteilt wurde. Ich bitte meine Position im Büro der Delegation der KPdSU zur Kenntnis zu bringen.\"9Es blieb Sinowjew nichts anderes übrig, als nach dem Beispiel von Trotzki einen Literaturstreit zu entfesseln. Aber seine Schriften landeten oftmals bei der Russischen Delegation - der \"Prawda\" stand nur eine Seite für die Parteidiskussion zur Verfügung. Da Sinowjew auch kein rhetorisches Talent vom Zuschnitt Trotzkis war, konnte Stalin es gewöhnlich Manuilski überlassen, auf die Sinowjew-Angriffe zu antworten. Nur selten griff er selbst zur Feder, da diese noch schwerer war. Als Sinowjew in seinem Brief vom 15. Mai 1926 versuchte, die Komintern-Politik von Stalin und Manuilski als \"rechte Abweichung\" darzustellen, antwortete Stalin in einem Brief an die Mitglieder der Russischen Delegation am selben Tag, daß er in der Sinowjew-Schrift ganze \"acht Lügen und eine lächerliche Feststellung entdeckt habe\". 107 Protokoll N 2 der Sitzung des Büros der Russischen Delegation während des VI. EKKI-Plenums, in: ebenda, 508/1/9.8 Protokoll N 4 der Sitzung des Büros der Russischen Delegation während des VI. EKKI-Plenums, in: ebenda, 508/1/11. Als Strafe für Vujovic schlug Stalin vor, ihn vom Posten des Generalsekretärs der Kommunistischen Jugendinternationale (KJI) zu entbinden. Nach der Abstimmung hat Pjatnitzki den Auftrag bekommen, diesen Beschluß dem Exekutivkomitee der KJI mitzuteilen.9 Brief Stalins an Pjatnitzki, in: ebenda, 508/1/21, BI. 19. 10 Brief Stalins an die Mitglieder der Delegation der KPdSU vom 15. Mai 1926, in: ebenda, 508/1/107. 86 JHK 1993Aufsätze und MiszellenDie Degradierung der politischen Diskussion in der KPdSU in diesen Jahren entsprach vollkommen der personellen \"Schüchternheit\" Stalins. Im selben Brief schrieb der \"große Führer\": \"Seit 1898 konnten wir, alte Leute der Illegalität, in allen Gebieten Rußlands unsere Arbeit führen, aber wir trafen Genossen Sinowjew weder in den Gefängnissen noch in der Verbannung.\" 11 Es ist verwunderlich, daß Stalin dabei seine führende Rolle in der I. und II. Internationale nicht erwähnt hatte.Um Sinowjew endgültig von der Mitarbeit in der Delegation auszuschließen und auf dem VII. EKKI-Plenum die entscheidende Schlacht gegen die \"Linken\" in der KPdSU führen zu können, beschloß das Politbüro am 18. November, ein \"Büro der Delegation der KPdSU\" zu etablieren, in dem praktisch nur Stalin, Bucharin und Pjatnitzki tätig waren. Trotz des Widerstandes dieses Gremiums gegen einen für \"unzweckmäßig\" gehaltenen Sinowjew-Auftritt auf dem Plenuml 2 konnte dieser seine Rede halten, in der der abgelöste erste und letzte Vorsitzende der Komintern die Position der vereinigten Opposition verteidigte. Es war keine gute Rede, er verwandte zu viele Zitate aus Werken der Klassiker und lieferte nur wenig politische Analyse. Trotzdem befürchtete die Mehrheit, daß Sinowjew noch Sympathien für sich wecken könnte, weshalb nach dem SinowjewAuftritt in der Wohnung Rykows eine \"halbgeheime\" Sitzung des Büros der Russischen Delegation stattfand, um mögliche Gegenmaßnahmen zu besprechen.13 Diese waren aber nicht notwendig, denn die weitgehende Bolschewisierung der einzelnen KominternSektionen ersetzte die Freiheit der politischen Äußerung durch eine \"eiserne\" Parteidisziplin. Die letzte Rede Sinowjews vor dem Exekutivkomitee der Komintern bedeutete auch die Niederlage der linken Opposition in allen kommunistischen Parteien Europas.Die deutsche Frage in der Russischen DelegationDie Situation in Deutschland und die Politik der KPD standen in der Delegation nicht nur im Kontext der innerparteilichen Machtkämpfe zur Debatte, obwohl diese ihre Schatten immer auf die politische Analyse Stalins und Bucharins warfen. Sogar nach der Niederlage des \"deutschen Oktobers\" und der Annahme des Dawes-Plans sollte Deutschland entsprechend den Einschätzungen des klassischen Marxismus das Hauptkriegsfeld der Weltrevolution bleiben. Nach dem mißlungenen Experiment mit der \"linken\" KPD-Führung, für die Sinowjew auch persönlich Verantwortung trug, versuchte man eine neue Konzentration der \"gesunden Kräfte\" in der KPD.Schon in ihrer zweiten Sitzung am 12. Januar 1926 diskutierte die Delegation ausführlich die Lage in der KPD. Es wurde ein Beschluß angenommen, der keinen Zweifel an der Rechtsschwenkung zuließ:\"In die Regierung Sachsens nicht eintreten, aber ihre Unterstützung zulassen, wenn linke Elemente der sächsischen Sozialdemokratie mit besonderen Listen kandidieren [ ... ].Die Losung der Neuwahlen im Parlament aufstellen, angesichts der Linksschwenkung breiter Massen.11 Ebenda. 12 Ebenda, 508/1/36. 13 Protokoll N 6 der Sitzung des Büros der Russischen Delegation während des VII. EKKI-Plenums am8. Dezember 1926, in: ebenda, 508/1/42. A. Watlin: Russische Komintern-DelegationJHK 1993 87Faktische Enteignung des Eigentums der ehemaligen Königsfamilien fordern, um die reale Hilfe für die Arbeitslosen zu ermöglichen. Vom ADGB [Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund, A.W.] die Einberufung des Arbeitslosenkongresses fordern. Vor Bildung des Arbeitslosenrates nicht zurückschrecken.\" 14Trotz aller radikaler Phraseologie eröffnete der Akzent auf die Tagesaufgaben der KPD gute Möglichkeiten für die Parteiarbeit, besonders deswegen, weil die KPD für den Volksentscheid in Deutschland mehr als Hunderttausend Dollar aus Moskau bekam.15 Man brauchte nur \"innere Entschlossenheit und Disziplin\", was ohne die Ausschaltung der Linken nicht möglich war.Stalin zeigte sich dabei als erfahrener Taktiker. Da ihm die linken Sympathien Sinowjews bekannt waren, entwarf er eine Schritt-für-Schritt-Strategie. Da Sinowjew sicher war, daß \"die Mehrheit der Partei hinter Scholem steht\", begrenzte sich Stalin in der Sitzung vom 3. März 1926 auf die Orientierung \"Hauptschlag gegen die Ultra-Linken\". Nur nach ihrer Zerschlagung konnte man die Verhandlungen mit Scholem und Rosenberg aufnehmen_ 16In seiner Abneigung des \"Kampfes an zwei Fronten\" (Sinowjew war für den Schlag gegen die \"Rechten\") wurde Stalin von Bucharin unterstützt. Dieser wollte aber \"weichere\" Methoden anwenden und sprach oft über die Begrenzung des Zentralismus im EKKI und über die Heranziehung der besten Kräfte aus einzelnen Sektionen.Nicht zufällig wandte sich Ruth Fischer an ihn und Pjatnitzki, um ihre Verbannung in Moskau beenden zu können. Das half wenig, da von deutscher Seite ständig entgegengesetzte Bitten kamen. Das Protokoll der Sitzung vom 28. Mai 1926 entspricht der Beschreibung der Ereignisse, die Ruth Fischer zwanzig Jahre später aufgeschrieben hat: Sie kam persönlich und forderte von den Anwesenden ihren Paß. Die Russische Delegation gab nach, und es blieb ihr nur festzustellen, daß die Ausreise von Ruth Fischer \"den Bruch der Partei- und Komintern-Disziplin bedeuten würde\".17 Noch im Juni versuchte Sinowjew, diesen Beschluß abzumildern,18 aber umsonst.Das Reue-Szenario der Linken (Ruth Fischer, Schwan, Scholem und Urbahns) während des VII. EKKI-Plenums wurde im Büro der Russischen Delegation am 6. Dezember detailliert ausgearbeitet. Es mußte eine geschlossene Kommission gebildet werden, damit die Linken keinen Zutritt zum Plenarsaal hatten. Nur nach der vollen \"ideologischen Selbstentlarvung\" konnte die Frage nach der Rückkehr der Linken gestellt werden. Und das war nicht der Fall.Eine endgültige Überwindung der linken Opposition stellte automatisch die Frage nach der Koexistenz mit den \"Rechten\", vor allem mit der Gruppe Ernst Meyer in der KPD. Ernst Thälmann war schon zu Beginn des Kampfes an der zweiten Front bereit, aber sein Patron hielt das für zu früh. Stalin wußte, daß ein harter Kampf gegen die \"Rechten\" sein Verhältnis zu Bucharin belasten würde, weshalb er eine abwartende Po-sition einnahm.14 Protokoll N 2 der Sitzung der Russischen Delegation am 12. Januar 1926, in: ebenda, 508/1/4, 81. 2. 15 Am 4. April 1926 bekam die KPD für den Volksentscheid über die Enteignung des Fürstenvermögensdarüber hinaus 38.000 Dollar. Vgl. das Protokoll N 14 der Sitzung der Russischen Delegation vom 4. Juni 1926, in: ebenda, 508/1/23, BI. 1. 16 Protokoll N 4 der Sitzung des Büros der Russischen Delegation während des VI. EKKI-Plenums am 3. März 1926, in: ebenda, 508/l/l l, 81. 4. 17 Protokoll der Sitzung der Russischen Delegation am 28. Mai 1926, in: ebenda, 508/ l/28. 18 Ebenda, 508/1/29. 88 JHK 1993Aufsätze und MiszellenMehr noch, er ließ Bucharin als Schiedsrichter zwischen Thälmann und Meyer auftreten. Zweimal (am 24. und 26. Dezember 1926) mußten die Delegationen der KPD und der KPdSU sich treffen, um einen notwendigen Kompromiß zu finden. Da Thälmann erst im letzten Moment seine Position änderte und seine Forderungen abmilderte, ist hier der Einfluß von Stalin zu vermuten. Die gemeinsame Erklärungl9 bedeutete eine gewisse Einschränkung der Thälmann-Führung. Gleichzeitig aber wurde Stalins Gefolgsmann Lorninadse zum Vertreter des EKKI in der KPD ernannt, was die personelle Moskauer Kontrolle der KPD-Führung erleichterte.20Diese Treffen waren der Beginn einer großen Tradition der politischen Entscheidungen außerhalb der statutgemäßen Gremien. Das nächste Treffen fand während des VIII. EKKI-Plenums am 25. Mai 1927 statt. Sein Beschluß bestätigte die Parteilinie in bezug auf die linke Sozialdemokratie (was mehr den Ansichten der Meyer-Gruppe entsprach), aber hob die Losung der Arbeiterkontrolle auf.21Trotz aller Bemühungen Meyers, die kapitalistische Rationalisierung als beiderseitigen Prozeß darzustellen, von dem auch gewisse Teile der Arbeiterklasse profitieren könnten, gewann die primitive Vorstellung von der revolutionären Abstinenz die Oberhand: \"Es ist gleichgültig für die Arbeiterklasse, ob dieser oder jener Wirtschaftszweig in den Händen einzelner Kapitalisten oder in den Händen des kapitalistischen Staates als Gruppe der Kapitalisten bleibt. \"22 Die Anwendung der \"puren\" Klassenterminologie führte die Komintern in die ideologische Sackgasse, aus der nur ein Ausweg möglich war, nämlich die Abwendung von der Realität der sich veränderten Welt. Und diese Abkehr wurde einige Jahre später mit der Theorie der \"dritten Periode\" von Stalin besiegelt.Neue Akzente waren vor allem im Teil des Beschlusses vom 25. Mai bemerkbar, der der innerparteilichen Situation gewidmet war. Wie früher, mußte \"der Kampf gegen die Maslow-Anhänger innerhalb der KPD bis zu ihrem Ausschluß geführt werden\". Gleichzeitig hieß es: \"Was die Rechten anbetrifft, müssen die Vorbesprechungen mit ihnen vor den ZK-Sitzungen aufhören, aber Gen. Böttcher datf nicht abberufen werden.\"23Dieser Versuch, die KPD weiter zu bolschewisieren, trug in sich Keime der späteren Spaltung. Noch eine Perspektive der Kluft wurde bei der Ernennung des deutschen Vertreters im EKKI deutlich. Im Beschluß vorn 25. Mai stand: \"Es ist wünschenswert, Genosse Braun [d.i. A1thur Ewert, A.W.] weiter zu nominieren.\" Doch Thälmann hatte einen anderen Kandidaten - Heinz Neumann.In den Akten der Russischen Delegation ist eine handschriftliche Notiz Bucharins erhalten geblieben: \"Deutsche Delegation schlägt für Präsidium Neumann vor. Wir sind der Meinung, daß nicht dieser letzte, aber Ewert gewählt werden muß. Wir wollen diese Frage zur Abstimmung im Büro der Delegation der KPdSU bringen.\"Abgesehen davon, daß dieser Eingriff den Regelungen des Komintern-Statuts widersprach und den weitergehenden Degradierungsprozeß ihres politischen Mechanismus anschaulich zeigte, konnte er nicht die geheimen Hebel der Macht in seine Richtung bewe-19 Abgedruckt in Weber, Hermann: Die Wandlung des deutschen Kommunismus. Die Stalinisierung derKPD in der Weimarer Republik. Bd. l. Frankfurt am Main 1969. S. 422 f. 20 Protokoll der gemeinsamen Sitzung der Delegationen der KPdSU und der KPD (Vertreten durch dieGen. Tbälmann und Meyer) am 24. Dezember 1926, in: RZAED\'.\\:G, 508/1/45. 21 Protokoll der gemeinsamen Sitzung der Russischen und Deutschen Delegation während des VIII.EKKI-Plenums am 25. Mai 1927, in: ebenda, 508/1/52, BI. l.22 Ebenda.23 Ebenda. A. Watlin: Russische Komintern-DelegationJHK 1993 89gen. Es gelang Bucharin, die Unterschriften von Manuilski, Kuusinen, Lominadse, Schatzkin und Pjatnitzki zu sammeln. Aber es fehlte noch eine, die wichtigste Unterschrift, nämlich die von Stalin. Bucharin konnte nur unten hinzufügen: \"Genosse Stalin hat diesen Vorschlag gesehen. 29. Mai 1927.\"24 Aber Stalin führte schon sein eigenes Spiel, und seine Pläne wurden auf dem nächsten Treffen beider Delegationen im Februar 1928 bestätigt.Finanzen und Struktur der Komintern unter Kontrolle der Russischen DelegationIn der Delegation der KPdSU wurde faktisch die operative Verwaltung der KominternAngelegenheiten konzentriert. Obwohl alle ihre Beschlüsse mit den Worten begannen: \"Dem Präsidium des EKKI ist vorzuschlagen... \", hatten sie normative Kraft. Das verstanden auch alle Vertreter der kommunistischen Parteien in Moskau, die in besonders wichtigen Fällen ihre Bitten und Beschwerden direkt an die Russische Delegation richteten. Sie wurde auch zum Vermittler zwischen dem Exekutivkomitee der Komintern und dem Politbüro des ZK der KPdSU, in dem nur ganz wichtige Probleme behandelt wurden.Es gab kein Ereignis in der Geschichte des Klassenkampfes und der internationalen kommunistischen Bewegung, das nicht in der Russischen Delegation erörtert wurde. Hier wurde die Entscheidung über die Integration der Guomindang in die Komintern als \"sympathisierende Partei\" getroffen,25 hier wurde auch beschlossen, in welcher Form das VIII. EKKI-Plenum über den Bruch der Guomindang mit der KP Chinas erfahren durfte.26Der Generalstreik in England im Mai 1926 und sein Einfluß auf die Revolutionierung Europas standen im Mittelpunkt der Arbeit der Russischen Delegation, wobei (wie nach dem \"deutschen Oktober\") \"die Niederlage des Streikes durch den Verrat der britischen Gewerkschaftsführer\" wieder heftige innerparteiliche Auseinandersetzungen hervorgerufen hat. Die Existenz des Englisch-Russischen Komitees der Gewerkschaften beider Länder wurde im ZK der KPdSU als Druckmittel gegen die Reformisten in Trade Unions interpretiert, die vereinte Opposition sah darin nach dem Streik nur das Tarnmanöver der \"gelben\" Gewerkschaftsführer.27Für Trotzki war der englische Streik eine volle Bestätigung der in seinem Buch \"Wohin treibt England\" dargelegten Perspektiven. Er unterbreitete der Delegation am 18. Juni 1926 seinen Resolutionsentwurf über die Folgen des Streiks, die \"entweder die Stabilisierung der bürgerlichen Systeme oder die Beschleunigung der revolutionären Entwicklung mit sich bringen\".28 Wie viele andere Dokumente der Oppositionellen verstaubte auch dieser Entwurf in den Akten der Russischen Delegation.Ihre \"informelle\" Macht stützte sich nicht nur auf die Autorität der stärksten Partei, sondern auch auf die scheinbar unerschöpflichen Finanzquellen des Sowjetstaates. Die24 Ebenda, BI. 3. 25 Protokoll der Sitzung der Russischen Delegation am 17. Februar 1926, in: ebenda, 508/1/8. 26 Protokoll der Sitzung der Russischen Delegation am 4. Mai l927, in: ebenda, 508/1/50. 27 Brief von Trotzki und Kamenew an das Politbüro des ZK der KPdSU vom 9. August 1926, in: ebenda,508/1/106. 28 Thesenentwurf von Trotzki zum englischen Generalstreik, in: ebenda, 508/ l/29, BI. 20. 90 JHK 1993Aufsätze und MiszellenPartei der Bolschewiki hatte die Staatsmacht erobert, und ihren Führern schien es selbstverständlich zu sein, die Staatskasse für die Revolutionspläne in der ganzen Welt auszubeuten. Noch in der Anfangsphase der Komintern, als in Moskau überwiegend Edelsteine und Diamanten als Revolutionswährung galten, mußte sich Lenin wegen der Komintern-Agenten beschweren, die im Ausland die Millionen des Sowjetstaates nach links und rechts schleuderten.29Mitte der zwanziger Jahre war das Budget der Komintern schon unter strenger Kontrolle, selbstverständlich unter der der russischen Partei. Die Delegation der KPdSU prüfte die jährlichen Ausgaben in den einzelnen Sektionen, die dann zusammengefaßt als Jahresbudget der Komintern vom Politbüro des ZK der KPdSU gebilligt werden mußten.30 Da Pjatnitzki als Vorsitzender der Budgetkommission des EKKI auch Mitglied der Russischen Delegation war, konnte er mühelos die russischen \"Vorschläge\" in internationale Beschlüsse umwandeln.Anfang des Jahres 1926 gab es in der Komintern Gerüchte, wonach ihr Vorsitzender große Geldmittel für die Unterstützung linker Oppositioneller ins Ausland überwiesen habe. Um dieses Machtinstrument zu erhalten, wandte sich Stalin über seinen Sekretär Towstucha mit einem Fragebogen an Pjatnitzki, in dem unter anderem folgende Fragen standen: \"Wer verteilt das Geld für die einzelnen Parteien? Wer bekommt wieviel? Er [Stalin - A.W.] bittet, diese Fragen ohne russische Mitglieder des EKKI-Präsidiums zu behandeln [...].\" Pjatnitzki antwortete, daß ständige Ausgaben von der besonderen Kommission des Politbüros gebilligt werden müssen. Die Russische Delegation könne jedoch über Sonderausgaben selbst entscheiden. Jede Partei bekomme die zugebilligten Summen einmal in drei Monaten.31Es wurde zur großen Kunst für die Vertreter der einzelnen Parteien, ihre russischen Genossen von der Notwendigkeit immer größerer finanzieller Unterstützung zu überzeugen. Mitteilungen über die Repressalien bürgerlicher Regierungen gegen die Kommunisten, neue Revolutionspläne und auch die Verschuldungspapiere hatten immer gute Chancen, Zustimmung in der Russischen Delegation zu finden. In den ruhigen Jahren waren die Sonderausgaben gewöhnlich für den Erwerb von Immobilien (wie Parteihäuser etc.) oder die Unterstützung der kommunistischen Tagespresse bestimmt. Manchmal aber wurde das Geld in die Länder geschickt, in denen sich nach Meinung der Delegation günstige Zukunftsperspektiven eröffneten. So bekam im August 1926 die kleine KP Indiens für die \"Aktivierung ihrer Arbeit\" 100.000 Goldrubel.32 Es mangelte nicht an den \"vor Ort\"-Berichten. Besonders aktiv war in dieser Hinsicht die chinesische KP, deren Politbüro nach der Niederlage des Kanton-Aufstandes sehr hohe Summen von der russischen Partei forderte, und zwar mit folgender Begründung: \"Wir bitten Euch in diesem historisch entscheidenden Moment uns mehr und mehr materielle Hilfe zu leisten, damit wir bald den weißen Terror in China besiegen können. \"3329 Iswestija ZK KPSS, (1990), Nr. 4. S. 156. 30 Protokoll N 2 der Sitzung der Russischen Delegation am 12. Januar 1926, in: RZAEDNG, 508/1/4. 31 Vgl. den Brief von Towstucha vom 16. März 1926 und die Antwort vom 20. März, in: ebenda,508/1/102, BI. 151, 153. 32 Protokoll N 20 der Sitzung der Russischen Delegation am 8. August 1926, in: ebenda, 508/1/34. 33 Brief des Politbüros des ZK der KP Chinas an die Russische Delegation, ohne Datum, in: ebenda,508/l/l 12b. A. Watlin: Russische Komintern-DelegationJHK1993 91Auch die innere Entwicklung der Kominternspitze hing von den Beschlüssen der Russischen Delegation ab. Auf der Sitzung der Delegation vom 1. Dezember 1926 schlug Pjatnitzki vor, statt des Vorsitzenden der Komintern ein Politsekretariat wählen zu lassen, um die kollektive Führung nach der Ausschaltung der Opposition im EKKI wiederherzustellen-34 Zwei Wochen später bestimmte die Delegation der KPdSU auch die personelle Zusammensetzung dieses Organs: Bucharin, Manuilski, Pjatnitzki, Kuusinen, Erkoli, Smeral, Roy, Vertreter der KPD und FKP sowie als Kandidaten Molotow, Losowski, Murphy und Humbert-Droz.35Viel schwieriger war die Gründung des westeuropäischen Büros des Exekutivkomitees der Komintern (WEB). Obwohl die Idee der operativen Verwaltung \"vor Ort\" schon längst in der Luft schwebte und ähnliche Schritte ab 1919 unternommen wurden, hatte die Moskauer Komintern-Bürokratie immer Angst, daß sie durch diese neue Struktur eigene Kompetenzen beschränken könnte. Obwohl die Bildung des WEBs in der Delegation am 15. März 1927 prinzipiell beschlossen und dem Präsidium als \"Vorschlag\" übermittelt wurde,36 mußte diese Frage noch einige Male auf die Tagesordnung der Russischen Delegation gesetzt werden. Am 11. Januar 1928 wurde der Beginn der WEBArbeit definitiv entschieden mit der Anmerkung, \"als den Sitz des Büros wünschenswert Frankreich zu nennen\",37 aber erst nach dem VI. Kongreß konnte das WEB seine Arbeit in Berlin beginnen.Alle wichtigen Kaderfragen - \"die heiligsten aller heiligen\" in der Kominternpolitik wurden in der Delegation vorbesprochen. Das betraf sowohl die Mitglieder des Präsidiums und Politsekretariats als auch Mitarbeiter des EKKI-Apparats. Besonders aktiv wurde diese Mitarbeit während der Plenen und des VI. Kongresses, als viele neue Kader die \"Abweichler\" oder \"Provokateure\" ersetzen mußten.Keine Ausnahmen bildeten auch die Direktiven für die Zusammensetzung der einzelnen Parteispitzen. Mehr als zehnmal wurde in der Russischen Delegation die Kaderpolitik der polnischen Partei besprochen, wo es immer nicht gelang, die \"goldene Mitte\" zwischen der Mehrheit und der Minderheit zu finden. Während des VI. Kongresses beschloß die Delegation die Neubildung des ZK der KP Frankreichs, in dessen Politbüro nur linientreue Funktionäre wie Doriot, Kachen und Reno Jean bleiben durften.38Auf derselben Sitzung am 25. August 1928 wagte das Büro der Delegation in der Abwesenheit von Stalin nicht zu entscheiden, wer in das neue EKKI (Präsidium und Politsekretariat) \"gewählt\" werden mußte. Das Telegramm mit der entsprechenden Bitte war in den Kaukasus geschickt worden, wo sich Stalin im Urlaub befand.39 Er antwortete am 31. August, daß \"das Politsekretariat so zusammengestellt werden muß, daß dort das entscheidende Gegengewicht zu Smeralschen40 Tendenzen gesichert wäre. Für die bessere Verbindung mit dem ZK [der KPdSU] schlage ich vor, Molotow in das Politse-34 Ebenda, 508/1/40. 35 Protokoll N 7 der Sitzung des Büros der Russischen Delegation während des VII. EKKI-Plenums am14. Dezember 1926, in: ebenda, 508/1/43. 36 Ebenda, 508/1/49. Mitglieder: Kuusinen, Manuilski, Erkoli oder Humbert-Droz. 37 Protokoll N I der Sitzung der Russischen Delegation am 11. Januar 1928, in: ebenda, 508/ 1/56. 38 Protokoll N 4 der Sitzung des Büros der Russischen Delegation am 25. August 1928, in: ebenda,508/1/67, Bl. 2. 39 Ebenda, Bl. 4. 40 Gemeint ist Bohumir Smeral (1880-1941 ), Mitbegründer der KPTsch, der ab 1921 wichtige Funktio-nen im EKKl innehatte. 92 JHK 1993Aufsätze und Miszellenkretariat des EKKI hineinzuführen\".41 Damit wurden die letzten Vorbereitungen Stalins zum entscheidenden Kampf um seine Alleinherrschaft in der Komintern und der KPdSU abgeschlossen.Die Russische Delegation selbst erlebte dieselben Tendenzen, die im politischen Leben Rußlands und der Komintern schon in den zwanziger Jahren bemerkbar gewesen waren. Als Antwort auf die immer größer werdende Zahl von zu lösenden Problemen wurden immer neue Strukturen geschaffen, mit dem Ziel, im \"engeren Führungskreis\" die prinzipiellen Lösungsansätze zu finden. So war es in der KPdSU: vom demokratischen Entscheidungsbereich der Parteitage und Plenen zu Politbüroentscheidungen, Trojka-Abkommen usw., und ähnliches erlebte die Komintern: von Kongressen zum EKKI, vom EKKI zum Präsidium, vom Präsidium zum Politsekretariat.Die gesamte Russische Delegation mußte anfangs darüber entscheiden, ob der österreichische Sozialdemokrat Karl Renner ein Einreisevisum in die Sowjetunion verdiente42 oder Karl Radek nach der Einladung der Independent Labour Party {ILP) nach Großbritannien ausreisen durfte.43 Auf der vierten Sitzung der Delegation, am 13. Februar 1926, wurde sodann ein Büro geschaffen, dem Sinowjew, Stalin, Pjatnitzki, Bucharin und Manuilski angehörten.44 Während des VII. EKKI-Plenums bekamen Stalin und Bucharin die Vollmacht, \"alle dringenden Fragen selbst zu entscheiden\".45 Am 10. Januar 1927 schlug Pjatnitzki folgende Resolution vor: \"Alle laufenden Fragen der Arbeit im EKKI können von dem Genossen Bucharin, Manuilski, Kuusinen, Losowski, Schatzkin und Pjatnitzki entschieden werden, ohne die Delegation der KPdSU zusammenzurufen. In der Delegation nur prinzipielle Fragen aufwerfen. \"46Diese \"ruhige\" Periode dauerte bis zum Ende des Jahres 1927. Dann zeigten Stalin und Molotow ihr erneutes Interesse an Sitzungen im Büro der Russischen Delegation. Das bedeutete vieles für die Komintern-Funktionäre, die längst perfekt zwischen den Zeilen lesen konnten.Das Jahr 1928 - Linkswendung der Komintern und Niederlage der \"Rechten\"Der XV. Parteitag der KPdSU im Dezember 1927 schien nicht nur für die russischen Parteimitglieder ein \"Parteitag des Sieges\" zu sein. Die Niederlage und der Ausschluß der Opposition Trotzki-Sinowjew mußte den Weg zur konstruktiven Zusammenarbeit in der Spitze der KPdSU öffnen; das behaupteten wenigstens die Sieger selbst. Der KantonAufstand war rechtzeitig da, um die Frage nach der Verantwortung für die blutigen Ereignisse im Frühling 1927 zu entschärfen, als die Guomindang einen offenen Kampf gegen die KP Chinas begann.Auch die europäischen Ereignisse 1927 ermöglichten Bucharin, in seinem KominternBericht auf dem Parteitag über das Heranreifen der neuen revolutionären Krisen spre-41 Telegramm Stalins an Pjatnitzki aus Sotschi vom 31. August 1928, in: RZAEDNG, 508/1/118. 42 Protokoll N 10 der Sitzung der Russischen Delegation am 14. Mai 1926, in: ebenda, 508/1/25. 43 Protokoll N 16 der Sitzung der Russischen Delegation am 23. Juni 1926, in: ebenda, 508/1/30. 44 Protokoll N 4 der Sitzung der Russischen Delegation am 13. Februar 1926, in: ebenda, 508/1/7.45 Protokoll N 1 der Sitzung der Russischen Delegation während des VII. EKKI-Plenums am 22. Novem-ber 1926, in: ebenda, 508/1/36, BI. 2. 46 Protokoll N 10 der Sitzung der Russischen Delegation am 10. Januar 1927, in: ebenda, 508/1/46, BI. 2. A. Watlin: Russische Komintern-Delegation.!HK 1993 93chen zu können und damit seine Innovation der \"Linkswendung\"47 in der Politik der europäischen KPs mühelos durchzusetzen.Am 17. Dezember 1927 stellten Stalin, Rykow und Bucharin einen gemeinsamen Entwurf zur Resolution über die Arbeit der KPdSU in der Komintern vor, der fast unverändert von der entsprechenden Kommission des Parteitages gebilligt wurde.48In der Spitze der KPdSU trat jedoch keine Entspannung der Atmosphäre ein, und die Einführung der neuen Komintern-Taktik wurde neben den inneren Problemen der sowjetischen Wirtschaft zum Grund für die Konflikte zwischen Stalin und seinen neuen \"rechten\" Rivalen in der KPdSU. Für Bucharin bedeutete die \"Linkswendung\" vor allem einen totalen Angriff gegen die Sozialdemokratie in ihren westeuropäischen Hochburgen, für Stalin war die Aufgabe, die europäischen Kommunisten von \"parlamentarischen Illusionen\" zu befreien und diese weiter zu disziplinieren, viel wichtiger. Auch der Wettstreit zwischen beiden Führern, als Initiator der \"Wende\" und damit als \"erster Mann\" in der Komintern anerkannt zu sein, spielte dabei eine nicht geringe Rolle. Schon die ersten Sitzungen der Russischen Delegation nach dem XV. Parteitag zeigten die großen Differenzen bei der Realisierung der \"Linkswendung\".Der Gewerkschaftsführer Losowski wollte auf dem 4. Kongreß der Profintern (Rote Gewerkschaftsinternationale) eine strategische Linkswendung vornehmen, um die Gewerkschaftsbewegung in allen europäischen Ländern von Reformisten abzuspalten. Am 5. Januar richtete er den entsprechenden Brief an die Russische Delegation, in dem es eindeutig hieß: \"In vielen Ländern ist die Politik der Einheitsfront und der (Gewerkschafts-)Einheit in die Sackgasse geraten. \"49 Um die kommunistischen Parteien von dem \"Fetischismus der gewerkschaftlichen Einheit\" zu befreien, wurde die Bildung eigener Gewerkschaften vorgeschlagen.In Wirklichkeit konnte es nichts anderes bedeuten, als die Spaltung der Arbeiterbewegung zu vollenden, um steuerbare Strukturen zu schaffen und damit die Existenz der Profintern-Bürokratie zu rechtfertigen. Besonders in Deutschland sollte dieser Rückfall zur Fischer-Maslow-Politik folgenschwere Prozesse nach sich ziehen.Am 11. Januar 1928 faßte die Russische Delegation (Bucharin, Stalin, Tomski, Losowski, Rykow und Pjatnitzki) folgenden Beschluß: \"Die Aufstellung der Aufgabe, die Minderheitsgewerkschaften nach dem englischen Vorbild zu organisieren, als Generalaufgabe für alle Länder, wo diese Organisationen noch nicht existieren, ist als falsch zu betrachten [... ].Inder heutigen Situation in Deutschland könnte solche Opposition nach dem Typ der Minderheitsgewerkschaften schädlich sein, es sei vor allem an die Stärkung und Arbeitsverbesserung der Kornfraktionen in den Gewerkschaften zu denken.\"50 Schon ein Jahr später, nach Ausschaltung der letzten Opposition in der KPD und der KPdSU sollte \"die Situation\" es erlauben, diese verhängnisvolle Taktik durchzusetzen.Obwohl auf dem IX. EKKI-Plenum Stalin und Bucharin noch gemeinsam den Resolutionsentwurf zur chinesischen Frage vorgelegt hatten, bildete die Kominternpolitik in diesem Lande schon die Gefahr des Konflikts zwischen beiden Führern. Wie üblich be-47 Die oft umstrittene Rolle Bucharins bei der Ausarbeitung der neuen Politik wird dargelegt in: Watlin, Alexandr: Bucharin in der Komintern: revolutionäre Sicht der Welt, in: \"Liebling der Partei\". N.J. Bucharin als Theoretiker und Praktiker des Sozialismus. Hamburg l 989.48 RZAEDNG, 508/1/108. 49 Brief von Losowski an die Russische Delegation vom 5. Januar 1928, in: ebenda, 508/ 1/56, BI. 39. 50 Ebenda, 508/1/56, BI. 2. 94 JHK 1993Aufsätze und Miszellengann Stalin seine nächste Partie im innerparteilichen Schachspiel mit dem \"Bauer\" von links. Lominadse fühlte sich durch die Bucharinsche Kritik des Kanton-Aufstandes (Bucharin soll ihn sogar als einen \"Putsch\" bezeichnet haben) zutiefst beleidigt und ging zum Gegenangriff über. In seinen Briefen an die Russische Delegation beschuldigte Lominadse Bucharin, dessen Kritik \"der rechten Fehler und Abweichungen in einzelnen kommunistischen Sektionen\" blockiere die Arbeit, und selbst die jungen Genossen seien in den Verdacht der Fraktionstätigkeit gekommen.51Stalin mischte sich nicht direkt ein, redigierte aber persönlich die Erklärung von Lominadse zur chinesischen Frage.52 Auch in dem Resolutionsentwurf zu diesem Thema, der auf dem IX. EKKI-Plenum vorgelegt wurde, brachte Stalin einige Neuerungen: Er bezeichnete die erste, bürgerlich-demokratische Phase der chinesischen Revolution als beendet und sah schon \"den Übergang der revolutionären Massenbewegung in China zu einer neuen, sowjetischen Etappe\". Stalin unterstrich, daß die Hauptaufgabe der KP Chinas in der damaligen Situation \"eine Agrarrevolution in den sowjetisierten Bauerngebieten wäre sowie eine Organisierung der Roten Armee, damit ihre Einheiten später eine allchinesische Rote Armee bilden\" können.53Bucharin gab ständig in den taktischen Fragen nach, gewiß in der Hoffnung, daß er seinen Ruf als Spitzentheoretiker der Komintern bei der Ausarbeitung ihres Programms behalten könne. Besonders schwere Folgen hatte später seine Unterschrift unter dem Geheimabkommen, das auf der gemeinsamen Sitzung der Delegationen der KPD und KPdSU am 29. Februar 1928 geschlossen wurde und praktisch die strategische Wende im innerparteilichen Leben beider Parteien bedeutete.54Nach dem IX. EKKI-Plenum begann ein ungewöhnlicher Stillstand in der Tätigkeit der Russischen Delegation. Dem Protokoll N 5 der Sitzung vom 15. März 1928 folgte das Protokoll N 6 der Sitzung vom 16. Juli 1928. Das war aber nur die Ruhe vor dem Sturm. In der Zwischenzeit bildete sich der Konflikt zwischen Stalin und den \"Rechten\" in der KPdSU heraus, der sich an der Komintern-Front in der Stalin-Bucharin-Konkurrenz widerspiegelte.Obwohl Bucharin den Entwurf des Komintern-Programms geschrieben hatte, wurde er dem Politbüro des ZK der KPdSU als \"gemeinsames Projekt der Genossen Bucharin und Stalin\" vorgestellt. Mehr noch, Stalin wollte selbst während des Juli-Plenums des ZK der KPdSU den Vortrag über das Komintern-Programm halten. \"Er ist von der Leidenschaft besessen, ein anerkannter Theoretiker zu werden\", sagte Bucharin spöttisch seinem früheren Rivalen Kamenew am Vorabend des VI. Weltkongresses der Komintern.55Was dem Generalsekretär mit dem Programm der Komintern nicht gelang, kompensierte er vollkommen bei der Diskussion der politischen Thesen von Bucharin auf dem VI. Kongreß. Dabei wurde die Delegation praktisch zum Schlagstock in den Händen Stalins degradiert. Am 16. Juli 1928 nahm die Delegation den Thesenentwurf von51 Brief von Lominadse an die Russische Delegation vom 11. Februar 1928, in: ebenda, 508/1/118. 52 Erklärung von Lominadse zur chinesischen Frage, in: ebenda, 508/1/58, BI. 3. 53 Thesen von Bucharin und Stalin zur chinesischen Frage vom 28. Februar 1928, in: ebenda, 508/l/112a. 54 Protokoll der gemeinsamen Sitzung der Delegationen der KPdSU und der KPD am 29. Februar 1928,in: ebenda, 508/1/59. Das Geheimabkommen ist abgedruckt bei Weber, Hermann: Zu den Beziehungen zwischen KPD und Komintern, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 16. Jg. (1968), H. 2. S. 207f. 55 Watlin, Alexandr: Trotzki und Komintern. Moskau 1991. S. 43 (russ.). A. Watlin: Russische Komintern-DelegationJHK 1993 95Bucharin an, um am nächsten Tag den sehr verspäteten Kongreß eröffnen zu können.56 Es war aber nur der Anfang des großen Spiels. Am nächsten Tag faßte die Delegation der KPdSU auf dem Kongreß den Beschluß, den Entwurf noch einmal zu diskutieren und zu korrigieren.57 Schon die Zusammensetzung des Büros der Delegation, dem diese Aufgabe übergeben wurde, zeigte die Vorbereitung zur großen Schlacht: Stalin, Bucharin, Molotow, Rykow, Manuilski, Losowski, Pjatnitzki, Tomski und Skrypnik (in dieser Reihenfolge).Die Gerüchte über den \"Korridorkongreß\" vermehrten sich unter den ausländischen Delegierten ständig. Die Russische Delegation nahm praktisch nicht an der Plenarsitzung teil, Bucharin selbst war ganz nervös und gespalten. Während der Sitzung des Büros der Delegation am 24. Juli gelang es Stalin, praktisch alle Korrekturen vorzunehmen, die er später als seinen Kampf gegen die rechte Abweichung selbst gelobt hat.58 Der Kampf gegen die \"Rechten und Versöhnler\" wurde zur Hauptaufgabe der kommunistischen Parteien erklärt und \"eiserne Disziplin\" von ihnen gefordert.59 Es begann die Schlußphase der Stalinisierung der Komintern. Doch für Stalin war dies nicht genug, er wollte eine öffentliche Diskreditierung von Bucharin. Auf der Sitzung der Russischen Delegation am 25. Juli stand dieser faktisch vor Gericht. Die Rolle des Anklägers spielte wiederum Lominadse, der dadurch in der theoretisch-politischen Hierarchie auf das gleiche Niveau der Komintern gestellt wurde. Seine Abänderungsvorschläge waren offensichtlich \"linker\" Natur und mündeten in der Forderung, daß in den Thesen die nächsten Aufgaben der Kommunisten folgendermaßen beschrieben werden müßten: Angesichts der Annäherung des neuen Revolutionsaufschwungs in mehreren europäischen Ländern ist der Kampf für die Diktatur des Proletariats vorzubereiten.60 Dieser Vorschlag wurde von der Russischen Delegation angenommen, genauso wie die Stalin-Forderung, \"den Sieg der Diktatur des Proletariats und des Bauerntums\" als Ziel der chinesischen Revolution zu kennzeichnen.Bucharin verteidigte seine Vision der künftigen Entwicklung vor allem im Bereich der Politökonomie, er blieb bei der Verwendung des Begriffes \"kapitalistischer Entwicklungsprozeß\" und richtete sein Augenmerk nicht auf die neuen Krisen des Kapitalismus, sondern auf die \"grundlegenden Strukturveränderungen der ganzen Weltwirtschaft\". Er kritisierte scharf die putschistische Politik in China: \"Eine große Reihe der [chinesischen, A.W.] Genossen sagte uns, daß sie durch die unerfüllbaren Aufstandsbefehle gequält wurden [...]. Menschen nahmen Streichhölzer und gingen, um den Aufstand anzuzünden.\"61Nach dem Beschluß der Delegation wurde eine neue Fassung der Thesen verteilt. So konnte jeder Delegierte des Kongresses feststellen, was Bucharin \"versäumt\" hatte. Die Atmosphäre auf dem Kongreß wurde durch die Forderung von Bucharins Rivalen wie56 RZAEDNG, 508/1/61. 57 Protokoll N I der Sitzung der Russischen Delegation am 17. Juli 1928, in: ebenda, 508/ 1/62, BI. 1. 58 Die Rede Stalins auf dem April-Plenum des ZK der KPdSU (1929) ist abgedruckt in: Stalin, J.W.:Werke. Bd. 12. Dortmund 1976. S. 1 ff. 59 Protokoll N 2 der Sitzung des Büros der Russischen Delegation am 24. Juli 1928, in: RZAEDNG,508/1/64, BI. 1. 60 Protokoll N 2 der Sitzung der Russischen Delegation am 25. Juli 1928, in: ebenda, 508/1/65, BI. 4. 61 Ebenda, BI. 8-10. 96 JHK 1993Aufsätze und MiszellenBela Kun oder Ernst Thälmann nach der baldigen politischen Entlassung von Bucharin noch zusätzlich vergiftet.62Auch viele der politischen Freunde Bucharins fühlten sich durch den neuen Konflikt in der Spitze der KPdSU ernsthaft bedroht. Das betraf vor allem die deutschen \"Bucharinisten\". Im Gegensatz zu früheren Zeiten fand das traditionelle Treffen der deutschen und russischen Delegation während des VI. Kongresses nicht statt. Die Kluft zwischen \"Rechten und Versöhnlern\" sowie der Thälmann-Mehrheit in der KPD war zu tief geworden. Beide Seiten waren schon zu einem offenen Schlagabtausch bereit. Dabei plante Thälmann die \"entscheidende Offensive\" und wartete nur, bis die russischen Freunde die deutschen \"Rechten\" endgültig \"kalt stellen\".Noch am 15. Mai gelang es Bucharin, August Thalheimer \"wegen dringender Familienangelegenheiten\" ausreisen zu lassen.63 Dies bedeutete eine wesentliche Unterstützung der \"Rechten\" in Deutschland, obwohl Thalheimer während des VI. Kongresses eine abwartende Position einnahm und sich erst mit der Wittorf-Affäre an die Spitze der Opposition in der KPD stellte. Trotz aktiver Bemühungen konnte Bucharin zwei Monate später im Büro der Russischen Delegation keine offene Aussprache über die Differenzen in der KPD durchsetzen. Der Büro-Beschluß vom 20. Juli 1928 lautete: \"Diese Frage ist zu verschieben; es wäre nötig, daß Genosse Stalin sich mit Genossen Ewert trifft. \"64 Es ist nicht bekannt, ob dieses Treffen tatsächlich stattgefunden hat, aber in der nächsten Sitzung des Büros der Delegation wurde beschlossen, daß sich Bucharin in seiner Schlußrede auf dem Kongreß nicht gegen die Taktik der Isolierung und Eliminierung Ewerts aus der KPD-Führung wenden dürfe.65Einige taktische Siege der \"Rechten\" auf dem VI. Kongreß konnten die \"Generallinie\" der stalinistischen Degradierung der Komintern nicht durchkreuzen. Ewert wurde zwar zum Kandidaten des EKKI-Präsidiums gewählt, aber gleichzeitig als \"Versöhnler\" gebrandmarkt. Die zweideutigen Beschlüsse und Resolutionen des Kongresses wiegen weniger als die geheimen Abkommen und Verabredungen bei seiner \"Korridor\"-Fortsetzung.Die Wittorf-Affäre brachte bald Klarheit in die innerparteiliche Situation der KPD und spitzte gleichzeitig den Konflikt innerhalb der Spitze der KPdSU zu. Bucharin war im Urlaub, als nach dem Befehl aus Moskau in Deutschland die Jagd auf die \"Rechten und Versöhnler\" begann. Am 15. Oktober schrieb Stalin einen Brief an Thälmann, in dem er seinen Gefolgsmann zwar auf \"einige Fehler\" hinwies, aber danach sein volles Vertrauen aussprach. 66 Thälmann konnte diesen Vertrauensbeweis rasch ausnutzen, um seine Führungsposition in der KPD abzusichern.Es ist wird gemeinhin angenommen, daß Bucharin nach diesem Skandal seine Arbeit im EKKI eingestellt hat. Das trifft indes nicht ganz zu. Zwar nahm er nicht mehr an or-62 Erklärung von Bela Kun, ohne Datum, in: ebenda, 508/1/118. 63 Ebenda, 495/3/84, BI. 27. Der entsprechende Beschluß wurde außer von Bucharin und Thalheimerauch von Remmele, Smeral und Humbert-Droz unterschrieben. 64 Protokoll N 1 der Sitzung des Büros der Russischen Delegation am 20. Juli 1928, in: ebenda, 508/1/63,BI. 2. 65 Protokoll N 2 der Sitzung des Büros der Russischen Delegation am 24. Juli 1928, in: ebenda, 508/1/64,BI. 1. 66 Vgl. Watlin, Alexandr: Der heiße Herbst des Jahres achtundzwanzig (Zum Problem der Stalinisierungder Komintern), in: Sie schwiegen nicht. Die Opposition zum Stalinismus. Moskau 1990. S. 110 (russ.). A. Watlin Russische Komintern-DelegationJHK 1993 97dentlichen Sitzungen der Russischen Delegation, des Politsekretariats und des Präsidiums teil, doch einmal machte er eine Ausnahme. Am 7. Dezember 1928 nahmen Bucharin und Rykow an der gemeinsamen Sitzung des Politbüros des ZK der KPdSU und der russischen Delegation teil, die nach den Erinnerungen von llumbert-Droz in einer Loge des Bolschoi-Theaters während der Aufführung stattgefunden hat.Auf der Tagesordnung stand nur eine einzige Frage: das Schicksal der \"Rechten und Versöhnler\" in der KPD. Aber für keinen der Teilnehmer dieser Opcrn-Sitzung67 wurde klar, daß damit auch die Zukunft der russischen \"Rechten\" präjudiziert wurde. Das Protokoll der Sitzung ist in den Akten des Politbüros im Zentralen Parteiarchiv nicht überliefert. Bis jetzt ist eine kurze handschriftliche Notiz, die von Pjatnitzki nach der Sitzung gemacht wurde, die einzige originäre Quelle dieser Zusammenkunft. Dort sind folgende Punkte des gemeinsamen Beschlusses genannt:\"1. Den Kurs auf den Ausschluß von Hausen, Galm, Brandler und Thalheimer durchführen.2. Den geschlossenen Brief an das Politbüro der KP Deutschlands abschicken. wo seine jüngsten Fehler genannt und gleichzeitig die Linie des ZK der KPD im großen und ganzen gebilligt werden müssen.3. Im Brief die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Versöhnler unterstreichen, aber es gilt zu versuchen, sie im ZK zu halten.\"68Die elastischen Formulierungen dieses Beschlusses wiederholten praktisch den fadenscheinigen Kompromiß des VI. Kongresses. Es hing jetzt alles von den Parteifunktionären ab, die die reale Macht in ihren Händen hatten und genau wußten, welche Teile dieser widerspruchsvollen Richtlinien zu erfüllen waren.Ab dem 7. Dezember waren die Fronten praktisch abgeklärt. Bucharin wagte als freiwilliger Gefangener der bolschewistischen Disziplin nicht, an der Präsidiumssitzung am 19. Dezember teilzunehmen und den eigenen Standpunkt zu verteidigen.Trotz stürmischen Verlaufs und mutiger Widerstandsreden von Clara Zetkin und Jules Humbert-Droz hatte auch diese Sitzung im Endeffekt wie üblich nur die Dokumente an die KPD zu bestätigen, die schon am 14. Dezember in der Russischen Delegation gebilligt worden waren. Mehr noch: Die Russische Delegation ächtete schon im voraus diejenigen Komintern-Funktionäre, die potentielle Träger der anderen Meinung sein konnten. So mußte laut Beschluß vom 14. Dezember Humbert-Droz nach Südamerika fahren, Ewert wurde nach Indien geschickt, und Gcrhart (d.i. Eislcr) mußte in Moskau bleiben und die Arbeit im skandinavischen Ländersekretariat übernehmen.69Die stalinistische DelegationMit dem Jahr 1928 war der Sieg des Stalinismus sowohl in der Sowjetunion als auch in der Komintern endgültig besiegelt. Das fand seine Widerspiegelung vor allem in der Beschleunigung der \"Linkswendung\", die immer mehr politische Züge verlor und zu einer rein bürokratischen Maßnahme wurde. Im Zentrum dieser Entwicklung stand nach wie67 An der Sitzung während der Oper \"Salko\" nahmen Bucharin, Stalin, Molotow, Rykow, Rudsutak,Ordshonikidse, .laroslawski, Losowski, Chitarow Guscw, Kuusincn und Pjatnitzki teil.68 Protokoll N 7 der Sitzung der Russischen Delegation am 14. Dezember 1928, in: RZAEDNG,508/1/70. BI. 1. 69 Ebenda. 98 IHK 1993Aufsätze und Miszellenvor die Russische Delegation im EKKI, die nach der Ausschaltung von Bucharin einen zweiten Atem zu bekommen schien.Es war aber schon ein anderer Atem. Die Sitzungen fanden zwar häufiger als 1928 statt - im Frühling 1929 gar fast jede Woche -, sie hatten jedoch nun nur noch einen Akklamationscharakter. Die politische Linie wurde schon im engeren Führungskreis (Stalin, Molotow, Manuilski, Pjatnitzki) bestimmt, und die Delegation mußte diese für konkrete Fälle anpassen.So wurde der Frühling 1929 zur Zeit der großen Jagd auf die \"Rechten\", vor allem in den kommunistischen Parteien Österreichs, der Schweiz, der Vereinigten Staaten und der Tschechoslowakei. Losowski ging in seinen zahlreichen Entwürfen noch weiter und schlug im Politsekretariat am 4. Januar 1929 vor, daß die britischen Kommunisten eine Aktion des Austritts der Trade-Unions aus der Labour Party starten müßten.70 Die volle Unkenntnis der realen politischen Entwicklungen in Europa, die solche phantastisch-bürokratischen Projekte förderte, wurde für Stalin zum kleineren Übel, gegenüber einer selbständigen politischen Meinung.Der Entwurf von Losowski wurde zwar von Stalin auf der Sitzung der Russischen Delegation am 8. Januar 1929 zurückgewiesen, aber gleichzeitig wurde eine neue Orientierung für die KP Großbritanniens ausgegeben: Sie mußte die Losung ihres Eintritts in die Labour Party durch die der Spaltung der letzteren ersetzen. Wenn aber bei der Ausführung dieses bedenklichen Beschlusses bei den Parteifunktionären gewisse Zweifel entstanden, so wurde im Beschluß der Russischen Delegation hingewiesen, daß \"genauso wie in anderen Sektionen der Komintern, auch in der KP Großbritanniens die rechte Abweichung zur Zeit die größte Gefahr darstellt\" .71Mehr als früher befaßte sich die Russische Delegation ab 1929 mit den Kaderfragen. Wenn es sich dabei früher um die Spitzenorgane der Komintern handelte, begann man auch schon, ständige Veränderungen in den Führungen einzelner Parteien vorzunehmen. So wurden nach dem Befehl aus Moskau Lovestone und Bittelmann im ZK der KP der Vereinigten Staaten kaltgestellt, und an die Spitze wurde der genehme W. Foster gesetzt.72Einen großen Teil der Arbeit der stalinistischen Delegation nahm die \"Säuberung\" des Komintern-Apparates von Bucharin-Anhängern ein, die gleichzeitig \"die Verstärkung seiner einzelnen Abteilungen durch die russischen Genossen\", also die Russifizierung bedeutete.73 Im Politsekretariat wurde Bucharin durch Manuilski ersetzt, im Präsidium durch Gussew.74 Nach der Initiative der Russischen Delegation beschloß der SeniorenKonvent des X. EKKI-Plenums, eine ständige Kommission zur Überprüfung des Apparates und seiner Befreiung von \"politisch nicht zuverlässigen Genossen\" zu bilden.75 Tm selben Beschluß wurden diese schon namentlich genannt: Als \"Versöhnler\" galten Ebcrlein, Ewert, Humbert-Droz, Eislcr sowie Grollmann und Idelsohn (die früher im Sekretariat Bucharins tätig waren).70 Brief von Losowski an das Politsekretariat des EKKl vom 4. Januar 1929, in: ebenda, 508/1/71, BI. 28-32. 71 Protokoll N 8 der Sitzung der Russischen Delegation am 8. Januar 1929, in: ebenda, 508/1/71, BI. 1. 72 Protokoll N 9 der Sitzung der Russischen Delegation am 29. Januar 1929, in: ebenda, 508/1/72, BI. 1. 73 Protokoll N 8 der Sitznng der Russischen Delegation am 9. April 1929, in: ebenda, 508/1/80, ßl. 1. 74 Protokoll N 17 der Sitzung der Russischen Delegation am 17. Juli 1929, in: ebenda, 508/1/90, BI. 1. 75 Protokoll N 18 der Sitzung der Russischen Delegation am 16. August 1929, in: ebenda, 508/1/91, BI.1-2. A. Watlin: Russische Komintern-DelegationJHK 1993 99Manchmal reichte selbst der administrative Mechanismus der Komintern nicht aus, um die weitere \"Bolschewisierung\" einzelner Sektionen durchzuführen. Dann mußte sich die Delegation an die Organe der russischen Staatsmacht wenden - wie am 15. Mai 1929 an das GPU-Kollegium mit der Bitte, \"die Provokateure in der KP Polens festzustellen\"_76 Die GPU (und später der NKWD) befaßten sich mit dieser Aufgabe so aktiv, daß bis 1939 mehr als drei Viertel aller Funktionäre der polnischen Partei physisch vernichtet wurden. Der Beschluß des EKKI, die KP Polens aufzulösen, war bloß eine logische Konsequenz dieser \"Arbeit\".Die Russische Delegation verwandelte sich 1929 faktisch in die Abteilung des Stalinsehen Sekretariats, sogar ihre Sitzungen fanden gewöhnlich im Arbeitszimmer Stalins im Kreml statt. Andererseits blieb sie für Vertreter der kommunistischen Parteien das eigentliche Machtzentrum im EKKI. Das beweist auch die große Zahl von Bitten, Beschwerden und Denunziationen, die noch lange nach dem stillen Tod der Delegation im Sommer 1930 ihre Akten füllten.77 Nach der Ausrottung jeder Art von politischer Selbständigkeit in der Komintern war die Delegation für Stalin nicht mehr notwendig. Wie immer zog er es vor, seine Politik nicht in statutgemäßen politischen Gremien, sondern mit seinen Kreisen von Politbeamten festzulegen. Als Instrument des innenpolitischen Kampfes in der bolschewistischen Partei geschaffen, blieb die Russische Delegation dieser Aufgabe treu und trug damit wesentlich zum Sieg des Stalinismus in der internationalen kommunistischen Bewegung bei.76 Protokoll N l l der Sitzung der Russischen Delegation am 14. Mai 1929, in: ebenda, 508/1/83, Bl. l. 77 Materialien der Russischen Delegation aus den Jahren 1928-193 l, in: ebenda, 508/ 1/ l 24.

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