JHK 1993

Sowjetische Berater in den zentralen wirtschaftsleitenden Instanzen der DDR in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre1

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 100-117

Autor/in: Andre Steiner (Berlin/Mannheim)

Die sowjetischen Berater in den zentralen wirtschaftsleitenden Instanzen der DDR wurden in der historischen Literatur zur DDR bisher nicht thematisiert. Der vorliegende Beitrag versteht sich als eine erste Annäherung an diesen Gegenstand und die mit ihm verbundene Frage, wie die Sowjetunion nach der zunächst teilweisen Übergabe der Souveränität an die DDR ihre dortigen Interessen konkret wahrnahm. Als Basis werden vor allem die Überlieferungen der zentralen wirtschaftsleitenden Instanzen im Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam, und der SED in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (Berlin) sowie einzelne Dokumente aus dem Archiv des Moskauer Außenministeriums herangezogen. Dabei werden viele Fragen noch offen bleiben. Ihre Beantwortung verlangt sowohl die weitere Auswertung deutscher Aktenüberlieferungen als auch die gezielte Erschließung von sowjetischen Archivbeständen.Beginn der BeratungstätigkeitDie Einrichtung der Institution sowjetische Berater in den zentralen wirtschaftsleitenden Gremien geht formal auf eine am 19. Februar 1954 im Politbüro der SED beratene und am selben Tag von Walter Ulbricht an das Präsidium des ZK der KPdSU herangetragene Bitte zurück.3 Trotzdem sich in den Politbürounterlagen keine Hinweise auf eine vorausgegangene sowjetische \"Empfehlung\" für eine solche Bitte befinden, läßt bereits deren Datierung auf einen Tag nach Abschluß der deutschlandpolitisch gescheiterten Außenministerkonferenz der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion in Berlin (25. Januar bis 18. Februar 1954) den Schluß zu, daß sie bereits länger vorbereitet worden war. Als Reaktion auf die gescheiterte Konferenz erhielt die DDR von der Sowjetunion am 25. März 1954 \"erweiterte Souveränitätsrechte\". Danach stellte der Hohe Kommissar der UdSSR die Überwachung der Tätigkeit der staatlichen Organe der DDR ein, soweit diese nicht Fragen der Sicherheit und der Verbindungen zu den anderen alli-Ich danke Jan Foitzik (Mannheim) dafür, daß er mir die von ihm gefundenen Dokumente zu dem hier behandelten Gegenstand aus dem Außenministerium in Moskau zur Verfügung stellte. Burghard Ciesla (Berlin) sei für die Unterstützung bei der Fertigstellung dieses Beitrages gedankt. 2 Fritz Schenk, ein ehemaliger persönlicher Mitarbeiter des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission (SPK), Bruno Leuschner, berichtete als erster über sie. Vgl. Schenk, Fritz: Magie der Planwirtschaft. Köln, Berlin (West) 1960. S. 96-98; Schenk, Fritz: Im Vorzimmer der Diktatur. 12 Jahre Pankow. Köln, Berlin (West) 1962. S. 262-269. 3 Protokoll Nr. 10/54 der Sitzung des Politbüros vom 19.2.54, in: Zentrales Parteiarchiv der SED in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (im folgenden: ZPA SED), J IV 2/2A/333. Ulbricht an das Präsidium des ZK der KPdSU vom 19.2.54 (russisch), in: ZPA SED, J IV 2/202/27. A. Steiner: Sowjetische BeraterJHK 1993 101ierten Mächten betraf.4 Mit der angeführten Bitte hatte die Sowjetunion offenbar bereits vorgesorgt, denn sie stellte eine Art Voraussetzung für die Erklärung der begrenzten Souveränität dar. Jedoch war die Einführung solcher Berater an den Spitzen der zentralen Wirtschaftsbehörden auch nicht so ungewöhnlich, da auf der Ebene der Betriebe, Institute u.ä. bereits seit 1949 - oft auf Wunsch der betreffenden DDR-Einrichtung - eine Vielzahl sowjetischer Experten tätig war. Außerdem wirkten in den anderen osteuropäischen Ländern derartige Berater bereits seit 1949/50. In der DDR war dies bis dahin aufgrund der Existenz und Tätigkeit der Sowjetischen Kontrollkommission bzw. des Hohen Kommissars nicht erforderlich gewesen.In dem Schreiben Ulbrichts vom 19. Februar 1954 bat die SED, der Regierung der DDR \"auf längere Zeit Berater-Spezialisten\" zur Verfügung zu stellen. Für die SPK wurde ein Berater des Vorsitzenden mit breiten Kenntnissen prinzipieller Fragen der volkswirtschaftlichen Planung angefordert, der außerdem die Plankontrolle aufbauen sollte. Des weiteren waren für die jeweiligen Abteilungen der Planung der Preise, der Warenbereitstellung und des -umsatzes, des Außenhandels, der Arbeitskräfte, der Finanzen sowie der materiell-technischen Versorgung je ein Berater mit den erforderlichen Spezialkenntnissen gewünscht. Im Ministerium der Finanzen (MdF) wollte man je einen Berater für die finanzielle Kontrolle der Wirtschaft sowie für die Aufstellung und Durchführung des Staatshaushalts tätig werden lassen. Weiter sollten zwei Berater im Ministerium für Arbeit eingesetzt werden. Von den Industrieministerien wurden nur für das Maschinenbau- sowie für das Schwerindustrieministerium jeweils zwei Berater für die Minister mit den Schwerpunkten Arbeitsorganisation und Arbeitsökonomik sowie Finanzwirtschaft und Rentabilitätssteigerung der staatlichen Betriebe5 als notwendig erachtet. Die Rechte und Pflichten sowie die Entlohnung der Berater wollte man in einer Vereinbarung zwischen der Regierung der DDR und dem Hohen Kommissar der UdSSR klären.6 Die von den Beratern zu betreuenden Gebiete konzentrierten sich also auf jene, die real eine wirtschaftliche Kontrolle erlaubten, und innerhalb der Industrie auf solche, die trotz des Neuen Kurses weiter als strategisch relevant betrachtet wurden.Ende Mai 1954 stimmte das Politbüro dem Abkommen zwischen den Regierungen der UdSSR und der DDR über die Arbeitsbedingungen der sowjetischen Spezialisten in der DDR zu. Dort wurde festgehalten, daß die Spezialisten auf eine Bitte der DDR-Regierung hin tätig seien. Ihr Aufenthalt sollte auf drei Jahre beschränkt bleiben. Die Bezahlung hatte in DDR-Währung und in Höhe der vergleichbarer deutscher Spezialisten einschließlich der Zuschläge zu erfolgen. Die DDR verpflichtete sich außerdem, \"die tatsächlichen Verluste, die den sowjetischen Ministerien, Organisationen, Institutionen4 Über die Beziehungen der UdSSR zur DDR, in: Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion. Bd. I. Berlin (Ost) 1957. S. 501 f.5 Das \"Volkseigentum\" stellte nur eine formale Form von Vergesellschaftung dar und realisierte sich als Staatseigentum. Daher werden im vorliegenden Beitrag, soweit es nicht Eigennamen betrifft, Staatseigentum bzw. staatliche Betriebe als Synonym für die historischen Begriffe \"Volkseigentum\" bzw. \"Volkseigene Betriebe\" verwandt.6 Ulbricht an das Präsidium des ZK der KPdSU vom 19.2.54, a.a.O. In dem Schreiben wurde noch um Berater für weitere volkswirtschaftliche Bereiche (Landwirtschaft, Verkehrswesen usw.) steuernde Ministerien gebeten, auf die hier nicht weiter eingegangen wird. Die weit höhere Zahl der beantragten Berater in der Liste im Anhang zum Protokoll der Politbüroberatung entsprach wahrscheinlich den Wünschen der jeweiligen Instanzen. Vgl. Protokoll Nr. 10/54 der Sitzung des Politbüros vom 19.2.54, a.a.O. 102 JHK 1993Aufsätze und Miszellenoder Betrieben im Zusammenhang mit der Kommandierung ihrer Mitarbeiter ins Ausland, jedoch nicht mehr als 4.000 Rubel monatlich im Durchschnitt für jeden Spezialisten, entstehen, (zu) ersetzen\".7 Dienstliche Unterbringung und Wohnung sollte durch die DDR kostenlos gewährt werden. Die Finanzierung der Berater und ihrer Tätigkeit erfolgte aus dem DDR-Staatshaushalt. Der Vertrag galt rückwirkend auch für die sowjetischen Lehrer und Wissenschaftler sowie militärischen Ratgeber und Instrukteure, die bereits auf der Basis eines entsprechenden Abkommens vom 21. März 1952 bzw. des Schriftwechsels über dessen Ausdehnung vom 22. September 1952 in die DDR \"kommandiert\" gewesen waren. Der Vertrag von 1954 lehnte sich inhaltlich stark an die Vereinbarungen von 1952 an, die mit diesem daher außer Kraft gesetzt wurden. 8Nach Beendigung der offiziellen Kontrolltätigkeit des Hohen Kommissars der UdSSR wurde der Stellvertreter des Botschafters für ökonomische Fragen, Miroschnitschenko, zum direkten Ansprechpartner für die zentralen wirtschaftsleitenden Instanzen der DDR. Dessen Apparat in der Botschaft umfaßte 20-25 Mitarbeiter, die wahrscheinlich aus dem Amt des Hohen Kommissars übernommen worden und entsprechend den Stellvertreterbereichen der SPK bzw. der Fachministerien der DDR strukturiert waren. Teilweise wurden diese aber zur selben Zeit ausgewechselt. Den im Apparat des Hohen Kommissars für Fragen der Schwerindustrie verantwortlichen Experten berief man nach zweijähriger Tätigkeit im Sommer 1954 ab.9 Die Berater waren administrativ Miroschnitschenko unterstellt. Inhaltlich hielten sie Verbindung zur jeweiligen Fachinstitution in Moskau, die aber wiederum allein über das Außenministerium abgewickelt werden sollte. Die Instruktion der Berater und Spezialisten sah vor, sich in den jeweiligen Instanzen nicht in die Leitungsarbeit einzumischen, sondern nur Ratschläge und Empfehlungen zu geben. Dabei sollten sie aber nicht mechanisch sowjetische Erfahrungen übertragen. Allerdings hatten sie bei Fragen von wesentlicher innerer Bedeutung für das Gastland den Stellvertreter des Botschafters für wirtschaftliche Fragen vor Abgabe von Empfehlungen zu konsultieren. Dieser war ihnen auch weisungsberechtigt. Sie hatten die Pflicht, über die von ihnen beratene Instanz alles in Erfahrung zu bringen.10 Ein Beschluß des Ministerrates der UdSSR vom 16. April 1954 legte fest, welche Institution welche Spezialisten und Berater zur Verfügung zu stellen hatte. Seine Durchführung lag beim Außenministerium. Im Sommer 1954 nahmen die sowjetischen Berater in den jeweiligen DDR-Instanzen ihre Arbeit auf. Bis November 1954 waren in den DDR-Ministerien insgesamt 24 Berater tätig, davon drei in der SPK, zwei im MdF, zwei im Mini-7 Vermutlich bezog sich darauf die von Schenk - wohl irrtümlich - angenommene monatliche Abfindung von 4000 DM für die Berater und 3500 bis 3700 DM für die Spezialisten in der Industrie. Vgl. Schenk: Magie, a.a.O., S. 97.8 Protokoll Nr. 8/54 der Sitzung des Politbüros des ZK vom 1.6.54, in: ZPA SED, J IV 2/2A/354. Soglaschenije meshdu prawitelstwa SSSR i prawitelstwa GDR ob uslowijach raboty sowjetskich spezialistow w GDR, 21.3.52, in: Archiw Wneschnej Politiki Rossiskoj Federazii, Moskwa (im folgenden: AWP) 082/42/54/289, BI. 44-48. Vgl. Schenk: Magie, a.a.O., S. 97; ders.: Vorzimmer, a.a.O., S. 268 f. Die Vorgehensweise belegen auch Dokumente, die sich im SPK-Bestand des Bundesarchivs fanden. Vgl. Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam (im folgenden: BAP) DE 1/5778.9 Sprawka po woprosu nasnatschenija towarischtscha Prodkopajewa... , 15.7.54, in: AWP 082/42/54/289, BI. 94.10 Instrukzija dlja sowjetskich spezialistow-sowetniki ... , (23.6.53), in: AWP 082/42/54/289, BI. 77-82. Diese Instruktion galt für die Berater und Spezialisten in allen osteuropäischen Ländern und wurde auch der sowjetischen Botschaft in der DDR übermittelt. Ebenda, BI. 74. Es kann bisher jedoch nicht geklärt werden, ob diese für die DDR noch einmal verändert wurde. A. Steiner: Sowjetische BeraterJHK 1993 103sterium für Arbeit sowie in den Ministerien für Maschinenbau vier und für Schwerindustrie drei.11 Die jeweiligen sowjetischen Fachinstitutionen hatten sie auf Anforderung des Außenministeriums vorgeschlagen und nach Überprüfung bestätigte sie abschliessend der Apparat des ZK der KPdSU.12 Die die Querschnittsinstanzen SPK, MdF und Ministerium für Arbeit beratenden P. Kokurkin, N. Zapkin und F. Kotow waren früher nicht für die Sowjetische Militäradministration in Deutschland tätig.13 Kotow wurde von der sowjetischen Plankommission (GOSPLAN) in die DDR kommandiert.14 Sie waren im Rahmen der damaligen Vorstellungen und bestehenden Erfahrungen mit Planwirtschaft Fachleute. Dies belegen auch von ihnen vorgelegte Publikationen.15Sowjetische Empfehlungen zum IV. SED-ParteitagFür die Vorbereitung der Beratungen des IV. Parteitages der SED (30. März bis 6. April 1954) zu den wirtschaftlichen Fragen lag Ende März 1954 ein Memorandum vor, das wahrscheinlich im Apparat von Miroschnitschenko entstanden war.16 Darin wurden zunächst wesentliche Mängel in der DDR-Volkswirtschaft dargestellt. Die Landwirtschaft blieb hinter der industriellen Entwicklung zurück. Die energetische und Brennstoffindustrie wurden als volkswirtschaftlicher Engpaß gekennzeichnet. Des weiteren verwies man auf zu geringe Anstrengungen zur Kostensenkung und Gewinnsteigerung sowie auf die damit verbundene geringe Rentabilität vieler Betriebe. Überdies wurden Widersprüche im Plan 1954 sowie die Anspannung in den Aufkommens- und Verteilungsplänen benannt. Daraus resultierten die \"Empfehlungen\" des Memorandum, die in ihrer Diktion zwingend waren und bei der Festlegung der volkswirtschaftlichen Perspektiven in den einzelnen Zweigen berücksichtigt werden sollten. Für die Industrie sahen diese vor, den Plan 1954 entsprechend den gegebenen Möglichkeiten der Materialversorgung insbesondere im Maschinenbau zu senken. Gleichzeitig sollte die Qualität der Produktion in dieser Branche verbessert werden und ihr Profil auf solche Erzeugnisse umgestellt werden, \"für die eine große Nachfrage auf dem Weltmarkt vorhanden ist\". Diese Empfehlung war eine Reaktion auf das Resultat der aus dem Kalten Krieg folgenden \"unhistorischen und dogmatischen Anwendung der Industrialisierungstheorie\" 17 iml l Gritanow an Ochotin, 6.11.54, in: AWP 082/42/54/289, BI. 143. 12 Dies belegen Einzeldokumente in: AWP 082/42/54/289. 13 Vgl. SBZ-Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihreFührungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945-1949. Hrsg. von Martin Broszat und Hermann Weber. München 1990. 14 Gosplan an stellvertretenden Minister, Sorin, 7.7.54, in: AWP 082/42/54/289, BI. 85. 15 Vgl. Kotow, Fedor Iwanowic: Problemy truda i sarabotnoj platy v period perechoda k kommunizmu. Moskwa 1963; Zapkin, N./Kalinkin, N./Nikoforow, B.: Nalogi i sbory s kolchozow i naselenija. Moskwa 1954; Zapkin, N.: Finanzy i kredit w GDR. Moskwa 1959. Letzteres konnte vom Autor für diesen Beitrag nicht eingesehen werden. 16 Denkschrift ohne Titel: \"Bei der Durchführung des Fünfjahrplanes hat die DDR ... \". Abschrift. 3.4.54, in: ZPA SED, J IV 2/202/46. Die Datierung bezog sich auf die Abschrift. Aus dem Inhalt geht hervor, daß das Memorandum aller Wahrscheinlichkeit vor Beginn des SED-Parteitages vorlag. Der folgende Text sowie die Zitate beziehen sich soweit nicht anders gekennzeichnet auf dieses Dokument.17 So charaktisierten dies die ungarischen Wirtschaftshistoriker Ivan T. Berend und György Ranki bezo-gen auf ihr Land bereits 1965. Allerdings muß ihre im Industrialisierungsprozeß selbst wurzelnde Begründung m.E. stärker in den Zusammenhang mit dem Kalten Krieg und der Zwei-Lager-Theorie sowie den daraus resultierenden wechselseitigen Abschottungen gestellt werden. Vgl. Berend, Ivan 104 JHK 1993Aufsätze und MiszellenOstblock. Für den vorrangigen Aufbau der Schwerindustrie war im ersten Drittel der fünfziger Jahre in der DDR die Entwicklung des Schwermaschinenbau forciert worden. Gerade die Sowjetunion hatte im Rahmen der Reparationen und des Außenhandels entsprechende Abnahmewünsche. Die anderen osteuropäischen Länder meldeten aufgrund der dort in ähnlicher Weise vorangetriebenen Industrialisierung ebenfalls Bedarf an. Aber bereits in der zweiten Hälfte 1953 veränderte sich infolge des eingeleiteten Neuen Kurses der Bedarf im Inland. Da in den anderen Ostblockländern 1953/54 vergleichbare Wechsel in der Wirtschaftspolitik stattfanden, führte dies auch im Export zu einem Rückgang der Nachfrage nach Erzeugnissen des Schwermaschinenbau. Darüber hinaus bildeten strukturelle Beeinträchtigungen innerhalb des Maschinenbaus für dessen Gesamtwachstum, die durch diese Politik hervorgerufen worden waren, den Grund für eine solche Änderung, wie sie hier von den sowjetischen Experten empfohlen wurde.18 Sie wiesen ebenso darauf hin, daß man die unausgelasteten Maschinenbaubetriebe für die Herstellung von Ausrüstungen für die Kohleindustrie heranziehen könne, was wiederum eine Voraussetzung bildete, um die empfohlene Umverteilung der Investitionen bei gleichbleibender Gesamthöhe zugunsten der chemischen und Brennstoffindustrie materiell zu sichern. Um auch die Inbetriebnahme neuer Kraftwerkskapazitäten zu gewährleisten, wurden besondere Maßnahmen zur Förderung der Herstellung von Energieausrüstungen als notwendig angesehen. Damit sollten Voraussetzungen geschaffen werden, um die Stromabschaltungen zu beseitigen und die Bevölkerung ausreichend mit Brennstoffen zu versorgen. Jedoch förderte dies auch wieder den Schwermaschinenbau.Weitere Schwerpunkte der Empfehlung waren neben der Landwirtschaft und dem Außenhandel Probleme der Finanzen und des Warenumsatzes in der Bevölkerung. Über globale Forderungen nach Festigung der Plan- und Finanzdisziplin, nach Einführung von Prinzipien kaufmännischer Betriebsführung (wirtschaftliche Rechnungsführung) in allen Bereichen des staatlichen Sektors, nach Kostensenkung und Gewinnsteigerung hinaus empfahlen die sowjetischen Experten, materielle Interessen der Betriebsleiter sowie des Ingenieurpersonals stärker zu nutzen. Mit besonderem Nachdruck forderten sie: \"In Zukunft ist nicht zu dulden, daß eine Geldemission über die Bedürfnisse des Warenumsatzes hinaus erfolgt.\" Die im I. Quartal 1954 über den Plan hinaus herausgegebenen Geldsummen sollten bis spätestens zum 1. Oktober 1954 wieder eingezogen sein. Als wichtigste Aufgabe betrachteten die sowjetischen Experten, \"in kurzer Frist einen solchen Wohlstand der Arbeiterklasse und der Werktätigen der DDR zu erreichen, der dem Lebensstandard dieser Schichten der Bevölkerung in Westdeutschland zumindest gleichkommt\". Dazu sollten einerseits die Produktion von Massenbedarfsgütern stark erhöht sowie Warenvorräte geschaffen und andererseits die Einzelhandelspreise so gesenkt werden, \"daß die Preise für die Hauptnahrungsmittel und wichtigsten Industriewaren inT./Ranki, György: Zur Geschichte der Entwicklung der sozialistischen Volkswirtschaft in Ungarn, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 1965, Teil II. S. 136 ff. 18 Vgl.: Mühlfriedel, Wolfgang/Wießner, Klaus: Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965. Berlin (Ost) 1989 (Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, Bd. 25). S. 246-251; Roesler, Jörg/Schwärze!, Renate/Siedt, Veronika: Produktionswachstum und Effektivität in Industriezweigen der DDR 1950-1970. Berlin (Ost) 1983 (Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, Bd. 22). S. 57 ff. A. Steiner: Sowjetische BeraterJHK 1993 105der DDR etwas niedriger liegen als in Westdeutschland\". Bereits für den Herbst 1954 empfahl man eine Preissenkung von ungefähr vier Mrd. DM im Jahr.19Es ist leider nicht überliefert, wie die SED-Spitze mit solchen Empfehlungen umging. Materialien aus der SPK sowie aus dem Parteiapparat belegen jedoch, daß die in diesem Memorandum angeführten Probleme von den DDR-Instanzen grundsätzlich auch gesehen wurden. Ob man dort aber jede der angeführten Einzelfragen genauso bewertete, muß bezweifelt werden, da deren Brisanz - wie im Falle des Maschinenbauprofils - auch mit früheren sowjetischen Entscheidungen zusammenhing. Die von den sowjetischen Experten aufgezeigten Defizite in der Kohle- und Energieerzeugung waren in den wirtschaftsleitenden Instanzen der DDR bekannt, und die in diesem Zusammenhang geforderten energischen Maßnahmen bereits seit einiger Zeit in Vorbereitung. Nach dem IV. Parteitag führten diese dann zum Kohle-Energie-Programm von 1954.20 Auch eine SPK-Denkschrift, die sich im Vorfeld des Parteitages an den Ministerpräsidenten Otto Grotewohl richtete, belegt, daß diese Probleme der DDR-Seite nicht neu waren. Dort verwies man auf die Hindernisse beim Export von DDR-Erzeugnissen, insbesondere des Maschinenbaus, sowohl in den RGW-Bereich als auch in westliche Länder. Auch die Schwierigkeiten mit der Bereitstellung der erforderlichen Importe für die Sicherung der geplanten Produktion ebenso wie die schlechtere Versorgung der Bevölkerung infolge fehlender Einfuhren wurden benannt. Preissenkungen wären nicht möglich. Neben den niedrigen Lieferzusagen aus der Sowjetunion und den anderen Ostblockländern suchte man die Ursachen für die komplizierte Situation in der ungenügenden Tätigkeit der Aussenhandelsinstanzen, den mangelnden Anstrengungen zur Steigerung der Produktion von Massenbedarfsgütern sowie im Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion, für den indirekt die Wirtschaftspolitik verantwortlich gemacht wurde. Darüber hinaus zeigte man die politischen Konsequenzen auf, indem die Frage aufgeworfen wurde, ob unter solchen Bedingungen überhaupt die für Oktober 1954 vorgesehenen Volkskammerwahlen durchführbar seien.21 Diese SPK-Denkschrift sowie das sowjetische Memorandum offenbaren gemeinsam den Widerspruch zwischen der Erwartung der DDR-Führung zur wirtschaftlichen Alimentierung ihrer Macht durch die Sowjetunion sowie deren zwar aus gleichem politischen Interesse grundsätzlich vorhandenem Wollen, aber nur wirtschaftlich begrenzten Vermögen dazu. Bei aller Notwendigkeit, die Voraussetzungen für eine Verbesserung des Lebensstandards im eigenen Land zu schaffen, konnte allerdings die Empfehlung, dessen Angleichung an Westdeutschland als \"wichtigste Aufgabe\" zu betrachten, bei der DDRSpitze nur sarkastisch aufgenommen werden, da zugleich die Warenlieferungen gegenüber 1953 reduziert werden sollten.22 Einerseits war die Haltung der Sowjetunion angesichts der Lebenslage der eigenen Bevölkerung und des noch nicht zehn Jahre zurücklie-19 Diese Summe entsprach 14,6 Prozent des im Vorjahr 1953 tatsächlich in der gesamten DDR erzielten Einzelhandelsumsatzes. Berechnet nach: Statistisches Jahrbuch der DDR 1956. Hrsg. von der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik. Berlin (Ost) 1957. S. 488.20 Die Aufgaben der Braunkohlenindustrie im Jahre 1953 und deren Aufgaben für 1954. Referat des Ministers Selbmann auf der Zentralen Braunkohlenkonferenz( ... ) am 19.2.54, in: ZPA SED, NL 113/9. BI. 14 ff.21 Denkschrift ohne Titel ohne Datum: \"1.) Mit der Verkündung des neuen Kurses ... \", in: ZPA SED, NL 90/329, BI. 281-289. (Die Datierung auf Februar/März 1954 und die Autorenschaft der SPK ergeben sich aus dem Inhalt und einer handschriftlichen Notiz auf der ersten Seite.)22 Ebenda. 106 JHK 1993Aufsätze und Miszellengenden Kriegsendes mehr als verständlich. Andererseits kannte auch die sowjetische Seite die Konsequenzen der von ihr vorgesehenen verringerten Warenlieferungen für die Versorgung in der DDR. Im Grunde genommen waren die Feststellungen des Memorandums auch in der deutschen Leitungsspitze bereits vorher bekannt. Allerdings hatte man sie dort nicht in dieser kompakten Weise zusammengestellt, die wiederum die Notwendigkeit unterstrich, Maßnahmen zu ergreifen.Folgerichtig lassen sich in dem von Ulbricht vorgetragenen Rechenschaftsbericht an den Parteitag vom 30. März 1954 über die übliche Erfolgsrhetorik hinaus genau die in dem sowjetischen Memorandum herausgearbeiteten Problemlagen wiederfinden - freilich mit Ausnahme derjenigen, die man für eine breitere Öffentlichkeit als zu brisant ansah. So fehlte bei Ulbricht beispielsweise der Hinweis auf die überzogene Geldemission.23 In der Versorgungsfrage ging Ulbricht in die Offensive und versuchte nachzuweisen, daß das von der DDR-Führung durchaus selbst gewollte und ihr durch die Sowjetspitze nicht aufgezwungene Ziel faktisch bereits erreicht sei, da die Lebenshaltungskosten in der DDR niedriger als in Westdeutschland waren. Er kündigte zwar in Abhängigkeit von der Steigerung der Produktion von Massenbedarfsgütern auch weitere Preissenkungen an. Aber dann teilte er mit, daß im Interesse weiterhin niedriger Preise bei wichtigen Waren die Rationierung bestehen bleiben müsse.24Berater im Ministerium der Finanzen - Möglichkeiten und GrenzenExemplarisch soll im folgenden anhand einzelner von Zapkin, dem Berater des MdF, vorgelegter Memoranden versucht werden, Möglichkeiten und Grenzen ihres Einflusses nachzuzeichnen. Dem bereits in dem Memorandum vom März 1954 angeführten finanziellen Problemen waren mehrere Denkschriften Zapkins im Laufe desselben Jahres gewidmet. In einem Memorandum vom August 1954 stand insbesondere die geringe Rentabilität der Industrie im Mittelpunkt.25 Nach den dortigen Angaben arbeiteten 1953 618 staatliche Betriebe, d.h. 30 Prozent, mit Verlust. Die durchschnittliche Rentabilität der Industrie betrug 1953 7,8 Prozent (bezogen auf die Warenproduktion). Er kritisierte, daß Fragen der Rentabilität, der Kostensenkung und der Produktivität nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Leiter der Betriebe, Hauptverwaltungen und Ministerien standen. Diese konzentrierten sich nur auf die Produktionserfüllung. Wirtschaftlichkeitsberechnungen erfolgten in den meisten Betrieben nur formell, was seines Erachtens auf die verzerrten Industriepreise sowie fehlende Anreize zur Kostensenkung und Gewinnerwirtschaftung zurückzuführen war, denn sie mußten ihren gesamten Gewinn nach Abzug der Zuweisung an den Direktorfonds26 an den Staatshaushalt abführen. Anderer-23 Protokoll der Verhandlungen des IV. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. 30. März bis 6. April 1954. Berlin (Ost) 1954. Bd. 1. S. 68-96.24 IV.Parteitag, a.a.O., S. 145. Vgl. Schenk, Vorzimmer, a.a.O., S. 249-255. Das Brisante resultierte aus der bereits früher erfolgten Ankündigung der Beseitigung des Kartensystems für 1954. Vgl. Die gegenwärtige Lage und der neue Kurs der Partei. Rede Otto Grotewohls auf der 15. Tagung des ZK der SED vom 24. bis 26. Juli 1953, in: Neues Deutschland, 29.7.53.25 Denkschrift ohne Titel, ohne Datum: \"Im Laufe der letzten Jahre wuchs die Akkumulation ... \" ( sehr wahrscheinlich von N. Zapkin im August 1954), in: ZPA SED, NL 90/329, BI. 326-331. Der folgende Text und der Zitate stammen soweit nicht anders angegeben aus diesem Dokument.26 Der Direktorfonds stellte in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre die wesentlichste Form dar, die Belegschaft an höheren Produktionsergebnissen zu interessieren. Allerdings war dieser nicht an die Ent- A. Steiner: Sowjetische BeraterJHK 1993 107seits wurde der gesamte Bedarf der Betriebe an Umlaufmitteln und Investitionen wiederum aus dem Haushalt zugeteilt. Somit bestand keine unmittelbare Abhängigkeit zwischen Betriebsergebnis und den zur Verfügung stehenden Mitteln. Die Nichterfüllung der Gewinnpläne der Industrie zog wiederum Schwierigkeiten in der Realisierung des Staatshaushaltsplans nach sich, woraus nach Ansicht Zapkins die Probleme im Geldumlauf folgten.27 Diese resultierten aber - wie von ihm weiter unten auch bemerkt - aus den stark steigenden Einnahmen der Bevölkerung, ohne daß diesen die entsprechende Steigerung in der Warenbereitstellung und dem -umsatz gegenüberstand.Auf die übermäßige Ausdehnung des Geldumlaufs hatte die Präsidentin der Deutschen Notenbank (DNB), Greta Kuckhoff, Grotewohl bereits in einem Schreiben vom 8. Juli 1954 hingewiesen, wonach sie \"zu ernsten Besorgnissen Anlaß\" sah.28 Im ersten Halbjahr 1954 hatte sich der Geldumlauf danach um 22 Prozent erhöht.29 Laut einem Beschluß des Präsidiums des Ministerrates vom 12. März 1954 sollte jedoch maximal eine Erhöhung der Geldzirkulation von 250 Mill. DM zugelassen werden, was bezogen auf den selben Basiswert nur 6,7 Prozent entsprochen hätte. Die Ursache für diesen Vorgang sah Kuckhoff in willkürlichen und der realen Entwicklung völlig zuwiderlaufenden Planeingriffen, um die Balance der Geldbilanz herzustellen. Dabei verwies sie wie auch Zapkin auf die Disparität zwischen wachsenden Einnahmen der Bevölkerung und dem Warenangebot, welches die Kaufkraft nicht \"abschöpfen\" konnte.Daraufhin fand am 26. Juli 1954 eine Besprechung bei Grotewohl statt, an der führende Vertreter des MdF, der DNB, der verschiedenen Handelseinrichtungen, der den Hauptteil der Massenbedarfsgüter produzierenden Industrieministerien, der SPK sowie ein Beauftragter Ulbrichts teilnahmen. Dabei wurde beschlossen, im Finanzministerium \"Kaderveränderungen\" bei den dort Verantwortlichen für die staatliche Industrie vorzunehmen, radikal mit allen weiteren Geldemissionen Schluß zu machen und richtige Relationen beim Lohn sowie zwischen Produktion und Verwaltung zu schaffen. Dabei sollte unbedingt die Entstehung von Arbeitslosigkeit vermieden werden. Verstärkte Finanzkontrolle war mit verbesserter kaufmännischer Arbeit und Analysen in den Betrieben zu verbinden.30 In der SPK arbeitete man seit August 1954 an einem Beschlußentwurf über Maßnahmen zur Verbesserung der Rentabilität, den Leuschner Anfang Oktober Grotewohl vorlegte. Er enthielt eine Wiederholung bereits gesetzlich festgelegter Aufgaben, die jetzt mit strenger und unnachsichtiger Kontrolle verbunden werden sollten. Bemerkenswerterweise orientierte der Beschlußentwurf von Anfang Oktober stärkerwicklung des Gewinns gebunden, sondern an die Lohn- und Gehaltssumme des Betriebes, was seineWirkung einschränkte bzw. in die falsche Richtung lenkte. Vgl. Roesler, Jörg: Die Herausbildung dersozialistischen Planwirtschaft in der DDR. Berlin (Ost) 1978 (Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, Band 11). S. 68-78. 27 Hier wie im folgenden ist immer entsprechend der damaligen Terminologie der Bargeldumlauf bei derBevölkerung gemeint. Die Argumentation Zapkins war an dieser Stelle ökonomisch nicht schlüssig,denn die Steuergröße für den Bargeldumlauf unter den gegebenen Bedingungen waren an erster Stelledie Einkommen und nicht anders herum.28 Kuckhoff an Grotewohl vom 8.7.54, in: ZPA SED, NL 90/336, BI. 36 f. 29 Die von Kuckhoff verwendeten absoluten Angaben für die Bargeldzirkulation schlossen wahrschein-lich die Geldmenge in den Kassen der Banken ein. Daher sind sie mit den später angeführten Zahlennicht zu vergleichen. Bezogen nur auf den Geldumlauf bei der Bevölkerung ergab sich für das ersteHalbjahr 1954 ein Wachstum der Geldmenge von 19,6 Prozent. Berechnet nach: Statistisches Jahrbuch der DDR 1958. Hrsg. von der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik. Berlin (Ost) 1959. S. 247. 30 Besprechung des Genossen Ministerpräsidenten vom 26.7.54, in: ZPA SED, NL 90/335, BI. 195ff. 108 JHK 1993Aufsätze und Miszellenals frühere Versionen auf administrative Kontrollmaßnahmen und das Postulieren allgemeiner Grundsätze. Die eigentlich erforderlichen Veränderungen in den Rahmenbedingungen der Gewinnerwirtschaftung waren hier nicht enthalten. In der Version vom August 1954 sollte noch der Lohnfonds in stärkere Abhängigkeit von der Produktionsplanerfüllung gebracht werden. Außerdem wollte man ab 1. Januar 1955 in einigen Industriezweigen die Investitionen und Umlaufmittelzuführungen aus dem erwirtschafteten Nettogewinn finanzieren. Des weiteren war dort noch vorgesehen, die Konditionen für den Direktorfonds so zu gestalten, daß sich der materielle Anreiz für die Beschäftigten steigern würde.31Trotz dieser bereits eingeleiteten Maßnahmen sah sich Zapkin Ende Oktober 1954 offenbar gezwungen, zwei Denkschriften zur Finanzlage und dem Geldumlauf in wesentlich drängenderem Ton vorzulegen, da diese, wie es in beiden Dokumenten übereinstimmend hieß, \"zu ernsten Befürchtungen Anlaß\" gäben.32 Die Ähnlichkeit in der Formulierung ebenso wie die prinzipielle Übereinstimmung in den Berechnungen mit dem oben angeführten Brief von Kuckhoff war kein Zufall. Zapkin gab an, daß sich der Geldumlauf innerhalb eines Jahres vom 1. Oktober 1953 bis zum 1. Oktober 1954 um 943 Mill. DM, d.h. um 26,7 Prozent, erhöht hatte. Im III. Quartal 1954 betrug die Emission 215 Mill. DM. Bis zum 20. Oktober wuchs der Geldumlauf um weitere 33 Mill. DM an. Unter Zugrundelegung des 1953 erreichten Verhältnisses zwischen umlaufender Geldmenge und Einzelhandelsumsatz berechnete Zapkin den volkswirtschaftlichen Bedarf an Geldzeichen in der DDR und damit für den Oktober 1954 die überplanmäßige Geldemission auf annähernd 600 Mill. DM.33 Fraglich ist allerdings, ob sich die Situation wirklich so verschlechtert hatte, wie es die von Zapkin verwandte Steigerungsrate von knapp 27 Prozent suggerierte. Gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres war die im September 1954 erzielte Zuwachsrate tatsächlich die höchste in diesem Jahr. Dies entsprach aber dem kumulierten Wachstum des gesamten Jahres. Der Geldumlauf wuchs allein schon im I. Quartal 1954 um 12,9 Prozent, im II. Quartal um 6 Prozent und im III. Quartal um 5 Prozent. Innerhalb des III. Quartals stieg die Geldmenge im Juli um 3,5 Prozent, sank im August um 11,2 Prozent und nahm im September wiederum um 2,7 Prozent zu.34 Die relativ hohen Steigerungsraten am Anfang des Jahres waren vor allem eine Folge des Neuen Kurses. Der Rückgang der Geldmenge im August dürfte auf die rigorosen Maßnahmen nach der Beratung bei Grotewohl am 26. Juli 1954 zurückzuführen sein. Die sich im September wieder beschleunigende Geldemission nahm Zapkin31 Beschluß-Entwurf über Maßnahmen zur Verbesserung der Rentabilität in der volkseigenen Wirtschaft,in: ZPA SED, NL 90/329, BI. 294-298. (Herkunft des Dokuments und Datierung ergeben sich aus dem Inhalt.) Leuschner an Grotewohl vom 9.10.54. Betr.: Beschluß des Präsidiums des Ministerrates über Maßnahmen zur Hebung der Rentabilität in der volkseigenen Industrie. Beschluß ... (Entwurf), in: Ebenda, BI. 413-422. 32 Zapkin: Der Geldumlauf in der DDR vom 25.10.54. Abschrift 26.10.54, in: ZPA SED, NL 90/335, BI. 199-205. Denkschrift ohne Titel: \"Die Finanzlage und der Geldumlauf in der DDR ... \" (sehr wahrscheinlich von Zapkin). Abschrift 25.10.54, in: ZPA SED, NL 182/965, BI. 189-194. Es konnte bisher nicht geklärt werden, weshalb Zapkin zwei sich inhaltlich sowohl überschneidende als auch ergänzende Memoranden zur gleichen Zeit verfaßte und weitergab. Auch nach verschiedenen Adressaten lassen sich die Inhalte nicht eindeutig trennen. 33 Zapkin, Geldumlauf, a.a.O.; \"Die Finanzlage ... \", a.a.O. Die Angaben Zapkins stimmen mit denen des Statistischen Jahrbuches überein. Danach läßt sich seine Berechnung nachvollziehen. Vgl. Statistisches Jahrbuch 1958, a.a.O. 34 Berechnet nach: Statistisches Jahrbuch 1958, a.a.O., S. 247. A. Steiner: Sowjetische BeraterJHK 1993 109zum Anlaß, noch einmal nachdrücklich auf die Finanzprobleme zu verweisen. Ihm dürfte aber außerdem bekannt gewesen sein, daß sich das Politbüro am 26. Oktober 1954 mit einem Bericht über die Erfüllung des Staatshaushaltsplans befassen würde, so daß er möglicherweise mit übertrieben interpretierten Angaben die Aufmerksamkeit auf grundsätzlichere Probleme lenken wollte. Allerdings wurde dort - nach Protokoll - kein Bezug auf das Grotewohl und Ulbricht vorliegende Memorandum genommen.35 Die Hauptursache der zu hohen Geldemission blieb nach Ansicht Zapkins die fortdauernde Disproportion zwischen der Entwicklung der Geldeinkünfte der Bevölkerung und der des Einzelhandelsumsatzes.36 Zapkin schlüsselte die übermäßige Geldemission auf, wonach 250 Mill. DM auf die Steigerung der Einkommen der Privatunternehmer und Handwerker, 200 Mill. DM auf die der Bauern und 150 Mill. DM auf die der Arbeiter und Angestellten entfielen. Er kritisierte jedoch nicht nur die wachsenden Einkommen, sondern auch die unbefriedigende Mobilisierung der Geldmittel der Bevölkerung durch den Handel sowie die Finanzbehörden und Banken (fehlende Werbung für Spareinlagen, mangelnde Eintreibung von Zahlungsrückständen aus Krediten und von Steuerrückständen). Zur Regulierung des Geldumlaufes hielt er in der Hauptsache weiter administrative Mittel zur quantitativen und qualitativen Verbesserung der Produktion und des Angebots von Massenbedarfsgütern, zur Einschränkung der Investitionen, zur Begrenzung der Lohn- und weiterer Zahlungen an die Beschäftigten auf dem bis dahin erreichten Stand, zur Senkung des Verwaltungspersonals sowie zur Eintreibung der rückständigen Steuern und anderer Forderungen erforderlich.37Neben der Aufblähung des Geldumlaufs bemängelte Zapkin die unbefriedigende Erfüllung des Staatshaushaltsplanes 1954, der nach den ersten neun Monaten des Jahres ein Einnahmefehlbetrag von 1 Mrd. DM aufwies. Die Hauptursache sah er in der zu schwachen Kontrolle der Planerfüllung und der Sparsamkeit in den Betrieben und wirtschaftsleitenden Instanzen, wodurch sich wiederum die bekannten Disparitäten verstärkten. Hoher Rentabilität und Erfüllung des Gewinnplans wurde in den Betrieben und Ministerien nach wie vor zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Kennziffern der Selbstkostensenkung verschlechterten sich jährlich, und 27 Prozent aller Betriebe arbeiteten mit Verlust. Die staatliche Industrie und der Handel erfüllten ihre Verpflichtungen gegenüber dem Staatshaushalt nicht, der aber wiederum 1954 mehr als 1,5 Mrd. DM zur Finanzierung der Verluste in der Volkswirtschaft bereitstellen mußte. Für einen allmählichen Übergang der staatlichen Betriebe zur Arbeit ohne Haushaltszuschüsse empfahl Zapkin, ab 1. Januar 1955 die Abgabepreise für Metall und Holz zu erhöhen. Außerdem griff er Vorschläge wieder auf, die in der SPK bereits vorgelegen hatten und dann aber nicht mehr berücksichtigt worden waren. Danach sollte von den staatlichen Betrieben nur der Überschuß an den Staatshaushalt abgeführt werden, der nach Abgabe eines Teils35 Protokoll Nr. 30/54 der Sitzung des Politbüros des ZK am 26.10.54, in: ZPA SED, J IV 2/2N380. Das Vorliegen der Denkschrift bei zumindest den beiden Angesprochenen ergibt sich aus der handschriftlichen Notiz auf ihr: \"Gen. Grotewohl. U(lbricht)\". Die Handschrift ist eindeutig die von Ulbricht. Vgl. Zapkin, Geldumlauf, a.a.O.36 Der Einzelhandelsumsatz hatte sich zwar im September mit 2, l Prozent Steigerung geringer als der Geldumlauf entwickelt, jedoch bezogen auf den gleichen Monat des Vorjahres hatte sich im September der Abstand zwischen dem Wachstum des Geldumlaufes und des Einzelhandelsumsatzes deutlich verringert. Auch daher erscheint die Argumentation Zapkins übertrieben und instrumentalisiert. Berechnet nach: Statistisches Jahrbuch 1956, a.a.O., S. 488; Statistisches Jahrbuch 1958, a.a.O., S. 247.37 Zapkin, Geldumlauf, a.a.O. 110 JHK 1993Aufsätze und Misze/lendes Gewinns in den Direktorfonds sowie nach der Finanzierung der Investitionen und der geplanten Zunahme der Umlaufmittel verbliebe. Amortisationen müßten nicht mehr an den Staatshaushalt abgeführt, sondern für die Finanzierung der Generalreparaturen und Investitionen verwandt werden. Die Bildung und Verwendung des Direktorfonds wollte Zapkin in direkte Abhängigkeit von der Erfüllung quantitativer und qualitativer Plankennziffern bringen. Außerdem sollten die Umlaufmittel und deren Quellen für jeden Betrieb normiert werden. Des weiteren war die Kreditgewährung an die Wirtschaftseinheiten so neuzuregeln, daß eine verstärkte Bankkontrolle über die zweckgebundene Verwendung der gewährten Mittel und die Anwendung von Sanktionen gesichert war. Als ausdrücklich falsch kennzeichnete Zapkin die Auffassung einiger Mitarbeiter der Industrieministerien, daß für die schlechte finanzielle Lage die Finanzbehörden und die Bank verantwortlich waren. Allerdings verwies er auch auf wesentliche Mängel im Finanzapparat, die er in zu schwachen Mitarbeitern, in ungenügender analytischer und operativer Arbeit, in zu vielen schlecht vorbereiteten Sitzungen sowie in einer fehlenden Kontrolle der Beschlußdurchführung sah. Zur Beseitigung dieser Unzulänglichkeiten verwies Zapkin insbesondere auf die Verantwortung des ZK der SED und des Ministerrats, die entsprechende Beschlüsse zu fassen hätten.38Mit diesen Empfehlungen hatte Zapkin offenbar einen Anstoß gegeben, die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens der Betriebe in einer Weise zu verändern, die in den wirtschaftsleitenden Instanzen der DDR zwar bereits diskutiert worden war, aber zunächst nicht durchgesetzt werden konnte. Obwohl sich in dem Protokoll der Politbürositzung, auf der die wirtschaftlichen Fragen des Referates von Ulbricht auf der 21. ZKTagung (12. bis 14. November 1954) besprochen wurden, keine Hinweise darauf finden, daß die angeführten Empfehlungen berücksichtigt wurden,39 kann gleichwohl vermutet werden, daß sie zumindest entsprechende Vorschläge aus den DDR-Instanzen unterstützten bzw. diesen zum Durchbruch verhalfen. Bei einem Vergleich der angeführten Empfehlungen und des Referates von Ulbricht ist auffallend, daß wesentliche Passagen fast wörtlich den Empfehlungen von Zapkin entsprachen. Viele der von Ulbricht verwendeten statistischen Angaben waren dort ebenfalls bereits enthalten.40 Zapkin hatte jedoch gerade vor der ZK-Tagung in besonders intensiver Weise mit seinen Heimatinstanzen Rücksprache genommen bzw. von dort Unterlagen übermittelt bekommen.41 Anzumerken bleibt jedoch, daß das wirtschaftliche Regelwerk bis dahin die Unterschätzung kaufmännischer Gesichtspunkte gefördert hatte und wesentlich von sowjetischen Vorgaben geprägt war. Die empfohlenen Änderungen wurden dann im wesentlichen auch realisiert.42 Infolge energischer Maßnahmen gelang es, den Geldumlauf im November um38 \"Die Finanzlage ... \", a.a.O. 39 Protokoll Nr. 33/54 der Sitzung des Politbüros des ZK am 12.11.54, in: ZPA SED, J IV 2/2N384. 40 Vgl. Ulbricht, Walter: Fragen der politischen Ökonomie in der Deutschen Demokratischen Republik.Aus dem Referat auf der 21. Tagung des ZK der SED am 12. November 1954. Berlin (Ost) 1955. 41 Vgl. AWP 082/42/54/289, BI. 122-126. 42 U.a.: Verordnung über die Verwendung der Gewinne in den Betrieben der volkseigenen Wirtschaftvom 6.1.55, in: Gesetzblatt der DDR (im folgenden: Gbl.) 1955, Teil I. S. 23. Vgl. Jonuscheit, Karl-Heinz: Die wirtschaftliche Rechnungsführung. Entstehung, Entwicklung und Vervollkommnung im neuen ökonomischen System. Berlin (Ost) 1966. S. 40-43; Roeslcr, Jörg: Die Lenkung des betrieblichen Akkumulationsprozesses durch den sozialistischen Staat in der DDR (1956 bis 1962), in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 1979, Teil III. S. 16-26. A. Steiner: Sowjetische BeraterJHK 1993 1110,9 Prozent, im Dezember um 4,2 Prozent und damit im letzten Quartal 1954 insgesamt um 4 Prozent zu senken.43Mitte März 1957 übergab Zapkin Finanzminister Willy Rumpf sein letztes Memorandum, der es wiederum Ulbricht übermittelte.44 Der Hauptmangel der Finanzsituation der DDR bestand seines Erachtens in dem Staatshaushaltsdefizit 1956 von 455,4 Mill. DM, das im IV. Quartal entstanden war. Man hatte es durch die teilweise Inanspruchnahme der Haushaltsbestände der Vorjahre gedeckt. Aber auch im Januar 1957 blieb mit Einnahmen von 2.430 Mill. DM und Ausgaben von 2.539 Mill. DM ein Defizit von 1.099 Mill. DM. Die Ursachen sah er vor allem in Nichterfüllung des Plans 1956 und der sich gegenüber 1955 in allen Zweigen wieder verschlechternden finanzwirtschaftlichen Kennziffern. Allein die Industrie hatte durch Nichterfüllung der Gewinnpläne die geplanten Abführungen an den Staatshaushalt nur zu 91 Prozent geleistet, aber gleichzeitig die vorgesehenen Ausgaben für ihre Finanzierung zu 124,9 Prozent in Anspruch genommen. Daraus resultierte ein Verlust von mehr als 2,3 Mrd. DM. In der zentralgeleiteten Industrie stieg der Anteil der Verlustbetriebe 1956 gegenüber 1955 von 17,7 auf 21,9 Prozent.45 Nach Zapkins Einschätzung waren diese unbefriedigenden Ergebnisse des Jahres 1956 in bedeutendem Maße auf objektive Ursachen (Schwierigkeiten in der Materialversorgung und im Absatz) zurückzuführen. Er machte aber auch ernste Mängel in der Wirtschaftsleitung dafür verantwortlich. Besonders wandte er sich gegen verstärkte Bestrebungen, sich von den Beschlüssen der 21. ZK-Tagung zu lösen. Diese sah er vor allem in Versuchen, die \"planmäßige\" durch eine \"ökonomische Leitung\" zu ersetzen, den Direktorfonds sowie die Prämierung des ingenieurtechnischen Personals durch Schaffung eines einheitlichen Prämienfonds für die gesamte Belegschaft zu beseitigen sowie die nach der 21. ZK-Tagung eingeführten Bestimmungen über die Gewinnund Amortisationsverwendung zu überprüfen. Das im Plan 1956 gestellte Ziel für die industrielle Bruttoproduktion wurde tatsächlich nur zu 97,4 Prozent erreicht und ihr Zuwachs betrug statt geplanter 8,8 nur 6,2 Prozent. Die Arbeitsproduktivität der Produktionsarbeiter stieg zwar gegenüber dem Vorjahr auf 108 Prozent, aber damit war der Plan nur zu 98,7 Prozent erfüllt. Ebenso waren zwar die Investitionen in der zentralgeleiteten staatlichen Industrie auf 148 Prozent angewachsen, doch gegenüber der Planvorgabe erreichte man damit nur 92 Prozent.46 Diese wenigen Angaben verdeutlichen bereits, daß43 Berechnet nach: Statistisches Jahrbuch 1958, a.a.O., S. 247. 44 Rumpf an Ulbricht vom 22.3.57. Zapkin, N.: Einige Überlegungen über die Lage und weitere Verbes-serung der Staatsfinanzen der Deutschen Demokratischen Republik vom 15.3.57, in: ZPA SED, J IV 2/202/28. Der folgende Text und die Zitate beruhen soweit nicht anders ausgewiesen auf diesem Memorandum. 45 Diese Angaben Zapkins entsprechen denen von Ulbricht und Grotewohl in verschiedenen Reden. Allerdings ergaben sich verschiedene bisher nicht zu klärende Diskrepanzen in den Basiswerten, wobei die Tendenz aber prinzipiell die selbe blieb. Vgl. Ulbricht, Die Rolle, a.a.O., S. 30; ders.: Grundfragen der ökonomischen und politischen Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik. Referat auf der 33. Tagung des ZK der SED am 16. Oktober 1957. Berlin (Ost) 1957. S. 33 f.; Unsere ökonomischen Probleme und die Verbesserung der Wirtschaftsführung. 30. Tagung des ZK der SED vom 30. Januar bis 1. Februar 1957. Berlin (Ost) 1957. S. 30. 46 ZK, Abt. Industrie, Abt. Binnen- u Außenhandel, Abt. Planung und Finanzen: Einschätzung der wichtigsten Erscheinungen aus dem Ablauf des Planes 1956, in: ZPA SED, NL 90/331, BI. 53, 57; SPK: Zu einigen wichtigen Problemen der Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes 1956, in: ZPA SED, NL 62/99, BI. 20-36. 112 JHK 1993Aufsätze und Miszellendem Plan überspannte Zielstellungen zugrunde lagen.47 Zwar billigte Zapkin auch objektive Probleme zu, wobei er sich offenbar auf die tatsächlichen Lieferausfälle insbesondere aus Polen sowie der weiter bestehenden Absatzschwierigkeiten von Teilen des Maschinenbaus auch im Ostblock bezog. Die Frage aber, ob die Ziele auf der Basis der gegebenen Möglichkeiten als zu hoch zu bewerten waren, wurde in den angeführten Einschätzungen aus dem Parteiapparat und der SPK unterschiedlich beantwortet. Für ersteren entsprach der Plan den volkswirtschaftlichen Möglichkeiten und Reserven. Für die SPK waren die \"realen Grenzen\" nicht genügend berücksichtigt und \"zum Teil die Produktionsziele von vornherein zu hoch gesteckt\". 48 Die Parteifunktionäre mußten sie als ihre wahrscheinlichen Urheber als realistisch ansehen.49 Aber auch der sowjetische Berater in der SPK, Kokurkin, bestritt, daß die Vorgaben zu hoch waren.SO Aber auch von ihm wurde keine ablehnende Haltung zu diesen Zielen bei der Planaufstellung dokumentiert. Im Gegenteil ist wohl eher anzunehmen, daß die sowjetischen Vertreter vor Ort diese Aufgaben mit durchgesetzt hatten. Da auf diesen Vorgaben auch die vorgesehenen Einnahmen des Staatshaushalts basierten, konnten sie auch nicht erfüllt werden. Die erhöhten Haushaltsausgaben resultierten aus der erforderlichen Finanzierung der sich in Produktionsstillständen u.ä. widerspiegelnden inneren Disproportionen bei der Plandurchföhrung. Insofern wirkte die Kritik von Zapkin scheinheilig, da ihm diese Zusammenhänge bekannt gewesen sein mußten. Neben der Kritik an den subjektiven Mängeln in der Leitung nun aber die bis dahin theoretisch geführte Diskussion zur Wirtschaftsleitung mitverantwortlich für die Lage der Staatsfinanzen zu machen, kann nur als eigener Rechtfertigungsversuch bewertet werden. Zumal diese Diskussion auf der 30. ZK-Tagung (30. Januar bis 1. Februar 1957) kurz zuvor von Ulbricht als revisionistisch gebrandmarkt worden war.51Das zweite große finanzielle Problem der DDR, das bei Zapkin wieder \"eine bestimmte Beunruhigung hervorruft\", war der Geldumlauf. Dieser konnte zwar 1955 um 175 Mill. DM, d.h. um 4, 1 Prozent, reduziert werden. Hingegen stieg er 1956 wieder um 372 Mill. DM, d.h. um 9 Prozent, an und lag am Jahresende 17,2 Prozent über dem Plan. In den ersten beiden Monaten des Jahrcs 1957 wuchs der Geldumlauf bereits um weitere 12 Prozent und lag damit am 1. März um 11 Prozent höher als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres.52 Dafür machte Zapkin in erster Linie das Defizit im Staatshaushalt und die sich in den ersten Monaten 1957 wieder verstärkende Disproportion zwischen Warenangebot und der Kaufkraft der Bevölkerung verantwortlich. Bei einseitiger Betrachtung der Steigerungsraten gegenüber den jeweiligen Vormonaten des Geldumlaufs sowie des Einzelhandelsumsatzes wäre Zapkins Sicht berechtigt. Allerdings ließ diese aber die47 Es kann hier nicht näher darauf eingegangen werden, aus welchen Gründen dies so war und welche Voraussetzungen für die Erfüllung dieser Zielstellungen fehlten.48 Ebenda. 49 Vgl. SPK, Leuschner an die Mitglieder und Kandidaten des Politbüro und des Sekretariats des ZK derSED vom 9.3.57, in: BAP, DEl/13080, BI. 1-3. 50 Kokurkin, P.: Denkschrift ohne Titel: \"!. Über das Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung ... \" vom19.3.57, in: ZPA SED, J IV 2/202/28. 51 Ulbricht, Walter: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsätzen. Bd. VI:1956-1957. Berlin (Ost) 1962. S. 305 ff. 52 Alle von Zapkin zum Geldumlauf gemachten Angaben stimmen mit denen des Statistischen Jahrbuchsexakt überein, wobei er nur Absolutangaben verwandte. Die Steigerungsraten wurden nach den Werten des Jahrbuchs berechnet. Vgl. Statistisches Jahrbuch 1958, a.a.O., S. 247. A. Steiner: Sowjetische BeraterJHK 1993 113gerade zur Jahreswende starken saisonalen Einflüsse (Weihnachten) außer Betracht. Bei Bezug auf den gleichen Zeitraum des Vorjahres war eher eine Verringerung dieser Disproportion zu beobachten. Auch eine Einbeziehung des Wachstums der Spareinlagen verändert dieses Bild nicht.53 Weitaus stärker hatte Zapkin Grund zur Sorge bei der von ihm angeführten Tatsache, daß durch das Haushaltsdefizit sowie durch Kreditausreichungen ohne Rückzahlungssicherheit die Kreditquellen (Spareinlagen und Kontenbestände der Betriebe) vermindert wurden. Außerdem reduzierten sich diese noch durch die notwendige Finanzierung der ständig wachsenden nicht absetzbaren Bestände an Fertigerzeugnissen. Daher gewährte die DNB \"im I. Quartal 1957 bis zu 30 Prozent der Kredite zu Lasten der Erhöhung des Bargeldumlaufs\", d.h. über die Notenpresse.Zur Beseitigung dieser Mängel war, wie Zapkin schrieb, \"zu wünschen, daß unsere folgenden Empfehlungen ihre Berücksichtigung finden mögen\". Um die Stabilität des Staatshaushaltes 1957 und einen Einnahmeüberschuß von mindestens 500 Mill. DM zu erreichen, orientierte er darauf, alle Einnahmequellen aufzudecken, die Finanzpläne der Industrieministerien streng auf Kostensenkungen zu überprüfen sowie die Diskrepanz zwischen den Einkommen der Selbständigen (Bauern, Handwerker, Privatunternehmer und Einzelhändler) und ihren Umsatzsteigerungen mittels Steuern zu verändern. Auf der Ausgabenseite des Staatshaushaltes waren seines Erachtens die staatlichen Investitionen 1957 auf 6,6 Mrd. DM zu beschränken.54 Weiter empfahl er, von Lohn- und Rentensteigerungen sowie von Haushaltszuschüssen für die Renten und die Sozialversicherung der Selbständigen - bei entsprechenden Beitragserhöhungen für diese Gruppe - abzusehen. Die Ausgaben für den Verwaltungsapparat sollten 1957 um mindestens 5 Prozent und die Zuschüsse für Wirtschaftszweige und gesellschaftliche Organisationen um mindestens 25 Prozent gegenüber den realen Ausgaben von 1956 reduziert werden. Außerdem regte er eine Prüfung der weiteren Bereitstellung von Mitteln für die Kirchen und Theater an. Zur Verbesserung der finanziellen Lage der Wirtschaftszweige schlug Zapkin organisatorische und methodische Maßnahmen im Bereich der Finanzplanung, der Buchführung und Berichterstattung vor. Eindringlich verwandte sich Zapkin für die Beibehaltung des Direktorfonds und der Bestimmungen über die Prämierung des ingenieurtechnischen Personals und drängte darauf, die Entwürfe der neuen Verordnungen über den Betriebsprämien- sowie den Kultur- und Sozialfonds abzulehnen. Weiter sollten zur Veränderung des wirtschaftlichen Regelwerks gruppenbezogene Abschreibungsraten ausgearbeitet und ab 1. Januar 1958 eingeführt sowie an den Festpreisen weitergearbeitet werden. Die Festigung des Geldsystems erforderte nach seiner Meinung, weitere Erhöhungen der Einnahmen der Bevölkerung im Jahr 1957 zu verhindern, Bargeldzahlungen für Überstunden, Wartezeiten usw. stärker zu kontrollieren sowie Steuer- und Tilgungsrückstände bei Darlehen zu beseitigen. Des weiteren wollte er die Produktion von Massenbedarfsgütern gefördert, die Handelsarbeit verbessert und das Dienstleistungsangebot erweitert sehen. Außerdem regte er an, 1957 keine Massenpreissenkungen für Industriewaren und Lebensmittel durchzuführen.55 Die Geldmittel der Bevölkerung sollten stär-53 Vgl. Statistisches Jahrbuch 1958, a.a.O., S. 247,251,543. 54 Leuschner hatte schon auf der 30. ZK-Tagung eine vorläufige Begrenzung der staatlichen Investitionenauf 6,5 Mrd. DM für 1957 angekündigt. (Unsere ökonomischen Probleme, a.a.O., S. 9 f.) 55 Zwischen Juni 1956 und Juli 1958 traten auch wirklich keine großen Preissenkungen in Kraft. Vgl. Ge-schichtliche Zeittafel der Deutschen Demokratischen Republik 1949-1959. Berlin (Ost) 1959. S.230-317. 114 JHK 1993Aufsätze und Miszellenker über die Sparkassen, durch Hypothekenpfandbriefe der Investitionsbank, durch Erweiterung der Lotterien und Versicherungen mobilisiert und in diesem Zusammenhang auch die Ausgabe einer Gewinnanleihe geprüft werden. Die von Zapkin vorgeschlagenen Maßnahmen für den privaten Wirtschaftssektor zielten auf eine größere Kontrolle dieses Bereiches und dessen allmähliche Überführung in Staatseigentum. Dem Apparat des MdF empfahl er, das Niveau seiner wirtschaftlichen Analysen und Schlußfolgerungen zu heben, den Arbeitsstil durch Reduzierung der im allgemeinen schlecht vorbereiteten Sitzungen und durch häufige Besuche der leitenden Mitarbeiter in den Betrieben vor Ort zu verbessern sowie die Qualifikation der Mitarbeiter zu heben. \"Das Hauptübel besteht bei einigen Mitarbeitern des Apparates darin, daß sie die erforderliche Kontrolle nicht ausüben, daß sie die Zahlen, die Tatsachen, die Mängel in der Arbeit der Betriebe, der Hauptverwaltungen und der Ministerien erläutern, statt die Ursachen aufzudecken, sie greifen nicht an, sie verteidigen sich, sie kämpfen nicht energisch und beharrlich für die staatliche Ordnung und staatliche Strenge bei der Verausgabung der staatlichen Mittel.\"Die Wirkung dieser letzten Denkschrift von Zapkin blieb begrenzt, soweit sie überhaupt mehr als Forderungen nach administrativen Kürzungen und verstärkter Kontrolle enthielt, die auch bei der SED-Spitze ständig an der Tagesordnung waren. Zapkins Beharren auf getrennten Prämierungsregelungen für Arbeiter und Angestellte sowie dem ingenieurtechnischen und dem Leitungspersonal läßt sich wohl nur aus einem dogmatischen Festhalten an zu dieser Zeit in der Sowjetunion gültigen Festlegungen erklären. Damit konnte er sich allerdings nicht durchsetzen. Am 1. April 1957 wurde in den staatlichen Betrieben der Betriebsprämienfonds eingeführt.56 Inwiefern die aber bei der Verwendung des Betriebsprämienfonds weiter bestehende Differenzierung zwischen den Arbeitern und Angestellten sowie dem ingenieurtechnischen und dem Leitungspersonal auf den Einspruch der sowjetischen Berater zurückzuführen war, läßt sich nur mutmassen. In jedem Fall wurde aber deutlich, daß dies nicht nur, wie Roesler ausführte, damit zusammenhing, \"daß sich auch die Mitarbeiter der zentralen wirtschaftsleitenden Organe nur schwer von in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre entstandenen Traditionen freimachen konnten\".57 Im Lichte der Notwendigkeit, für das Leitungspersonal überdurchschnittliche Bonusmöglichkeiten zu schaffen, war diese Differenzierung wohl auch sinnvoll. Sie entsprach aber nur begrenzt der damals gültigen wirtschaftlichen und sozialen Doktrin. Insgesamt scheint es so, daß Zapkin den Erfolg \"seines\" Werkes, der nicht zu leugnenden Verbesserung der finanziellen Situation im Jahr 1955, durch die Entwicklung 1956 gefährdet sah. Er schien die verstärkte Aufmerksamkeit, die die 21. ZK-Tagung den Fragen der Staatsfinanzen und der kaufmännischen Betriebsführung gezollt hatte, im wesentlichen dem Einfluß seiner Denkschriften zuzuschreiben. Diese waren zweifellos nicht ohne Effekt für die Ausarbeitung der neuen Regelungen im Jahr 1955, aber sie lösten diese Veränderungen nicht allein aus.Dies verdeutlicht auch, daß im Einzelfall kaum rekonstruiert werden kann, wer in den Entstehungsprozeß bestimmter wirtschaftlicher Regelungen was eingebracht hatte. Die56 Verordnung über den Betriebsprämienfonds sowie den Kultur- und Sozialfonds in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben, in: Gbl. 1957, Teil I. S. 289 ff. Zu den Gründen die eine Aufhebung der Teilung der Bonussysteme als notwendig erscheinen ließen, vgl. Roesler, Planwirtschaft,a.a.O., S. 227 ff. 57 Ebenda, S. 229. A. Steiner: Sowjetische BeraterJHK 1993 115sowjetischen Berater hatten in \"ihren\" Instanzen offenbar im wesentlichen Zugang zu den wichtigsten Unterlagen. Sie wußten auch über in der Diskussion und in Vorbereitung befindliche Maßnahmen Bescheid und waren darüber hinaus in vielen Fällen an solchen Erörterungen beteiligt - zumindest so bald dies auf der oberen Leitungsebene des jeweiligen Ministeriums o.ä. geschah. Daher konnten sie ihre Position während der Ausarbeitung frühzeitig deutlich machen. Dies schloß natürlich nicht aus, daß in einzelnen Fällen den Beratern Vorgänge und Unterlagen vorenthalten wurden. Insofern ist es jedoch nicht erstaunlich, daß die Empfehlungen der sowjetischen Berater kaum grundsätzliche Wendungen gegenüber dem von DDR-Seite Vorbereiteten nahelegten. Die Notwendigkeit zu prinzipielleren Wechseln ergab sich demgegenüber eher aus den Wirtschaftsverhandlungen bzw. politischen Gesprächen in Moskau selbst. Allerdings konnten die Berater offensichtlich mit ihren Vorlagen bestimmten Dingen besonderen Nachdruck verleihen, da ihre Ausarbeitungen bei der Parteispitze, wohin sie anscheinend unweigerlich weitergegeben wurden, besondere Aufmerksamkeit fanden. Dies lag auch an ihrem Vorteil, daß sie einerseits Zugang zum Apparat in der jeweiligen Institution hatten und in gewisser Weise auch in ihm verankert waren, aber andererseits nicht voll dazu gehörten. Das ermöglichte ihnen, eher eine komprimierte und zugespitzte Problemzusammenstellung abzugeben, als dies den mit laufenden Schwierigkeiten überlasteten Mitarbeitern der zentralen wirtschaftsleitenden Instanzen möglich war. Dabei dramatisierten sie auch manche Sachverhalte und Entwicklungen - ob bewußt instrumentalisiert oder ob sie tatsächlich in jedem Fall von der Dramatik der Situation überzeugt waren, muß offen bleiben. Allerdings bedeutete dies nicht, daß ihre Empfehlungen hundertprozentig um-gesetzt wurden. Die Berater hatten ihre Heimatinstanzen über die Lage und die Probleme der DDR zuunterrichten. Anhand der vorliegenden Unterlagen kann aber nicht eingeschätzt werden, inwieweit sie bei ihren Informationen auch DDR-Positionen einbrachten und für die sowjetische Seite transparenter machten. Die Ausarbeitungen zeigen das Interesse der Berater auch an den laufenden Problemen. Allerdings konzentrierten sie sich stärker auf grundsätzlichere Fragen, die aber durchaus mit der laufenden Planung zu tun hatten. Offen muß hier jedoch bleiben, inwiefern zwischen dem unmittelbar vom sowjetischen Außenministerium zu kontrollierenden Apparat und den Beratern in den zentralen Instanzen auch Rivalitäten und Konfrontationen eine Rolle spielten und welchen Einfluß sie auf Entscheidungen in der DDR hatten.Abberufung der BeraterIn einem vertraulichen Schreiben des ZK der KPdSU an das ZK der SED vom 14. Januar 1957 drang dieses darauf, \"über die Zweckmäßigkeit des weiteren Aufenthaltes sowjetischer Berater und anderer Spezialisten in Ministerien, Ämtern, Betrieben und Lehranstalten in der DDR\" zu sprechen. Als Begründung erklärte die sowjetische Seite, daß der Einsatz der Berater in der frühen Phase der neuen Ordnung entsprechend den Wünschen und Bestrebungen der DDR-Spitze sinnvoll war. Nachdem die Lage in der DDR nun aber gefestigt sei und die eigenen Kader bestimmte Erfahrungen gesammelt hätten, seien die Voraussetzungen gegeben, um die Einrichtung der Berater zu beseitigen und auch die Zahl der anderen Spezialisten bedeutend zu verringern. Die sowjetische Seite betonte: \"Wir gehen davon aus, daß schon die Bezeichnung \'sowjetische Berater\' nicht ihrer 116 JHK 1993Aufsätze und Miszellentatsächlichen Funktion entspricht und unwillkürlich die falsche Vorstellung erwecken kann, als wolle das eine Land mit Hilfe solcher Berater dem anderen Land seinen Willen aufzwingen.\" Sie versicherte aber, daß man auch künftig bei Notwendigkeit helfen würde. Dafür wäre dann jedoch der Spezialistenaustausch günstiger.58 Nun waren zwar zu diesem Zeitpunkt die ursprünglich in dem Abkommen vorgesehenen drei Jahre fast abgelaufen, trotzdem wurde mit dieser Frist nicht argumentiert. Bemerkenswert ist, daß der Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt die Situation in der DDR soweit gefestigt erschien, um ihre direkten und unmittelbar vor Ort tätigen Einflußträger abzuziehen. Schließlich waren im Januar 1957 die aus der Chruschtschow\'schen Entstalinisierung nach dem XX. Parteitag der KPdSU resultierenden Krisensymptome 1956/57 nach wie vor virulent. Das Ende des intellektuellen \"Tauwetters\" deutete sich mit der beginnenden Revisionismus-Debatte gerade erst an. Die innerparteilichen Widersacher Ulbrichts waren noch nicht ausgeschaltet. Die Ursache für diesen Entschluß lag wohl eher auf der sowjetischen Seite. Wahrscheinlich wollte Chruschtschow im Rahmen seiner Liberalisierungspolitik auch gegenüber den Ostblockländern die Zügel etwas lockern, was aber trotzdem kurz nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstandes erstaunt.Nach diesem Schreiben wurde im Politbüro zu dieser Frage zweimal beraten, wobei man sich zunächst einen Überblick über die in der DDR tätigen Berater und Spezialisten verschaffte. Letztlich sollten sich die Berater aus den zentralen wirtschaftsleitenden Instanzen zurückziehen.59 In der zweiten Märzhälfte 1957 lagen die Abschlußempfehlungen der wichtigsten Berater im Bereich der Wirtschaft vor.60 Zur gleichen Zeit reisten diese auch aus der DDR ab.61 Es verblieben noch einige Berater in der DDR, die wahrscheinlich im Sicherheits- und militärischen Bereich sowie unmittelbar in der Industrie tätig waren. Im September 1958 wandte sich das ZK der KPdSU in dieser Frage erneut an das ZK der SED und wünschte eine erneute Erörterung über den weiteren Aufenthalt sowjetischer Berater, Konsultanten und anderer Spezialisten in der DDR, die noch in \"einer gewissen Anzahl in der DDR\" seien. Dabei wurde die gleiche Argumentation wie anderthalb Jahre vorher benutzt. Außerdem sei es schwierig, jeden Berater und Spezialisten im Blick zu behalten. Diese wären zwar gute Fachleute auf ihrem Gebiet, hätten aber nicht immer das richtige Verständnis für die Situation in der DDR. Daher könnten nicht auszuschließende Mißverständnisse die gegenseitigen Beziehungen belasten. Ob diese Darstellung zutrifft oder ob nicht auf der sowjetischen Seite eher eine gewisse Furcht davor bestand, daß die Berater und Spezialisten zu sehr mit in der DDR immer noch wesentlich leichter zugänglicheren \"westlichen\" Ideen und Vorstellungen in Kontakt kommen bzw. sich zu sehr an den zweifellos höheren Lebensstandard in der DDR gewöhnen könnten, kann nicht abschließend beantwortet werden. Es ist aber anzunehmen, daß die sowjetischen Befürchtungen stärker auf ihre eigenen Bürger zielten. Gleiche Briefe sind auch an die Parteien in den anderen Ostblockländern gegangen.62 Letzteres deutet darauf hin, daß Chruschtschow diese direkte Form der Einflußnahme nicht58 ZK des KPdSU an das ZK der SED vom 14.1.57, in: ZPA SED, J IV 2/202/28. 59 Protokoll Nr. 4/57 der Sitzung des Politbüros des ZK am 26.1.57, in: ZPA SED, J IV 2/2A/542; Proto-koll Nr. 6/57 der Sitzung des Politbüros des ZK am 5.2.57, in: ZPA SED, J IV 2/2A/547. 60 Zapkin, Einige Überlegungen, a.a.O.; Kokurkin, \"I. Über das Tempo ... \", a.a.O.; F.I. Kotow an denGenossen Ziller (vom 19.3.57 - Eingangszeichen), in: ZPA SED, J IV 2/202/28. 61 Ziller an Ulbricht vom 22.3.57, in: Ebenda. 62 ZK der KPdSU an das ZK der SED vom 9.9.58, in: ZPA SED, J IV 2/202/28. A. Steiner: Sowjetische BeraterJHK 1993 117mehr für zeitgemäß hielt. Erst im Verlauf der Krise 1960/61 beschloß die UdSSR im Einvernehmen mit der DDR-Spitze, bei GOSPLAN eine besondere sowjetische Gruppe für die Fragen der Versorgung der DDR zu bilden, die direkt mit einer Gruppe von DDR-Spezialisten in Moskau zusammenarbeiten sollte. Außerdem schuf GOSPLAN ei­ ne Gruppe sowjetischer Experten bei der SPK in Berlin, die offiziell bei der sowjeti­ schen Handelsvertretung angesiedelt wurde. Dies war aber eine neue Situation, die sich auch in anderen Formen der Einflußnahme bzw. Zusammenarbeit widerspiegelte.

Inhalt – JHK 1993

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