JHK 1993

Die Kaderschulung der Komintern1

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 37-59

Autor/in: Leonid G. Babitschenko (Moskau)

Die Schulung kommunistischer Parteien war ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der Kommunistischen Internationale. Die Ausbilsung in ihren Schulen diente dem Zweck, jungen Kommunisten die Fertigkeit zu vermitteln, in ihrer praktischen Tätigkeit mit Massen umzugehen, ihre Allgemeinbildung zu verbessern, sie politisch aufzuklären und mit den Grundlagen des Marxismus-Leninismus vertraut zu machen, sie zu getreuen Anhängern der Idee der Diktatur des Proletariats und der Weltrevolution zu erziehen.Dieses Kapitel der Komintern-Geschichte wurde bis in die letzten Tage der ehemaligen UdSSR von der sowjetischen Geschichtsschreibung nur wenig erforscht. Dies lag hauptsächlich an der Unzugänglichkeit der in den Tiefen des Archivs der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) beim Institut für Marxismus-Leninismus (IML) in Moskau aufbewahrten Dokumente der Komintern-Schulen.2Die Erläuterung vieler Probleme der theoretischen und praktischen Kaderschulung für die Kommunistischen Parteien (KP) durch die Komintern anhand von Primärquellen kann gleichzeitig das Verständnis einiger Aspekte der Kaderpolitik, der Mechanik und Funktionsweise ihres Exekutivkomitees und dessen Büros sowie anderer allgemeinerer Themen der Komintern-Geschichte erleichtern.In diesem Zusammenhang sind sowohl die positiven als auch die negativen Erfahrungen aufschlußreich, die die internationale kommunistische Bewegung in den zwanziger und dreißiger Jahren im Bereich der Schulung ihrer Kader gesammelt hat.In den frühen zwanziger Jahren entstand unter dem Eindruck der Oktoberrevolution in Rußland in aller Welt der Drang, sich Kenntnisse über die Theorie des Marxismus anzueignen, die Wege zur Beseitigung des Kapitalismus zugunsten einer neuen, gerechten Gesellschaft wies und die Mittel dafür bereitstellte. Die von der Idee der Weltrevolution geleiteten Russischen Kommunistischen Partei (Bolschewiki) [RKP(B)], Komintern und jungen kommunistischen Parteien waren bestrebten, der noch nicht durch die Schule des politischen Kampfs gegangenen Jugend die praktischen Erfahrungen der Berufsrevolutionäre, der Bolschewiki, zu vermitteln.Beim Aufbau des Schulungssystems für ihre Kader, die Mitglieder der kommunistischen Jugendverbände und die Aktivisten anderer nationaler revolutionärer Bewegungen leistete die Komintern große Arbeit. Dies betrifft nicht nur die sowjetischen Einrichtun-Der Text wurde übersetzt und redaktionell überarbeitet von Dr. Waleri Brun-Zechowoj und Carsten Tessmer. 2 Den ersten Versuch, dieses Thema wissenschaftlich abzuhandeln, unternahmen G. Sorkin und K. Schirinja: Die Komintern - die Schule der internationalistischen Erziehung der Kader, in: Woprosy istorii KPSS, 1977, Nr. l. S. 68ff. Einige Aspekte des Themas werden mit Blick auf die KPD erläutert in Kinner, K.: Marxistische deutsche Geschichtswissenschaft 1917 bis 1933. Berlin (Ost) 1982. Das Teilproblem der Schulung von KP-Aktiven aus östlichen Ländern in der Kommunistischen Universität der Werktätigen des Ostens (KUTW) sowie in Kommunistischen Universität der Werktätigen Chinas (KUTK) behandeln die Historiker A.W. Panzow (Aus der Geschichte der Kader chinesischer Revolutionäre in der UdSSR, in: Revoluzionnaja demokratija i kommunisty Wostoka. Moskau 1982. S. 290ff.) und N.N. Timofejewa, die zwei Artikel über die Geschichte der KUTW veröffentlichte in: Narody Asii i Afriki, 1976, Nr. 2, S.47ff. u. 1979, Nr. .5, S. 34ff.). 38 JHK 1993Abhandlungengen, sondern auch die Schulen, die auf Anregung und mit finanzieller Unterstützung aus Moskau von den KPs in ihren jeweiligen Ländern gegründet wurden.Die Schulung der Kader im marxistischen Sinne - so sahen es ihre Grundsätze zumindest offiziell vor - verknüpften auf geschickte Art und Weise internationale und nationale Aufgaben miteinander. Den Kommunisten wurden die Unversöhnlichkeit des bürgerlichen Nationalismus und die nationale Beschränktheit, aber gleichzeitig auch die Notwendigkeit eingeschärft, nationale Besonderheiten sowie Eigenarten der einzelnen Länder und Völker in Rechnung zu stellen. In den Schulen der Komintern wurde die Warnung Lenins propagiert, die Weltrevolution engen, nationalen Interessen zu opfern.3Ein ebenfalls wesentliches Element der Schulung stellte das Bemühen dar, den KPs aus dem Arsenal der Bolschewiki die theoretische und revolutionäre Erfahrung zu vermitteln, die sie zum Aufbau der Diktatur des Proletariats in ihren Ländern führen mußte. Eine wichtige Aufgabe der Kaderschulung bestand darin, Gefühle der Klassensolidarität, des proletarischen Internationalismus und die Verbundenheit mit Revolutionären in anderen Ländern, mit nationalen Befreiungsbewegungen in den Kolonien und Halbkolonien zu wecken.Entstehung und Entwicklung des Schulungssysterns für ausländische KornrnunistenZu Beginn der zwanziger Jahre besaß von den Mitgliedsparteien der Komintern lediglich die RKP(B) einige Erfahrung in der ideologischen und theoretischen Schulung ihrer aktiven Mitglieder. Die Komintern nutzte diese Erfahrung sowie die materiellen Möglichkeiten Sowjetrußlands für die Schulung ausländischer Kommunisten und für die Errichtung eines Schulungssystems. Ungeachtet der Schwierigkeiten während des Bürgerkrieges betrieben die von der Idee der Weltrevolution angetriebenen Führer der RKP(B) aktive Propaganda unter ausländischen Bürgern. Ungefähr 5 Millionen Ausländer befanden sich damals aus den unterschiedlichsten Gründen auf sowjetischem Territorium.4 Zehntausende von ihnen traten der bolschewistischen Partei bei und kämpften auf Seiten der Roten Armee in den Einheiten der \"Internationalisten\". Es bildeten sich kommunistische Gruppen, die sich in der Föderation ausländischer Gruppen beim ZK der RKP(B) zusammenschlossen. Zusammen mit Mitgliedern der Föderation betrieben die Bolschewiki Propaganda unter den Internationalisten, in den Lagern, in denen sich ehemalige Kriegsgefangene der deutschen und österreichisch-ungarischen Armee befanden, sowie in den Reihen der Interventionstruppen. In Schnellkursen bildeten sie ausländische Agitatoren aus, bereiteten sie sie auf die Verbreitung revolutionärer Ideen in ihrer Heimat vor. Vielen von ihnen fehlte die Allgemeinbildung, um sich die marxistische Theorie aneignen zu können; sie erarbeiteten sich politische Grundkenntnisse. Nach dem Ende des Bürgerkriegs begann ein Teil der Internationalisten und politischen Flüchtlinge ein Studium an den seit 1921 von der Föderation gegründeten \"Sowjet- und Parteischulen\". Zu den \"Schülern\" einer solchen \"deutschen Schule\" zählten auch Vertreter der Rußlanddeutschen.3 Lenin, W.I.: Gesamtwerke. Bd. 37. S. 214. 4 Siehe Meschdunarodnaja solidarnost trudjaschtschichsja 1917-1923 (Internationale Solidarität derWerktätigen). Kiew 1978. S. 25. L.G. Babitschenko: Die Kaderschulung der KominternJHK 1993 39Unter dem Eindruck des in der Folge der Ereignisse in Rußland merklichen Anwachsens nationaler Befreiungsbewgungen in Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas hoffte man an der Spitze der RKP(B) und der Komintern auf erfolgreiche Revolutionen auch auf diesen Kontinenten, was eine Schulung der Aktivisten der dort im Entstehen befindlichen KPs und fortschrittlicher Bewegungen unumgänglich machte. So erklärte z.B. der Delegierte der KP von Holländisch-Indien, H. Maring (Snewlit), in seiner Rede auf dem II. Kongreß der Komintern: \"Die III. Internationale muß den Genossen aus dem Femen Osten die Möglichkeit geben, hier [in der Sowjetunion, d. Übers.] ein halbes Jahr zu leben und Kurse in Sachen Kommunismus zu besuchen, damit sie richtig begreifen, was hier vor sich geht, damit sie [...] in den Kolonien Arbeit im Dienste des Kommunismus leisten können. [...] Wir, die wir hier in Rußland sind, müssen den Revolutionären im Osten die Möglichkeit verschaffen, sich auf dem Feld der Theorie fortzubilden, damit der Feme Osten ein lebendiges Glied der Kommunistischen Internationale wird.\"5Nach der Gründung der Kommunistischen Universität für die Werktätigen des Ostens (KUTW) im April 1921 in Moskau, in der die Kader der RKP(B) aus Mittelasien, dem Kaukasus und anderen östlichen Gegenden Sowjetrußlands geschult werden sollten, begann man auf Anregung des EKKI, hier die Kader für die KPs und nationalen revolutionären Bewegungen Afghanistans, Chinas, Koreas, der Mongolei, der Türkei und anderer östlicher Staaten auszubilden. Ende 1921 waren an der KUTW mehr als 600 Studenten aus 44 Nationen eingeschrieben.6Per Dekret der Sowjetmacht, das die Unterschrift Lenins trug, wurde Ende November 1921 die Kommunistische Universität für nationale Minderheiten des Westens (KUNMS) gegründet.7 Hier nahmen neben Vertretern der alteingesessenen Bevölkerung des europäischen Teils Sowjetrußlands (Weißrussen, Litauer, Letten, Deutsche, Finnen, Esten usw.) Politemigranten und KP-Mitglieder aus Europa ihr Studium auf. An die Universität wurden bald darauf die 11 nationalen Schulen, die bis dahin bei der Föderation ausländischer Gruppen angesiedelt gewesen waren, als Sektionen angegliedert. Die KUNMS wurde nach ihrem Statut der Kommunistischen Universität \'\'J.M. Swerdlow\", der seit 1919 existierenden Parteihochschule der RKP(B), gleichgestellt, an der auf Ersuchen ihrer Parteiführungen auch einige ausländische Kommunisten studierten.Rektor der KUNMS war von 1921 bis 1924 Julian Marchlewski, ein bekannter Funktionär der polnischen und deutschen Arbeiterbewegung. Seine Nachfolgerin in diesem Amt, M.J. Frumkina, erinnerte sich: \"Die Zeiten waren schwierig es waren die ersten Monate der NÖP, es herrschte Hungersnot. Überall wurde gestrichen, gekürzt, abgebaut. Und in dieser Zeit ruft die Sowjetmacht die Hochschule für nationale Minderheiten des Westens ins Leben und benennt als deren vordringlichste Aufgabe die Ausbildung qualifizierter Parteifunktionäre. \"8Mit dem Anwachsen der Mitgliedschaft der KPs wuchs auch deren Bedürfnis nach Ausbildung ihrer Funktionäre. 1925 wurde auf Vorschlag der Komintern in Moskau eigens eine Universität für die Werktätigen Chinas (KUTK) gegründet. Sie sollte in der5 Zitiert nach Panzow, Geschichte der Kader, a.a.O., S. 300. 6 Vgl. Timofejewa, a.a.O., in: Narody Asii i Afriki, 1976, Nr. 2. S.48f. 7 Vgl. Sobranije usakonenij i rasporjaschenij rabotschewo i krestjanskowo prawitelstwa (Sammlung derGesetze und Verordnungen der Arbeiter- und Bauernregierung). Nr. 77 (24.12.1921). Moskau 1921. S. 796. 8 Vgl. die Zeitung der KUNMS, \"Krasnij Sapadnik\", (Jan.) 1927, Nr. 11-12. S. 4f. 40 JHK 1993AbhandlungenHoffnung auf einen Erfolg der dort begonnenen nationalen antiimperialistischen Revolution die Kader der KP und Kuomintang marxistisch schulen. Um die Auswahl der Studenten kümmerte sich unter Beteiligung des Beraters der Kuomintang-Führung, M. Borodin, sowie anderer Funktionäre sowjetischer Behörden - zu ihnen gehörte auch der Universitätsdozent S.A. Dalin - die Ostabteilung des EKKI. Von den ersten Studenten waren 20% Kommunisten, 30% Komsomolzen und 50% Mitglieder der Kuomintang. Die erste Gruppe kam im November 1925 nach Moskau, die letzte im Sommer 1926. Insgesamt kamen mehr als 300 Personen.9Ein Teil der Studenten kam aus europäischen Ländern, wo sie an Hochschulen studiert hatten. Von denjenigen, die 1925/26 aufgenommen wurden, hatten 110 bereits mit einem Studium begonnen; genauso viele hatten die Oberschule abgeschlossen, die übrigen hatten sie noch nicht beendet. 1926/27 kamen Kommandeure und Politoffiziere der Armee Fan Yui-sjans sowie Aktivisten der KP Chinas aus dem Norden des Landes zum Studium an die KUTK. Alle bisher an der KUTW eingeschriebenen chinesischen Studenten wechselten zur KUTK. 1927 erreichte die Zahl der Studierenden an der KUTK 500. Sie repräsentierten die unterschiedlichsten politischen Gruppierungen, die sich in der nationalen Einheitsfront Chinas zusammengefunden hatten. Nach dem Bruch der Kuomintang mit der KP Chinas wurde ihren Mitgliedern eine Fortsetzung des Studiums in Moskau verboten; mehr als 100 Studenten kehrten zurück nach China.Rektoren der Hochschule waren von 1925 bis 1927 Karl Radek, von 1927 bis 1929 P.A. Mif, von 1929 bis 1930 W.I. Weger.An der KUTK wurden auch marxistische Literatur, Dokumente der Komintern und der Allunions Kommunistischen Partei (Bolschewiki) [WKP(B)] und die Werke Stalins ins Chinesische übersetzt.Parallel zum Aufbau des Systems zur ideologisch-politischen Schulung der Kader der Revolutionäre aus dem Osten wurden Anstrengungen unternommen, die Aktivisten aus den Reihen der europäischen KPs, namentlich aus ihren Führungsspitzen, fortzubilden. Noch der IV. Kongreß der Komintern 1922 hatte in den Thesen einer Sonderkommission den KPs die Aufgabe gestellt, die Mitgliedschaften in Massen zu schulen, \"unter ihnen begabte Propagandisten und Agitatoren heranzuziehen\", Aufklärungsarbeit in den Massenorganisationen zu leisten. Der Kongreß verpflichtete die KPs, Schulen zu gründen sowie Tages- und Abendkurse für ihre Aktivisten einzurichten. Jeder Kommunist hatte das Parteiprogramm und die Dokumente der Komintern zu studieren. Regelmäßig mußte er darüber Prüfungen ablegen. Auch von der Einrichtung \"internationaler Kurse\" an der Sozialistischen Akademie in Moskau war die Rede.10Letzteres Vorhaben verzögerte sich jedoch. Der V. Kongreß wandte sich ihm 1924 im Zusammenhang mit den Aufgaben zur Bolschewisierung der Parteien erneut zu; zudem erschien es nach dem Tode Lenins besonders notwendig, daß jeder Kommunist sich mit dessem theoretischen Vermächtnis vertraut machte. Der Kongreß schlug den Parteien folgendes Schulungssystem für ihre Kader vor: Am Anfang sollten Bemühungen stehen, sich selbst weiterzubilden, sollten Gesprächszirkel zur Erörterung grundsätzlicher Fra-9 Russisches Zentrum für die Aufbewahrung und Erforschung von Dokumenten der neuesten Geschichte (im weiteren RZAEDNG), f., 530, op.2, d.35, 1.2.10 Vgl. Bjulleten IV kongressa Kommunistitscheskowo Internazionala (Bulletin des IV. Kongresses der Kommunistischen Internationale). Nr. 25 (5.12.1922). Moskau 1922. S. 23ff. L.G. Bahitschenko: Die Kaderschulung der KominternJHK 1993 41gen und Sonntagsschulen eingerichtet werden, später schon zentrale Parteischulen. In Moskau begannen Schulungskurse für Spitzenfunktionäre. l lDas EKKI legte später den Entwurf für die Einrichtung Internationaler Kurse vor, die - so wurde vorgeschlagen - 40 Bezirksparteisekretäre aus verschiedenen Ländern belegen können sollten. Der Leiter der Abteilung Agitation und Propaganda des EKKI, Bela Kun, erläuterte dieses Vorhaben in einem an Sinowjew, Kamenew, Kuusinen und Stalin gerichteten schriftlichen Bericht vom 25.11.1924: \"Wenn wir in jeder Partei eine auch nur kleine Führungsgruppe bilden, die im leninistisch-bolschewistischen Sinne den Charakter und die Widersprüche der gegenwärtigen Epoche begreift, die in der Lage ist, sich in der konkreten historischen Situation ihres Landes zurechtzufinden und das Allgemeingültige, für alle Länder Zutreffende aus den Erfahrungen der russischen Revolution von dem spezifisch Russischen dialektisch zu unterscheiden, erst dann wird die Bolschewisierung der KPs eine feste Grundlage haben und als bewußter und organisierter Prozeß weiterlaufen.\" 12 Das Politbüro des Zk der RKP(B) unterstützte dieses Projekt des EKKI und stellte Räume sowie Mittel für die Kurse zur Verfügung. Das V. Plenum des EKKI im März/April 1925 billigte ihr Programm. Die Lehrgänge begannen im Mai 1926 in der Uliza Worowski 25a, eine Adresse, die einer ganzen Generation von Kommunisten aus den verschiedensten Ländern, die hier studierten, bekannt werden sollte. Seit 1928 firmierten die Kurse unter dem Namen Internationale Lenin-Schule (MLSch). Anfangs gab es Schwierigkeiten mit den Lehrkräften und Übersetzern. Die Kursdauer schwankte. Zuerst waren dreijährige Lehrgänge vorgesehen, doch 1927 wurden sie auf 2 Jahre verkürzt, um ab 1930 wieder zum Drei-Jahres-Rhythmus zurückzukehren. FürFunktionäre auf Bezirksebene wurden 1932 wieder zweijährige Kurse, für Mitarbeiter der Kreis- und Grundorganisationen einjährige eingeführt. Dieses Hin und Her resultierte aus dem Widerstreit zwischen den einzelnen Parteien einerseits und dem EKKI sowie den Schulleitungen andererseits: Während erstere die lange Abwesenheit ihrer Kader, von denen sie ohnehin zu wenig hatten, auf Schulungen schmerzte und sie für eine kurze Studiendauer plädieren ließ, waren letztere davon überzeugt, daß die Parteiaktivisten nur in einer zwei- oder dreijährigen Schulung ausreichend vorbereitet werden könnten. Auf Initiative der Parteien bagann man bald darauf, kurze Lehrgänge von drei, sechs und neun Monaten Dauer für Parteiaktivisten aller Ebenen einzurichten.Formell gehörte die MLSch zum Lenin-Institut, faktisch war sie jedoch dem Präsidium des EKKI angegliedert, dessen Abteilung für Agitation und Propaganda sie unmittelbar unterstellt war. Ihr Rektor von 1926 bis 1930 war Nikolaj Bucharin, seine Nachfolgerin in den Jahren 1930/31 und 1933-1937 war Klawdija Kirsanowa, eine Bolschewitschka, die noch in der Illegalität tätig gewesen war, und Ehefrau von E. Jaroslwaski. Von Januar bis Mai 1932 leitete Wilhelm Pieck die Schule, 1937/38 Wilko Tscherwenkow. Das höchste Gremium für wissenschaftliche und methodische Fragen der Schule war ihr Vorstand, dessen Mitglieder vom politischen Sekretariat des EKKI bestätigt wurden. Sein Vorsitzender war Palmiro Togliatti, der gleichzeitig die Schule im Auftrag des Präsidiums des EKKI betreute.l l Vgl. Kommunistitscheskij Internazional w dokumentach 1919-1932 (Die Kommunistische Internationale in Dokumenten). Moskau 1933. S. 436f.12 RZAEDNG, f.495, op.30,d.69, 1. l. 42 JHK 1993Abhandlungen1926 besuchten 70 Schüler die MLSch, ein Jahr darauf kamen noch 100 dazu. In der Folgezeit nahm ihre Zahl weiter zu.13 Die jährlichen Kosten für einen Absolventen der MLSch beliefen sich auf 2 034 Rubel. Sein Stipendium war höher als der Durchschnittslohn eines sowjetischen Arbeiters;14 es machte nach den Worten Manuilskis 1934 das Jahresbudget zweier Arbeiterfamilien aus.15Die Studenten an der KUNMS waren weniger gut gestellt. Dies lag daran, daß ihre Universität dem Volkskommissariat für Bildung angegliedert war. Doch, als sie Mitte 1929 dem Allrussischen Zentralexekutivkomitee (WZUK) unterstellt wurde, verbesserte sich die materielle Lage der dort Studierenden erheblich.16Auch den Studenten an der KUTK wurden günstige Bedingungen für Studium und Erholung geschaffen. Einer ihrer Absolventen, Shen Ye, bescheinigte: \"Weder die russischen Studenten an anderen Universität noch die russischen Professoren hatten all das, über das die chinesischen Studenten verfügten.\"17 Archivdokumente bestätigen diese Aussage. Die jährlichen Kosten für einen Studenten der KUTK betrugen zwischen 1 868 und 2 873 RubeI.18Die Lehrpläne für die Schulen der Komintern beruhten auf denen der sog. \"kommunistischen\" Universitäten, der Bildungseinrichtungen also, an denen die Kader der RKP(B) geschult wurden. Als Vorlage dienten die Lehrpläne der Swerdlow-Universität.19 Sie wurden ergänzt um Fächer, die die Geschichte der entsprechenden Länder und KPs behandelten. Demnach verlief das Lehrprogramm für die ausländischen Parteifunktionäre ursprünglich nach einem bestimmten Schema ab, das nationale Besonderheiten zu wenig beachtete und in seiner Ausrichtung auf sowjetische Verhältnisse für die ausländischen Studenten wenig nutzbrigend war.Das Niveau der Allgemeinbildung der Abiturienten, die eine Komintern-Schule besucht hatten, war unterschiedlich. Aus diesem Grunde wurde ein Vorbereitungskurs in den Fächern Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Zeichnen, Russisch und der jeweiligen Muttersprache eingerichtet. In den Grundkursen wurden die Fächer dialektischer und historischer Materialismus, Politökonomie, Geschichte der revolutionären Weltbewegung, der Komintern, des eigenen Landes und der RKP(B), der Aufbau der Sowjetunion, Formen und Methoden der Massenagitation und -propaganda unterrichtet. In den Schulen wurden die Studenten je nach Sprachkenntnissen, Alter, Bildungsstand und früherer Funktion innerhalb der Partei in Gruppen und Arbeitskreise eingeteilt.Das wissenschaftliche Niveau und die Qualität der Kaderschulung in den Einrichtungen der Komintern waren - namentlich in den ersten Jahren ihres Bestehens - niedrig. Hier zeigte sich die mangelhafte Herausbildung politischer Kultur unter den Funktionären der RKP(B) in den zwanziger Jahren. Anfangs griff die Komintern auf aus der Emigration heimgekehrte Veteranen der Bolschewiki als Lehrkräfte zurück, die Fremdspra-13 Vgl. Perwyi god Leninskoj schkoly i jejo perspektiwy (Das erste Jahre der Lenin-Schule und ihre Perspektiven), in: Kommunistitscheskij Internazional, 1927, Nr. 37. S. 24ff.14 RZAEDNG, f.17, op.74., d.40, 1.56, 64. 15 Ebenda, f.531, op.2, d.37, 1.54. 16 Ebenda, f.531, op.1, d.15, 1.96, 99. 17 Zitiert nach Panzow, Geschichte der Kader, a.a.O., S. 308. 18 RZAEDNG, f.530, op.4, d.l, 1.5 19 Vgl. Leonowa, L.S.: 1s istorii podgotowki partijnych kadrow w sowjetsko-partijnych schkolach ikommunistitscheskich uniwersitetach 1921-1931 (Aus der Geschichte der Kaderschulung an sowjetischen Parteischulen und kommunistischen Universitäten). Moskau 1972. S. 56. L.G. Babitschenko: Die Kaderschulung der KominternJHK 1993 43chen und die marxistische Theorie ganz passabel beherrschten, die mit der europäischen Arbeiterbewegung und zugleich mit der Arbeit der RKP(B) in Sowjetrußland vertraut waren. Auch politische Flüchtlinge, die die Staatsbürgerschaft der Sowjetunion angenommen hatten, wurden als Lehrkräfte herangezogen. Ihre Bildung ließ zwar zu wünschen übrig, doch hatten sie sich in den Kämpfen des Bürgerkriegs bewährt. Zu den ersten Lehrern an Komintern-Schulen gehörten Jan Anwelt, Stanislaw Budsynski, Wan Min, Jewgenij Warga, Wladimir Djegot, Stankje Dimitrow, Christo Kabaktschijew, Winzas Mizkjewitsch-Kapsukas, Laszlo Rudas, Sen Katajama, Lew Suniza, Jure Sirola, Ernst Zobel und viele andere. Sie waren jedoch durch eine Unmenge anderer Verpflichtungen gebunden und stellten eine Minderheit im Lehrkörper dar. Die Mehrzahl der \"roten Professoren\" waren Absolventen der Kommunistischen Universitäten in der Sowjetunion mit revolutionärer Vergangenheit. Nur selten gehörten Vertreter der alten Intelligenzija aus der Zeit vor der Revolution dazu, denn bei all ihrer Gelehrtheit standen ihnen die Spitzen der RKP(B) und Komintern stets mißtrauisch gegenüber.Daher kam es, daß die Mehrheit der Professoren die verschiedenen Muttersprachen der Studenten, Probleme in der Geschichte deren Heimatländer, Fragen der Arbeiterund kommunistischen Bewegung sowie Besonderheiten der Tätigkeit der KPs nicht kannte. Die Rektorin der MLSch K. Kirsanowa gestand 1931, daß an ihrer Schule \"nur 10 der Lehrer sich mit den spezifischen Problemen der KPs beschäftigen kann.\"20 In den anderen Bildungseinrichtungen sah es nicht besser aus. Dies führte dazu, daß sich der Unterricht auf allgemeinverständliche, kaum tiefschürfende Fragen beschränkte, die für den Dozenten vertrautes Terrain darstellten. Es wurden also vor allem Probleme in der Geschichte der RKP(B), die Erfahrungen der Bolschewiki und der Aufbau des Sozialismus in der UdSSR sowie Formen der Parteiarbeit im Umgang mit den Massen erläutert. Die Absolventen wurden mithin nicht darauf vorbereitet, die für ihre Parteien gegenwärtigen Aufgaben zu lösen, sondern sie wurden auf die Wahrnehmung von Funktionen getrimmt, die allenfalls nach der Machteroberung durch ihre Parteien zu besetzen gewesen wären.Zudem machten den Großteil der Lehrpläne Fächer aus, die Kenntnisse in der Theorie des Marxismus und Allgemeinwissen vermitteln sollten; demgegenüber wurde das Studium konkreter, aktueller Probleme, vor denen die KPs standen, sowie nationale Besonderheiten der einzelnen Staaten, insbesondere die Entwicklung der Arbeiterbewegung in den Ländern, vernachlässigt. Nicht von ungefähr teilte Kirsanowa in ihrem Bericht an die Gruppe der RKP(B) beim EKKI mit, daß die Schule den Absolventen \"theoretisches Wissen ohne ausreichende Befähigung, mitunter sogar ohne jede Befähigung, dieses in der Praxis des revolutionären Kampfes anzuwenden\",21 vermittele.Die Führung der Komintern und die Leitung ihrer Bildungseinrichtungen sahen, daß die Überfrachtung des Lernprogramms mit theoretischen Inhalten, die blinde Übernahme der Erfahrungen der RKP(B) und die Loslösung der Studierenden von der alltäglichen Praxis der Parteien von Nachteil waren, und man versuchte, Gegenmaßnahmen zu treffen. Man nutzte den Aufenthalt von Parteiführern in Moskau dazu, diese vor den Studenten auftreten zu lassen, zog sie, Mitarbeiter des EKKI-Apparates, Repräsentanten der KPs in Moskau zur Teilnahme an Veranstaltungen in den Schulen heran.20 RZAEDNG, f.495, op.30, d.755, 1.28. 21 Ebenda, f.495, op.30, d.69, 1.38. 44 JHK 1993AbhandlungenDie Leitung der MLSch zum Beispiel warnte in den ersten Monaten ihrer Tätigkeit davor, daß die \"Studenten in ihren Ländern die Arbeitsmethoden der RKP(B) mechanisch anwandten. Sie sollten diese vielmehr, aufbauend auf den Erfahrungen und den Arbeitsmethoden der Komintern, entsprechend verbessern. \"22 Es war ohne Frage einfach, solche Wünsche zu äußern, ungleich schwerer war, sie zu realisieren. Dies gilt um so mehr, als die Komintern selbst unter denselben Krankheiten litt. Darüber hinaus impften der ganze Schulalltag, die Betriebspraktika und die in den Lehrplänen vorgesehenen Schulbücher beharrlich Ehrfurcht vor den Erfahrungen der Bolschewiki ein, die die Revolution verwirklicht hatten und den Sozialismus aufbauten. In der Konsequenz wurden die Arbeitsformen und -methoden der RKP(B) mechanisch auf die ausländischen KPs übertragen, entstanden so Konflikte. Ein Teil der Studierenden - vor allem aus den industriell entwickelten Staaten - wurde bitter enttäuscht, als sie, die sie durch die einseitige, alles durch die \"rosarote Brille\" schildernde Berichterstattung der kommunistischen Presse ihrer Heimatländer (anderen Presseorganen mißtrauten die jungen Kommunisten und ignorierten sie folglich) über die \"Erfolge\" der sowjetischen Wirtschaft und das glückliche Dasein des Volkes beeinflußt worden waren, vor Ort mit der realen Situation und den harten materiellen Lebensumständen der Menschen konfrontiert wurden. Auf dieses Problem wies auf dem XII. Plenum des EKKI im August 1932 der Sekretär des Exekutivkomitees, Otto Kuusinen, hin: \"Unsere Presse in den kapitalistischen Ländern stellt die Dinge immer so dar, als sei hier schon \'alles gut\'. Darin spiegeln sich wahre Liebe zur und Entzücken über die Sowjetunion wider. Doch politisch schlecht ist, daß nicht wir, sondern nur unsere Feinde über die Schwierigkeiten, die die UdSSR tatsächlich hat, schreiben und sprechen.\"23Es bedurfte umfangreicher Aufklärung durch Dozenten, Aspiranten und Studierende, die kurz vor dem Examen standen, um die Ursachen für die Schwierigkeiten, das dürftige technische Niveau der Industrie in der UdSSR usw. zu erklären und den unabhängigen Köpfe unter den Studenten den - ins Schwanken geratenen - Glauben an eine strahlende Zukunft der Sowjetmacht zurückzugeben.Der Alltag der Studierenden an KomintemschulenDie Aktivisten der KPs und Jugendverbände sowie die Politemigranten, die an die Schulen abkommandiert worden waren, betrachteten das Studium als Parteipflicht, ja sie hatten den brennenden Wunsch, sich viel Wissen anzueignen und die marxistische Theorie zu beherrschen. Anfangs wurden pro Tag bis zu zehn Stunden Vorlesungen und Seminare abgehalten. Darüber hinaus galt es, umfangreiche Hausarbeiten zu erledigen, schriftliche Arbeiten anzufertigen und Beratungsgespräche mit Dozenten zu führen. Die Studenten fehlte es ständig an Zeit. Hinzu kommt, daß viele von ihnen nicht gewohnt waren, selbständig mit einem Buch zu arbeiten. Charakteristisch ist der Eindruck, den Hans Teich, Teilnehmer an einem Schnellkurs an der deutschen Sektion der MLSch, wie folgt beschrieb: \"Es ist einfach unmöglich, die geforderte Zahl an Seiten zu lernen, wenn22 Ebenda, f.531, op.l, d.8, 1.38. 23 Vgl. XII. plenum IKKI. Stenografitscheskij ottschet (XII. Plenum des EKKI. Stenografisches Proto-koll). Bd. 1. Moskau 1933. S. 9. L.G. Babitschenko Die Kaderschulung der Komintern _ _ _ ~ - - - - -JHK 1993 45man die Belastbarkeit eines Menschen zugrundelegt. Der Student geht im Lernstoff unter und verliert jeden Orientierungspunkt zur Klärung von Grundsatzfragen. \"241931 wurde die tägliche Stundenzahl an der MLSch auf 8 Stunden verkürzt, 1933 auf 7. Gleichzeitig wurden auch an anderen Schulungseinrichtungen der Komintern die Zahl der Unterrichtsstunden sowie der Themen reduziert, die außerhalb des Unterrichts selbständig bearbeitet werden mußten.Den Großteil der Zeit der Studierenden nahmen gesellschaftliche und außeruniversitäre Tätigkeiten in Anspruch. Sie lernten Kollektive aus Fabriken und aus militärischen Einheiten, die Jugend Moskaus und Bauern aus der Umgebung der Hauptstadt kennen. Oft wurden Museen, Theater und Konzerte besucht, Exkursionen in viele Städte der UdSSR veranstaltet. Die Kursteilnehmer sangen in Chören mit, beschäftigten sich in literarischen Zirkeln, bereiteten festliche Abende vor, gaben Wandzeitungen heraus und beteiligten sich an der Publikation von Pressebulletins ihrer Sektionen und Schulzeitungen.Wie Sowjetbürger waren die ausländischen Studenten dazu verpflichtet, sich gesellschaftlichen Vereinigungen wie z.B. der \"Internationalen Roten Hilfe\", dem \"Kinderfreund\", der Gesellschaft zur Förderung der Verteidigung, des Flugwesens und der Chemie und anderen mehr anzuschließen und in ihnen mitzuarbeiten.Die Studenten in den Hauptkursen, die einer kommunistischen Partei angehörten, wurden Mitglieder der WKP(B). Parteizellen bezogen sie in ihre Tätigkeiten mit ein und wirkten so sorgsam an ihrer \"Erziehung\" mit. Auf den allgemeinen Versammlungen und Sitzungen der Parteikomitees wurden alle zuletzt von der WKP(B) und Komintern getroffenen Entscheidungen diskutiert. Die Säuberungen, der Kampf gegen die Trotzkisten sowie gegen tatsächliche und vermeintliche \"Linke\", \"Rechte\" und \"Versöhnler\", die die WKP(B) und die Komintern erschütterten, machten keinen Bogen um Studenten und Dozenten der Schulen. Auch unter ihnen suchte und fand man Abweichler von der \"Generallinie\" der WKP(B), der Komintern und der Partei im jeweiligen Heimatland, Träger sozialdemokratischer Traditionen und \"Überbleibsel\", die es zu tilgen galt. Laut Mitteilung des Rektors der KUTK, W. Weger, an das ZK der WKP(B) vom 25.1.1930 bekämpfte die Verwaltung der Hochschule im Rahmen der Parteisäuberung des Jahres 1929 erfolgreich \"parteifcindliche und konterrevolutionäre Gruppierungen\" und entlarvte sie eine \"trotzkistische Untergrundorganisation\", der ungefähr 100 Personen angehörten.25Die Fragen nach der Qualität der Ausbildung derjenigen, die eine Kominternschule absolviert hatten, hing auf das Engste mit den Problemen der Auswahl von Kandidaten für das Studium zusammen. Fast jedes Jahr schickte das EKKI Rundschreiben an die Parteien, in denen sie an die Anforderungen an Abiturienten erinnerte. Den Vorzug gab man jenen, die proletarischer Herkunft waren, die eine bestimmte Bildung (Abitur oder Hochschulbildung) besaßen, die sich als \"treue Parteimitglieder\" bewährt hatten, die nie zu Oppositionskreisen gehört oder \"abweichende\" Standpunkte vertreten hatten.26 Den-24 Vgl. \"Leninskaja Schkola\". Organ organisazii BKP (b) MLSch (Organ der Organisation der WKP(B) an der MLSch), (Februar) 193 l, Nr. 5. S. 32.25 RZAEDNG f.530, op.1, d.71, 15-6. 26 Die Sozialstruktur der Studierenden an der MLSch zwischen 1926 und 1930 hatte folgendes Aus.sehen:69,5% Angehörige der Arbeiterklasse, 14,8% der Intelligenz, 4,4% Bauern. RZAEDNG, f.495, op.30, d.25, 1.25. Zur deutschen Sektion vgl. Hcrlemann, Beatrix: Der deutschsprachige Bereich an den Ka- 46 JHK 1993Abhandlungennoch wurden die Studenten, wie 1935 auf einer Versammlung an der MLSch zu Recht festgestellt wurde, oftmals eher spontan ausgewählt, als daß man von einem organisierten Verfahren hätte sprechen können. Nicht angenommen wurden manchmal gerade die, die befähigt waren, sich die Theorie anzueignen, die schon Erfahrung in der Arbeit mit Massen hatten. Das Kalkül, die Studierenden \"bearbeiten\" zu wollen, führte dazu, daß namentlich aus den Ländern des Ostens und aus Lateinamerika, wo das Proletariat schwach entwickelt war, quasi Analphabeten zum Studium geschickt wurden, die zwar proletarischer Herkunft, aber ungeeignet waren, sich den in den Lehrplänen vorgesehenen Wissensstoff anzueignen. Darüber hinaus bedingte der eklatante Mangel an Kadern, daß die Parteien nicht selten nur formell den Anforderungen des EKKI an die Abiturienten Rechnung trug und die begabten Aktivisten für sich behielten, während sie offensichtlich weniger Vielversprechenden zum Studium schickten.Nach den Massenausschließungen sogenannter \"Rechter\" aus den Parteien im Jahr 1929 verzeichneten die Schulen einen wesentlich geringeren Zustrom junger, begabter, intellektueller Aktivisten. Auf die Schulung der Parteikader wirkte sich all dies negativ aus. Nicht von ungefähr stellte der VI. Kongreß der Komintern einen \"verhältnismäßig niedrigen politisch-theoretischen Wissensstand der Parteikader\" fest und verpflichtete die Parteien, \"alle Maßnahmen zu ergreifen\", ihn zu erhöhen.27Ein wesentliches Element der Ausbildung an den Kominternschulen waren das Winter- und Sommerpraktikum. Im Winter arbeiteten die Studenten für zwei Wochen in Moskauer Unternehmen, studierten Formen der Produktionsleitung und die Tätigkeit von Partei- bzw. gesellschaftlichen Organisationen. Im Sommer absolvierten sie eine vier- bis sechswöchige Hospitanz in verschiedenen Gegenden der UdSSR. Nach Abschluß der Praktika schrieben die Studenten Berichte, die sie auf einer Versammlung in der Universität vortrugen und in denen sie eine Bilanz der Hospitanzen zogen. An die Presseorgane ihrer Parteien und sowjetische Lokalzeitungen schickten sie Reportagen und Skizzen, die ihre während der Praktika gewonnenen Eindrücke wiedergaben.281930 begannen Studenten der deutschen Sektion an der KUNMS als erste, während ihrer Praktika unter ausländischen Arbeitern und Spezialisten zu agitieren, deren Zahl in der UdSSR von 4 500 im Jahr 1930 auf 20 000 zwei Jahre später angestiegen war.29 Allein in Moskau und im Bezirk der Hauptstadt arbeiteten 2 000, von denen die Mehrheit aus Deutschland stammte.30 Die Praktikanten agitierten unter ihren Landsleuten, der nicht-russischen Bevölkerung und ausländischen Seeleuten in den Häfen. Sie halfen ausländischen Spezialisten, die Sprachbarriere zu überwinden und Kontakt mit den sowjetischen Arbeitern herzustellen, und bezogen sie somit in das Leben der Arbeitskollektive ein. Ein Teil der ausländischen Arbeiter und Ingenieure befreite sich von Vorurteilen; sie wurden zu Freunden des Sowjetlandes.Seit 1928 absolvierten viele Studenten - vor allem der höheren Kurse und Aspiranten - ihr Praktikum bei Veranstaltungen der Komintern, im Apparat des EKKI und derderschulen der Kommunistischen Internationale, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 18. Jg., 1982, S. 205-229. 27 Vgl. Stenografitscheskij ottschet VI. kongressa Korninterna (Stenografisches Protokoll des VI. Kongresses der Kommunistischen Internationale). Heft 1. Moskau, Leningrad 1929. S. 73, 80. 28 RZAEDNG, f.531, op.1, d.3, 1. 18, 33-35; d.6, 1.1; \"Kunmsowez\", 5.5.1933. S. 2. 29 Vgl. Dwijenie meschdunarodnoy solidarnosti trudjaschichsja 1924-1932 (Bewegung der internationalen Solidarität der Werktätigen). Kiew 1980. S. 68. 30 \"Kunmsowez\", 24.6.1933. L.G. Babitschenko: Die Kaderschulung der KominternJHK 1993 47Kommunistischen Jugendinternationale (KIM), bei Massenorganisationen, die unter Führung der Komintern agierten. Auf diese Weise überwand man schrittweise auch die Trennung der Kursteilnehmer von ihren Parteien. Aus dem täglichen Kontakt mit Kollegen aus den Reihen der WKP(B), anderer illegaler oder legaler Parteien entwickelten sich freundschaftliche Beziehungen zwischen Vertretern verschiedener Länder, Nationen und Kontinente.Die Studenten an der MLSch und der KUTK waren enger als ihre Kommilitonen an den ausländischen Sektionen der KUNMS und der KUTW mit dem EKKI verbunden. Sie waren daher auch besser über die Lage in ihren Heimatländern informiert. An der KUNMS und der KUTW unterrichteten in der Hauptsache politische Flüchtlinge, die ihre Heimat schon vor vielen Jahren verlassen hatten und sozusagen \"getrennt\" von ihrer Partei lebten. Die Absolventen der MLSch und der KUTK wurden zu Funktionären der höheren und mittleren Ebene herangezogen, die der KUNMS und der KUTW zu Kadern der mittleren und unteren Ebene. Die Erstgenannten entließen ihre Absolventen sofort nach Ende des Studiums in ihre Heimat, während die anderen dies nur dann taten, wenn in den Heimatländern der Terror gegen Kommunisten nachließ und Amnestien verkündet wurden. Um die Wartezeit bis zur Abreise zu überbrücken, arbeiteten sie in Unternehmen, auf dem Lande, in Ausländerklubs sowie in Gebieten, in denen nationale Minderheiten lebten.Die Organisation des Studiums an den Schulen der Komintern stellte die Parteiführungen bei weitem nicht zufrieden. In ihrer Korrespondenz mit dem EKKI und den Schulleitungen wurde Kritik geäußert und vorgeschlagen, den Interessen der Parteien mehr Rechnung zu tragen und die Kader so zu schulen, daß sie ihren Bedürfnissen gerecht würden. In den Dokumenten stößt man auf Termini wie \"Nationalisierung der Lehrpläne\", d.h. auf Forderungen nach einem intensiveren Studium der konkreten Probleme, der Besonderheiten des eigenen Landes und der Partei. Mit Blick auf die KUTK hieß das \"Chinesierung\" des Lehrstoffs. Vorgeschlagen wurde zudem eine vertiefte \"Internationalisierung\", d.h. die Berücksichtigung und Übernahme der Erfahrungen, die andere Parteien unter ähnlichen Bedingungen gemacht hatten, oder die kommunistische Bewegung insgesamt. Doch praktische Konsequenzen wurden aus der Kritik und den Vorschlägen zur Verbesserung der Ausbildung nicht gezogen. Die Verbindung zwischen Kursteilnehmern und Parteien, die Information über deren Arbeit, das Studium ihrer wirklichen Probleme blieben unzureichend.Die Linkswende der Komintern und ihre Folgen für die KaderschulungIn Folge der Kampagne gegen \"Rechte\" im Exekutivkomitee und einer Reihe von KPs Ende 1928/Anfang 1929 verschlechterte sich die Lage an den Schulen der Komintern erheblich. Dazu trug auch bei, daß mit der Ablösung N. Bucharins J. Stalin und W. Molotow in führende Positionen im EKKI aufrückten. Nicht von ungefähr konstatierte die im Sommer 1930 einberufene Versammlung von Parteifunktionären aus den AgitpropAbteilungen der mitteleuropäischen KPs Schwächen in der Propaganda, der Aufkärung und theoretischen Schulung der Parteiaktive.Die Ergebnisse einer im Februar 1930 in Moskau von der sowjetischen Gesellschaft marxistischer Historiker zusammen mit Dozenten vieler Bildungseinrichtungen - darunter auch Komintern-Schulen - veranstalteten Konferenz wirkte sich schmerzhaft auf die 48 JHK 1993AbhandlungenKaderschulung aus.31 Unter dem Einfluß der \"komplizierten Kollektivierung\" der Landwirtschaft und des Kampfes mit der Gruppe um Bucharin im Politbüro erörterte die Konferenz mit Blick auf die Geschichte von WKP(B) und Komintern sowie hinsichtlich des Leninismus Fragen des Studiums und der Lehre an den KOmintern-Schulen. In der Debatte wurde darauf hingewiesen, daß es für die ausländischen Studenten zu wenig Exemplare der Schriften Lenins und zu wenige Lehrbücher zur Geschichte der WKP(B) gebe. Man gab zu, daß die Lehre im Fach Leninismus schablonenhaft sei, daß sich die Studenten marxistische Ideen auf scholastische Art und Weise aneigneten. Es wurde angemerkt, der Leninismus werde für die ausländischen Studierenden allzu \"russisch\" dargelegt. Die Redner verwiesen auf das niedrige wissenschaftliche Niveau und die primitiven Inhalte des Fachs Leninismus, was \"Dozenten und Studenten von eigenständigem, kreativem Arbeiten befreit\" .32Die meisten Redner plädierten dafür, die wissenschaftliche Forschung \"in den Dienst der Gegenwart\" zu stellen, und betonten die Notwendigkeit, die Abkehr vom Kurs der Neuen Ökonomischen Politik (NEP) theoretisch zu begründen, was auch bedeutete, die Äußerungen Lenins aus der Zeit des Kriegskommunismus aus der Sicht der Jahre 1929/30 zu interpretieren und eine Reihe von Maßnahmen aus jenen Tagen als \"allgemeingültig, immer anwendbar und allgemeinverbindlich\" darzustellen.33In der von der Konferenz verabschiedeten Resolution zum Studium der KominternGeschichte überwogen linke Einschätzungen. Die Geschichtswissenschaft hatte kurzfristigen revolutionären Zielen zu dienen. Die Hauptresolution, die die Methodik des Unterrichts in den Fächern Leninismus, Geschichte der WKP(B) und Komintern bewertete, stellte einen \"weltweiten revolutionären Aufschwung\" fest, zielte in ihrer Stoßrichtung auf den Kampf gegen die \"Rechten\", richtete sich in ihren Vorgaben auf die Verringerung von Grundlagenforschung sowie auf die Unterstützung der Forderungen Stalins und seiner Politik eines \"Kasernenkommunismus\". Insgesamt zeigte die Konferenz, daß in den Konzepten und im Unterricht in den Fächern Geschichte, leninistischer Theorie und Komintern der Schematismus den Sieg über einen schöpferischen, dialektischen Zugang zur Erkenntnis der Wirklichkeit davontrug.In den Jahren 1930/31 kam es zu einer neuen Diskussion in vielen wissenschaftlichen Einrichtungen der UdSSR. Unter dem Einfluß der stalinistischen Herrschaftselite endeten sie mit der Verhaftung bekannter Spezialisten, Historiker, die ihr Handwerk vor der Revolution gelernt und ausgeübt hatten, - unter ihnen waren sogar rechtgläubige Professoren und Wissenschaftler \"neuen Typs\".31 Zum Konferenz-Protokoll vgl. Woprosy prepodawanija leninisma, istorii WKP (b) i Korninterna (Fragen zum Unterricht in Leninismus und in Geschichte der WKP(B) sowie der Komintern). Moskau 1930.32 Ebenda, S. 85. 33 Ebenda, S. 134. L.G. Babitschenko: Die Kaderschulung der KominternJHK 1993 49Der Einfluß des Briefes Stalins an die Zeitschrift \"Proletarskaja rewoluzija\" (Proletarische Revolution) auf die Entwicklung der Sozialwissenschaften in der UdSSR und die Lehre an den Komintern-SchulenDas im Oktober 1931 in \"Proletarskaja rewoluzija\" veröffentlichte Schreiben Stalins \"Über einige Fragen der Geschichte des Bolschewismus\"34 gab den Verfolgungen der dem Stalinschen Regime nicht hundertprozentig loyal gesinnten Sozialwissenschaftler einen kräftigen Impuls. Der Brief war die Reaktion auf einen Artikel des Historikers A.G. Slutzki über die deutsche Sozialdemokratie und ihre Beziehungen zu den Bolschewisten vor dem Ersten Weltkrieg. Stalin stützte sich auf die begründete Kritik von Käthe Pohl, Dozentin an der Kommunistischen Akademie und Ehefrau von A. GuralskiKleine, die Slutzki vorwarf, den Kampf Lenins gegen den Zentrismus in Reihen der II. Internationale unterschätzt zu haben. Doch Stalin ging weiter: Er verschärfte die Kritik und beschuldigte Slutzki in ungerechter Weise, die Haltung Lenins gegenüber den Zentristen vorsätzlich entstellt zu haben. Dabei verfälschte Stalin die Position Lenins und bewertete die Rolle der II. Internationale in der Geschichte der Arbeiterbewegung insgesamt negativ. Damit legte er die ideologische Grundlage, auf der er seine Einschätzung der Sozialdemokratie als Flügel des Faschismus oder als \"Sozialfaschisten\" sowie die Politik \"Klasse gegen Klasse\" gründete. Grob waren auch seine Angriffe gegen Rosa Luxemburg, die führende Vertreterin der polnischen und deutschen Sozialdemokratie, die Theoretikerin des Marxismus und Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), in deren Folge der Begriff \"Luxemburgismus\" für lange Zeit zu einem Schimpfwort und Äquivalent für Trotzkismus wurde. In Stalins Urteil war Slutzkis Artikel parteifeindlich und \"halbtrotzkistisch\". Scharf kritisierte er auch die Autoren einer damals gerade erschienenen, vierbändigen \"Geschichte der WKP(B )\". Ihren Redakteur E. Jaroslawski und die Arbeit der anderen Historiker - einige von ihnen lehrten an Komintern-Schulen - bezichtigte er des Trotzkismus oder des \"faulen Liberalismus\". Der Aufruf Stalins, \"ihnen die Masken herunterzureißen\", war im Kern der Befehl, mit der Hetzjagd gegen alle unabhängig denkenden Sozialwissenschaftler zu beginnen. Von diesem Moment an setzte eine lange Periode der Diskussionen an den Hochschulen und besonders an den Schulen der Komintern ein, die einzig und allein dem Zweck diente, Andersdenkende, \"Rechte\", \"Trotzkisten und Halbtrotzkisten\" ausfindig zu machen.Aus dem Lehrkörper der Schulen wurden bekannte Professoren und Dozenten entfernt. Die Rektorin der KUNMS, M. Frumkina, mußte einige Male öffentlich ihre angeblichen Fehler bekennen und bereuen. Der Sekretär und die Mitglieder des Büros der Parteiorganisation an der Universität wurden neu gewählt. Die Dozenten wurden verpflichtet, der unter den Studierenden verbreiteten Ansicht, Stalin sei kein Theoretiker des Marxismus, sondern nur der Praktiker beim Aufbau des Sozialismus, eine Abfuhr zu erteilen. Sie mußten gegenseitig ihre Vorlesungen kontrollieren, in den Lehrplänen aufrührerische Inhalte aufspüren und entfernen, die Lehrbücher durch Material ergänzen,34 Vgl. \"Proletarskaja rewoluzija\", 1931, Nr. 2/3 u. 4/5. Siehe ausführlicher zu den negativen Auswirkungen des Stalin-Briefes auf die Sozialwissenschaften in der UdSSR Babitschenko, L.G.: Pismo Stalina w \"Proletarskuju rewoluziju\" i cwo posledstwija (Der Brief Stalins an \"Proletarskaja rewoluzija\" und seine Folgen), in: Woprosy istorii KPSS, 1990, Nr. 6. S. 94-108. Vgl. auch Meyer-Levine, Rosa: Im inneren Kreis. Erinnerungen einer Kommunistin in Deutschland. Hrsg. u. eingel. von Hermann Weber. Köln 1979. 50 JHK 1993Abhandlungendas die Sozialdemokratie einer scharfen Kritik unterzog und die Rolle Stalins in der Geschichte sowie bei der Entwicklung des \"Leninismus\" rühmte.Nichtsdestotrotz erwiesen sich diese Maßnahmen als unzureichend. Die Kontrollkommission des Moskauer Komitees der WKP(B), die im April 1932 die KUNMS überprüfte, befand, daß sich in den Lehrplänen die im Stalin-Brief angesprochenen Probleme unzureichend widerspiegelten und \"die Wachsamkeit und Kampfeslust der Partei, die bolschewistische Unversöhnlichkeit in der alltäglichen Arbeit ungenügend entfalteten.\"35 Wie das Beispiel des Dozentenkollektivs an der KUNMS zeigt, waren gesunder Menschenverstand und Anständigkeit des Wissenschaftlers noch in der Gesellschaft verwurzelt und unter Intellektuellen, ja sogar unter Parteiaktivisten verbreitet, obwohl sich die Offensiven der Primitivität und des Intrigantentums in der Politik im Zuge der totalen Stalinisierung bereits deutlich abzeichneten.Von November 1931 bis Januar 1932 erörterten Kollektive der KUTW und die an ihr tätige Wissenschaftliche Vereinigung zur Erforschung nationaler und kolonialer Probleme (HAINKP) - sie erarbeitete für die Universität Lehrbücher und wissenschaftliche Fachliteratur - den Brief Stalins. Auch hier nahm die Polemik scharfe Züge an und wurde politisch zugespitzt. Diejenigen, die \"Fehler\" begangen hatten, mußten dies öffentlich, in der Presse bekennen. Auf den Versammlungen der ausländischen Studenten wurden die Aussagen des Briefes verschieden aufgenommen. Einige Studenten konnten nicht verstehen, was am Trotzkismus konterrevolutionär sein solle, andere bezweifelten, daß die Kritik an den Ansichten Luxemburgs fundiert sei. Die Erstsemester hielten sie für eine \"aufrechte Revolutionärin, die im Kampf gefallen\" sei. Die von den Studenten an dem Brief geübte Kritik wirkte sich auf ihr Schicksal nicht allzu negativ aus. Betroffen waren vor allem Dozenten und Aspiranten. Wegen \"politischer Fehler\" und \"heimlicher Verbreitung menschewistischen Idealismus und Trotzkismus\" wurden 16 Professoren der KUTW entlassen, neun wegen \"Undiszipliniertheit\" und \"mangelnder Wachsamkeit\" disziplinarisch bestraft.36 Um die Studenten \"bearbeiten\" zu können, die Lehrpläne und -bücher durchzusehen und auf ihre \"Militanz\" zu überprüfen, wurde eine \"Brigade des stalinschen Feldzugs des Komsomol\" gebildet und Maßnahmen ergriffen, um \"Mißstände, den ideologischen Zustand der Universität betreffend,\" zu beseitigen-37Wesentlich heftiger verlief die Erörterung des Stalin-Briefes an der MLSch. Dort gerieten leitende Dozenten ins Kreuzfreuer der Kritik. Doch einige stellte die Größenordnung der Enthüllungen nicht zufrieden, sie verlangten mehr Opfer. Ihre darauf gerichete \"Resolution der Sechs\" übergaben sie dem Bezirkskomitee der Partei. Andere Mitglieder des Lehrkörpers verurteilten die unwürdigen Methoden der Verfolgung angesehener Wissenschaftler und verabschiedeten eine Protestresolution gegen die \"Übergrif- fe und Übertreibungen\". Nachdem sich das Bezirkskomitee und später das ZK der WKP(B) in die Auseinandersetzung eingemischt hatten, verstärkte sich die Hetze noch. Des Liberalismus beschuldigt und entlassen wurden der Sekretär des Parteikomitees, eine Reihe Lehrstuhlinhaber und später die Rektorin, K. Kirsanowa. Die Schulleitung verpflichtete sich, den Ertrag der \"wissenschaftlichen Produktion\" an der MLSch und die Lehrbücher zu kontrollieren, die Lehrpläne zu überarbeiten und sie um \"Kritik an der trotzkistischen Propaganda, am rechten Opportunismus, an den Überbleibseln des Luxemburgismus\" zu35 RZAEDNG, f.495, op.30, d.837, 1.15. 36 Ebenda, f.532, op.8, d.245, 1.53. 37 Ebenda, d.294, 1.35. L.G. Babitschenko: Die Kaderschulung der KominternJHK 1993 51ergänzen. Überprüft wurden die Aufzeichnungen der Studenten aus den Vorlesungen sowie Konzepte zu Quellen und Literatur.Durch diese Verfolgung von Wissenschaftlern und Dozenten an den Schulen der Komintern verschlechterte sich das Ausbildungsniveau der Parteiaktivisten deutlich. Vertrieben wurden die kreativen Geister. Angst und Argwohn machten sich auch unter den Studierenden breit. Im Unterricht wurden mechanisch und unkritisch Lehrsätze heruntergespult, manipuliert durch Zitate aus Arbeiten orthodoxer Marxisten. Der Leninismus wurde durch stalinistische Interpretationen ersetzt. Immer mehr wurden die Erfahrungen der WKP(B) verabsolutiert und im Gegenzug das revolutionäre Erbe anderer KPs aus dem Blick genommen. Man verdrehte, ja verneinte völlig die fortschrittliche Rolle der Sozialdemokratie im allgemeinen und der Linken im besonderen, die sie in der internationalen Arbeiterbewegung gespielt hatten.Nicht umsonst schlug in dieser Situation während einer der ersten Diskussionen des Stalin-Briefes am 11. November 1931 in der Gesellschaft marxistischer Historiker (das Hauptreferat hielt das Mitglied des ZK der WKP(B) und des politischen Sekretariats des EKKI, Wilhelm Knorin) der Redakteur der \"Prawda\", Michail Saweijew vor, \"neben dem Studium und der Verbreitung der Werke Lenins sich mit derselben Entschlossenheit [...] dem Studium der Schriften Stalins zuzuwenden.\" Er empfahl, die seiner Meinung nach \"klassischen\" Arbeiten Stalins \"als Grundlage für [...] die wissenschaftliche Parteigeschichte\" heranzuziehen.38 Initiativen solcher Art fanden damals breite Unterstützung und wurden unverzüglich realisiert.Gleichwohl wurde im November 1931 auf Beschluß des Sekretariats des EKKI an der MLSch ein Lehrstuhl für das Studium aktueller Probleme kommunistischer Parteien eingerichtet. Dergestalt sollte die Diskrepanz zwischen dem Studium der Theorie und der praktischen Tätigkeit der Kommunisten in ihren Ländern verringert werden. Durch die Existenz dieses Lehrstuhls veränderte sich das Studium aber nicht spürbar. Die Lehrpläne, außeruniversitäre Veranstaltungen und Praktika orientierten sich weiterhin an theoretischen Fragen, an der Geschichte, an der alltäglichen Arbeit der WKP(B). Es wurden allenthalben Lehrmittel eingeführt, die alle möglichen Abweichungen von der \"Generallinie\" der Partei entlarvten, kritisierten und mit Schimpf und Schande überzogen. Entsprechend den letzten Beschlüssen der WKP(B) enthielten sie die linksradikalen Ansichten über die politischen Geschehnisse in der Welt, priesen die Taktik \"Klasse gegen Klasse\" und propagierten verstärkt die stalinsche These von der Transformation der Sozialdemokratie zum \"Sozialfaschismus\".Anders konnte es auch so nicht sein, denn es war die allgemeine strategische Orientierung des ZK der WKP(B) und der Komintern, die den Weg wies. Damals hofften die Führungen der WKP(B) und der Komintern ernsthaft, daß im Zuge einer \"neuen Runde von Revolutionen und Kriegen\", ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise, die Idee der Weltrevolution Wirklichkeit und in einer Art proletarischer \"Kettenrevolution\" ein europäisches Land nach dem anderen transformiert werden würde. Vor diesem Hintergrund wurde in Losungen von \"Sowjetdeutschland\", einem \"sowjetischen Großbritannien\", ja sogar von \"Sowjetaustralien\" gesprochen. Gleichzeitig wurde die Parole ausgegeben, die UdSSR, \"die Basis der Weltrevolution\", mit allen Mitteln zu schützen. Die auf dem V. Komintern-Kongreß und dem EKKI-Plenum im Jahr 1925 verkündete Idee einer Bolschewisierung der KPs wurde zu Teilen wiederbelebt.38 Ebenda, f.147, op.l, d.30, 1.128. 52 JHK 1993AbhandlungenNicht von ungefähr gab daher der damalige Direktor der MLSch, Wilhelm Pieck, in seinem Geleitwort an die Organisatoren des Sommerpraktikums im Studienjahr 1933 zwei Aufgaben mit auf den Weg: \"Die erste heißt Studium des Aufbaus des Sozialismus, den die Studenten näher kennenlernen müssen [...], [...] um aktiv Erfahrungen einer effektiven Agitation für die kapitalistischen Länder zu sammeln. [...] Die zweite heißt Studium der Parteiarbeit im Umgang mit Massen. Diese Seite ist von großer Bedeutung für die Studenten. Sie müssen hier lernen, wie die Direktiven der WKP{B) unter den Massen verbreitet werden, welche Methoden anzuwenden sind. Auf diesem Gebiet\", meinte Pieck in vollem Ernst, \"herrscht der größte Mangel in den Ländern des Kapitals. \"39 Das heißt, daß erneut die Erfahrungen der stalinisierten WKP(B) absolut verallgemeinert wurden, daß man bereit war, sich überall, auch auf völlig anderem Terrain nach ihnen zu richten.Die tiefe Ehrfurcht vor den Erfahrungen der in der UdSSR regierenden Partei führte dazu, daß sich die Absolventen der Komintern-Schulen den Stil und die Arbeitsmethoden sowohl für die Massenagitation wie für die Verwaltung und Leitung zu eigen machten und versuchten, diese Kenntnisse auf das Alltagsgeschäft ihrer Parteien zu übertragen, was sich negativ auf deren Tätigkeit und auf das Ansehen des von der Komintern geschaffenen Schulungssystems für Parteikader auswirkte. Einer der Führer der Kommunistischen Partei Bulgariens, W. Kolarow, führte auf einer Sitzung von Parteivertretern mit der Leitung der MLSch im EKKI im November 1935 Beispiele dafür an, daß Studenten nach 7-9 Monaten oder einem Jahr Schulung in Moskau, wo \"sie das politische Alphabet und eine Reihe von Dingen gelernt haben\", bereits führende Positionen in den Parteien beanspruchen. Parteikader klagten, wie Kolarow ausführte, über die Unverfrorenheit und, was die Parteiarbeit betreffe, über den niedrigen Bildungsstand der Absolventen der Moskauer Schulen, die häufig nicht das Vertrauen rechtfertigten, das ihnen bei ihrer Ankunft im Land entgegengebracht worden war. Solch ein Absolvent, erzählte Kolarow, \"kennt die Resolutionen, kennt die verschiedenen Regeln. Wir kennen sie nicht. Wir fühlen, daß er bei der praktischen Lösung eines Problems falsch liegt. Doch er überschüttet alles mit Entscheidungen der Komintern, mit Zitaten von Stalin und Lenin, und damit hat sich die Sache. \"40Wende in der Strategie der Komintern und in ihrer Kaderschulung1934 lassen sich im Zusammenhang mit der gewachsenen faschistischen Gefahr und der Machtübernahme der Nazis in Deutschland Ansätze einer Wende in Strategie und Taktik der kommunistischen Weltbewegung feststellen. Sie wirkte sich auch auf Formen und Methoden der Schulung von Aktivisten der KPs in Moskau aus. In den Schulen der Komintern begann man, nun häufiger Probleme des antifaschistischen Kampfes zu erörtern, der Aneignung von Fertigkeiten zur Arbeit mit den Massen entsprechend der veränderten Lage größere Aufmerksamkeit zu schenken und das Studium mehr auf die praktischen Erfordernisse des Lebens auszurichten. Die Studenten analysierten die Presse und lernten, Flugblätter und Aufrufe zu schreiben, die sich an verschiedene Bevölkerungsschichten (auch aus dem Lager des Gegners) richteten.39 Ebenda, f.531, op.l, d.36, 1.47. 40 Ebenda, f.495, op.30, d.1041, 1.38. L.G. Babitschenko: Die Kaderschulung der KominternJHK 1993 53Im Frühjahr 1933 fand ein Treffen zwischen Studierenden an der deutschen Sektion der MLSch, der Schulleitung, dem Sekretär des EKKI, Ossip Pjatnitzki, und dem Politbüromitglied der KPD, Fritz Heckert, statt. Die Studenten und die \"hohen Gäste\" besprachen Vorschläge zur Überwindung der Entfremdung zwischen Studierenden und Dozenten, die aufgrund der unzureichenden Kenntnisse der aktuellen Besonderheiten und der neuesten Situation in den ausländischen Parteien auf Seiten der Lehrenden aufgetreten waren. \"Die Erfahrungen der WKP(B) muß man um die der Komintern auch aus der heutigen Zeit ergänzen\", bemerkte Kirsanowa. Heckert warnte davor, daß \"der Lehrer immer abstrakt unterrichten wird, wenn er die politischen Bedingungen in den entsprechenden Ländern nicht eingehend studiert hat.\"41 Die Pädagogen an der KUNMS, merkte später ihre Rektorin M. Frumkina an, \"mußten angesichts der neuen Lage die Geschichte und Wirtschaft der fremden Länder besser kennen, ihre Fremdsprachenkenntnisse vervollkommnen, unbedingt wissenschaftlich arbeiten und einen akademischen Grad besitzen. \"42 Das heißt, daß man in jener Zeit begann, sich sichtbar um einen neuen Zugang zur Lehre zu bemühen, der sich auf die Ergebnisse des Studiums positiv auswirkte.Durch den Beschluß des politischen Sekretariats des EKKI vom 21. Juli 1933 wurden an der MLSch Lehrpläne und Studiendauer geändert. Doch auch die neuen Pläne konzentrierten sich auf das Studium der praktischen Erfahrungen der WKP(B) in der Massenarbeit und in der Illegalität. Dennoch fand insofern eine Spezialisierung statt, als nun konkrete Arbeitsformen unterrichtet wurden. Die Zahl der theoretischen Fächer wurde verringert und die Rückkehr zum vollständigen (im Unterschied zum früher nur fragmentarischen!) Studium der Arbeiten marxistischer Theoretiker, der Dokumente der Komintern und WKP(B) verkündet. An der KUTW und der KUNMS begann man, die Lehrpläne zu revidieren. Es war vorgesehen, für die Studenten mehr Lehrbücher in Fremdsprachen zu übersetzen.Eine entscheidende Etappe bei der Revision der Lehrpläne und der Abkehr von einer formalistischen Lehrmethode markierte eine Konferenz, die am 16./17. Mai 1934 unter Beteiligung des Sekretärs des EKKI und faktischen Leiters der Komintern, Dimitri Manuilski, an der MLSch stattfand. Gründlich wurden auf ihr \"die für russische Schulen ausgearbeiteten Musterlehrpläne\" kritisiert, die an den Komintern-Schulen - nach Einschätzung von Kirsanowa - lediglich um ein paar Elemente aus der Praxis der KPs ergänzt wurden. Manuilski sah das Hauptdefizit der Unterrichtsmethodik in der \"allzu russifizierten Herangehensweise sowohl an den Unterricht als auch im nach derselben Methode gestalteten Umgang mit den Studenten.\" Den Ausweg sahen die Diskussionsteilnehmer in der Hinwendung zu Problemen, die für jede KP aktuell und konkret waren. Sie schlugen vor, den Studenten beizubringen, wie man faschistische Demagogie entlarvt, wie man auf scharfe Fragen des Gegners antwortet, wie man mit \"Bevölkerungsteilen mit geringem Bewußtseinsstand\" umgeht, wie man Organisatoren von Streiks und Leute, die konspirativ tätig sein sollen, ausbildet. Deutlich wurde die Frage gestellt, wie man die Sprache der Parteipresse verbessern könne, denn es gelte - so einige Appelle -, \"nicht die Sprache der Leninschule zu sprechen\",43 sondern die der Arbeiter.41 Ebenda, f.531, op.2, d.26, 1.76, 78. 42 \"Kunmsowez\", 5.10.1934. 43 RZAEDNG, f.495, op.30, d.974, 1.32-33. 54 JHK 1993AbhandlungenManuilski war hier gezwungen zuzugeben, daß der Stand marxistischer Bildung bei österreichischen Sozialdemokraten und Schutzbündlern, die in die UdSSR gekommen waren und mit denen er sich getroffen hatte, besser war als bei Absolventen der Komintern-Schulen.44Er schlug vor, die Lehrpläne zu \"entschlacken\", die schablonenhafte Lehrmethode zu überwinden, die Geschichte der WKP(B) nicht als eigenes Fach, sondern nur im Zusammenhang mit der Geschichte der entsprechenden KPs zu unterrichten. Der letzte Gedanke klang geradezu rebellisch in einer Zeit, in der - so der Leiter der polnischen Sektion, S. Budzinski - \"die Geschichte der WKP(B) alles war und nun die Wende um 180° kommt.\"45 Gleichzeitig rief aber derselbe Manuilski die Dozenten dazu auf, das Fach Leninismus ausschließlich anhand der Arbeit Stalins \"Die Grundlagen des Leninismus\" zu unterrichten, da es \"besser, klarer, deutlicher, als vom Genossen Stalin dargelegt,[...] nicht dargelegt werden kann.\"46Als Manuilski später die Ergebnisse der Änderungen der Lehrpläne vom 1. Mai 1934 ansprach, gestand er ein, daß \"jene Ratschläge, die der Lenin-Schule von seiten der Komintern unterbreitet worden waren, richtig waren und daß die Lenin-Schule in mancher Hinsicht umgestaltet wird.\"47 Ähnliche Prozesse vollzogen sich - allerdings mit einiger Verzögerung - auch an den anderen Schulungsstätten des EKKI. An der Erarbeitung neuer Lehrpläne und -bücher an der KUTW beteiligten sich neben ihren Dozenten auch Mitarbeiter des Ostsekretariats des EKKl: P.A. Mif, G.I. Safarow, L. Madyar und andere.48Für das Erfassen und die Lösung von Problemen der Kaderschulung war ein Gespräch Georgi Dimitrows mit Studenten an der bulgarischen Sektion der MLSch sehr nützlich, das am 20. November 1934 stattfand. Dimitrow äußerte sich kritisch über die ausgesprochen theoretische Lehrmethode in der Schule, die die Absolventen nur zu \"ausgezeichneten Verfassern von Thesen und Resolutionen\" werden lasse. Er plädierte für eine Synthese aus theoretischem Wissen und Kenntnis der praktischen Probleme der Partei und des Landes, die nur durch Fähigkeiten auf beiden Gebieten gelöst werden könnten. Dimitrow unterstrich, daß die Parteien \"nicht Professoren, nicht Scholastiker, nicht Schemata und Formeln, nicht Deklamationen benötigen, sondern Politiker und Führer, die es verstehen, Massen zu führen. \"49 Dennoch vollzog sich die Abkehr von den alten Schemata bei der Ausarbeitung neuer Lehrpläne nur langsam. Häufig beschränkte man sich auf halbherzige Maßnahmen.Der VII. Kongreß der Komintern, auf dem die politische Wende vollzogen worden war, schenkte auch der Kaderschulung große Aufmerksamkeit. In seinem Schlußwort wiederholte Dimitrow viele der Vorschläge, die er ein Jahr zuvor vor bulgarischen Studenten an der MLSch gemacht hatte. Er sprach sich für eine entschiedene Überprüfung der Lehrmethoden aus und schlug vor, \"den tödlichen Schematismus, die schädliche Scholastik\" aus dem Schulbetrieb zu verbannen, in Zukunft \"nicht die Buchstaben des Leninismus, sondern seinen revolutionären Geist\" zu studieren. Voller Schmerz sagte44 Ebenda, d.1041, 1.98. 45 Ebenda, d.974, 1.41. 46 Ebenda, 1.57. 47 Ebcnda,d.1041,1.90. 48 Ebenda, d.930, 1.23. 49 Ebenda, op. 10a, d.380, 1.2,7. L.G. Babitschenko: Die Kaderschulung der KominternIHK 1993 55Dimitrow, daß nicht alle Absolventen den ihnen vom Leben abverlangten Anforderungen gerecht würden: \"Viele Phrasen, viel abstraktes, aus Büchern angeeignetes Wissen, äußerliche Gelehrsamkeit. Aber wir brauchen wirkliche, wahrhaft bolschewistische Organisatoren und Führer der Massen.\" Er warnte davor, Arbeitsformen und -methoden der WKP(B) blind zu übernehmen, was \"trotz guter Absichten nicht Nutzen bringen, sondern, wie das nicht selten auch in der Wirklichkeit vorkommt, Schaden anrichten\" könne.SO Die Kongreß-Delegierten stimmten Dimitrows Aufruf zu, die Arbeit der Parteischulen zu vervollkommnen, und legten der Politkommission des EKKI ihre Vorschläge vor. Sie betrafen die Auswahl der Studenten, die Studiendauer, die Ausweitung praxisnaher Kurse, die Vertiefung des Studiums der praktischen, alltäglichen Parteiarbeit sowie der Probleme der Geschichte und der aktuellen Situation in den jeweiligen Herkunftsländern.In einem Brief vom 9. Dezember 1935 an den Sekretär des ZK der WKP(B), A. Andrejew, wies Wilhelm Pieck auf \"die großen Mängel\" hin, die im Geschichtsunterricht an der KUNMS und MLSch \"immer spürbarer werden\". Er bat um Hilfe bei der Einrichtung eines Büros für die Geschichte der KPD beim IML, das - so meinte er - für die Lehre eine wichtige Hilfe sein werde.SINach dem Kongreß wurde in der Kaderabteilung des EKKI eine eigene Sektion für die Kaderschulung eingerichtet. An ihrer Spitze stand die ehemalige Leiterin der Agitprop-Abteilung der Komintern, S.I. Gopner. Diese Sektion beschäftigte sich mit der Ausarbeitung neuer Lehrpläne. Daran beteiligten sich aktiv G. Dimitrow, andere Sekretäre des EKKI und Vertreter der KPs beim Exekutivkomitee.Dimitrow warnte zur gleichen Zeit vor gedankenlosen \"nackten Parallelen, schematischen Analogien\" mit bzw. zur Geschichte der WKP(B), wie sie die früheren Lehrbücher präsentierten, die in die Geschichte ausländischer KPs einführten. Könne man etwa Parallelen ziehen, wenn sich die europäische Arbeiterbewegung radikal von der russischen unterscheide - so lautete die vernünftige Frage Dimitrows.S2 Während der Erörterung des Lehrplanes für einen neuen Kurs über die Geschichte der WKP(B) mit Gopner am 21. Februar 1936 empfahl Dimitrow nachdrücklich, die historischen Erfahrungen des Bolschewismus in engem Zusammenhang mit den Gegenwartsproblemen der Parteien zu studieren und vermehrt für ideologische Fragen zuständige Parteikader zur Ausarbeitung der Lehrpläne heranzuziehen. Auf der Sitzung des EKKI am 16. Mai wurden die Lehrpläne für den Bereich Geschichte der Arbeiterbewegung und der Komintern durchgesehen und im Sinne der Beschlüsse des VII. Kongresses korrigiert. Dennoch wurde am 22. Juni während der Diskussion der neuen Lehrpläne in der Sektion Kaderschulung, an der auch Dozenten der MLSch teilnahmen, festgestellt, daß es nicht hundertprozentig gelungen sei, veraltete, fehlerhafte Auffassungen und den Schematismus zu überwinden.S3 Die pathetisch formulierte Kritik der Lehrmittel richtete sich, wie es hieß, nach wie vor gegen den \"traditionellen Feind innerhalb der Arbeiterbewegung\", d.h. gegen die Sozialdemokratie, aber nicht gegen den Klassenfeind oder den Faschismus.50 Vgl. VII. kongress Kommunistitscheskowo Internazionala i borba protiw faschisma i wojny (Der VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale und der Kampf gegen Faschismus und Krieg). Moskau1975. S. 219-220. 51 RZAEDNG, f.17, op.120, d.204, l.85.52 Ebenda, f.495, op.30, d.1160, l.6.53 Ebenda, l.86. 56 JHK 1993AbhandlungenEine wichtige Rolle bei der Korrektur der Lehrpläne spielte die Sitzung am 29. November 1936, an der die Sekretäre des EKKI W. Kolarow, D. Manuilski, A. Marti und W. Pieck teilnahmen. Sie kritisierten die Lehrmethode, die nach wie vor auf sowjetische Verhältnisse ausgerichtet sei und kaum die nationalen Bedingungen sowie Besonderheiten der ausländischen KPs berücksichtige. Zu 75% trügen - so Manuilski - dafür die \"Komintern, wir und die Vertreter der Parteien\" die Verantwortung.54 W. Kolarow konstatierte, daß man während der Kaderschulung an der MLSch \"Dimitrow als einen unverbesserlichen Opportunisten betrachtet. \"55 Die Gründe für die verzögerte Einführung der neuen Lehrpläne sah Manuilski in der Gedankenfaulheit der Dozenten. Wir hingegen meinen, daß das Haupthindernis damals die Vertreibung führender, kreativer Wissenschaftler und Lektoren aus den Schulen der Komintern war. Nach der Ermordung S. Kirows am 1. Dezember 1934 war eine neue Welle des Terrors, der Verdächtigungen und der Suche nach \"Abweichlern\" und \"Volksfeinden\" angelaufen. Diese Umstände konnten einer Überwindung des Sektierertums, einem Überdenken der Vergangenheit zugunsten radikaler, progressiver Ideen nicht förderlich sein. Selbst die durch die Beschlüsse des VII. Kongresses sanktionierte neue Strategie und Taktik der Komintern waren faktisch außer Kraft gesetzt.Zudem mußten die neuen Lehrpläne, wie es ein Bericht der Sektion Kaderschulung vom Anfang November feststellt, nicht nur die Beschlüsse des VII. Kongresses in Rechnung stellen, sondern auch den Anmerkungen \"der Genossen Stalin, Kirow und Schdanow an der geschichtswissenschaftlichen Front\" entsprechen, die diese mit Blick auf ein neues Lehrbuch zur Geschichte der UdSSR 1934 gemacht hatten. Es war illusorisch, diese beiden sich gegenseitigen ausschliessenden Standpunkte zusammen in die Lehrpläne einfüeßen lassen zu wollen.Seit 1935 verfolgte die Komintern die Linie, das Schulungssystem in Moskau zugunsten seines Ausbaus in der Verantwortung der Parteien abzubauen. Dies geschah im Kontext der vom VII. Kongreß beschlossenen größeren Selbständigkeit der Parteien. Dies erzeugte natürlich in den Führungen einiger Sektionen Unzufriedenheit, besonders bei denen, die in der Illegalität tätig waren. Als die Pläne des ZK der WKP(B) bekannt wurden, an der KUNMS künftig sowjetische Landwirtschaftsspezialisten auszubilden, bat W. Pieck im Namen des Politbüros der KPD nachdrücklich um die Erlaubnis, an ihr die Schulung deutscher Kommunisten und Parteikader aus anderen Ländern fortzusetzen.56Anfang 1936 verfolgte man im EKKI und im ZK der WKP(B) die Idee, die KUNMS und KUTW zu schließen. Im April schloß die KUNMS ihre Tore.57 Ihre begabtesten Studenten wurden auf die MLSch geschickt. Von den Studenten an der KUTW wurden 194 ausgewählt, die ihr Studium an der Hochschule für Ostkader beim Wissenschaftlichen Institut zur Erforschung nationaler und kolonialer Probleme fortsetzen konnten. Ein Teil der ausländischen Gruppen an der KUTW wurde aufgelöst und die Studenten in ihre Heimat zurückgeschickt.Auf der Sitzung des Sekretariats des EKKI am 15. November 1937 entschied man über das Schicksal der Leitungen der MLSch und der Schule für Ostkader. K. Kirsanowa54 Ebenda, d.1041, 1.100. 55 Ebenda, 1.40. 56 Ebenda, f.17, op.120, d.204, 1.11. 57 Ebenda, f.495, op.30, d.1160, 1.21 und d.1045, 1.22. L.G. Babitschenko: Die Kaderschulung der KominternJHK 1993 57und P. Mif wurden unter ein und demselben Vorwand, sie hätten nicht für \"die korrekte Durchsetzung der Komintern-Linie im Bereich der Kaderschulung\" gesorgt, ihrer Funktionen enthoben. Kirsanowa wurde zudem beschuldigt, es \"an Wachsamkeit gegenüber Volksfeinden habe fehlen zu lassen.\" Zum vorübergehenden geschäftsführenden Direktor der MLSch wurde W. Tscherwenkow (Wladimirow) ernannt. Eine Kommission, der D. Manuilski, M. Moskwin und W. Florin angehörten, sollte binnen 20 Tage die Lage an der MLSch überprüfen und Vorschläge zur Verbesserung ihrer Arbeit unterbreiten. Nachfolger des bekannten Orientalisten P. Mif an der Schule für Ostkader wurde der ehemalige Leiter der Kaderabteilung, der Sekretär des Parteikomitees des EKKI, Fjodor Kotelnikow.58 In den Jahren 1938-1941 existierte anstelle der Schule nur noch eine chinesische Studiengruppe mit 40 Studenten, die unter schrecklicher Not und Entbehrungen litten.Auch die Internationale Leninschule (MLSch) stellte 1937 ihre Tätigkeit ein. Auf Beschluß des Sekretariats des EKKI wurden in ihr 1938 nur noch 90 Lehrer von Parteischulen für in der Legalität tätige KPs aus Europa und den USA ausgebildet.59Es ist noch schwer, die genaue Anzahl der Absolventen von Schulungseinrichtungen der Komintern zu bestimmen. In den Archiven finden sich vereinzelte, mitunter widersprüchliche Angaben für einzelne Zeitabschnitte, einzelne Schulen und einzelne Parteien. Die offiziellen Zahlen erscheinen oft als zu hoch. Tatsächlich wurde ein Teil der Studenten von ihren Parteien lange vor Abschluß des Studiums zurückgerufen; einige firmieren in den Listen als Absolventen, obschon sie nur Schnellkurse von drei-, sechsoder neunmonatiger Dauer besucht haben. Bekannt ist z.B., daß die KUTW in den Jahren 1921 bis 1936 insgesamt 2 123 Personen ausbildete. Dennoch gibt es für diese Zeit keine Angaben über die Absolventen ihrer Auslandsabteilung. 1930 z.B. studierten an ihr 234 Ausländer, 1932 425, im Frühjahr 1934 162, im Herbst desselben Jahres nur 65.60 Es gibt Angaben darüber, daß in den Jahren 1929 bis 1934 464 ausländische Studenten die KUTW absolvierten. Die meisten, nämlich 78, kamen aus China, 66 aus Korea, 49 aus Indien und die wenigsten - je drei - aus Albanien, Mexiko, Uruguay und Equador.61 Gleichzeitig - so kann man dem Bericht des Rektors der KUTW an das EKKI vom 25. Dezember 1935 entnehmen - wurden in den Jahren 1921 bis 1928 an der chinesischen Sektion der Universität 462 Personen für die chinesische KP geschult; in speziellen \"militärpolitischen Schnellkursen\" an der KUTW wurden 687 Mitglieder der chinesischen KP ausgebildet.62Die KUNMS bildete - die Angaben sind jedoch ungenau - mehr als 500 Aktivisten ausländischer KPs aus. Anfang 1936 kamen von ihren insgesamt 536 Studenten 301 aus dem Ausland.63An der KUTK wurden 1904 Kommunisten, Mitglieder der Kuomintang und anderer revolutionärer Bewegungen ausgebildet.6458 Ebenda, f.17, op.120, d.259, 1.30-31 und d.296, 1.13. 59 Ebenda, f.495, op.20, d.866, 1.125. 60 Ebenda, op.30, d.981, 1.15, 31 und d.983, 1.5 sowie f.532. op.8, d.59, 1.1. 61 Ebenda, op.30, d.930, 1.38. 62 Ebenda, d.1043, 1.1. 63 Ebenda, d.1177, 1.6. 64 Ebenda, f.530, op.4, d.l, 1.5. 58 JHK 1993AbhandlungenDie MLSch absolvierten zwischen 1926 und 1930 - so heißt es in einer Quelle - 413 Personen; in einer anderen ist von 560, in einer dritten von 883 Personen die Rede.65 Es gibt Angaben darüber, daß hier in den Jahren 1926 bis 1931 903 Personen geschult wur­ den und im Studienjahr 1932/33 597_66 In den letzten Jahren stieg die Zahl, wie Doku­ mente belegen, erheblich. Im Studienjahr 1935/36 plante die Schule, 650 Studienanfän­ ger aufzunehmen.67 Allerdings setzten im Jahr 1936, entsprechend einem Beschluß des EKKI, nur Mitglieder der illegalen Parteien ihr Studium fort. Nach von uns berechneten Näherungswerten haben ungefähr 2.000 Aktivisten kommunistischer Parteien und Ju­ gendverbände aus vielen Ländern der Erde eine Ausbildung an der MLSch durchlaufen.Insgesamt wurden an den Kominternschulen ungefähr etwas mehr als 5.000 Personen (einschließlich der Absolventen der Schnellkurse) ausgebildet.Die kurz vor und nach dem VII. Kongreß von der Komintern unternommenen Versu­ che, Studium und Schulung in ihren Schulen auf die Lösung der konkreten Probleme der KPs auf der Basis grundlegender theoretischer Kenntnisse auszurichten und den Sche­ matismus, unnötiges Theoretisieren sowie das Verabsolutieren der Erfahrungen der Bol­ schewisten zu überwinden, zeitigten nicht die erwarteten Erfolge. Der Druck alter Ste­ reotypen war zu mächtig. Zudem erwiesen sich die anderthalb Jahre, in denen das Schulungssystem umgestaltet werden sollte, als sehr kurz. Die Welle des stalinschenTerrors der Jahre 1935 bis 1938 fegte auch über sie hinweg. Die Komintern-Schulen wurden gesäubert, hunderte Dozenten, Aspiranten und Studenten verloren ihr Leben oder wurden in Lager und Gefängnisse gesteckt. Die Atmosphäre der Angst und des allgemeinen Mißtrauens, die sich in der Komintern ausgebreitet hatte, war einer Über­ windung hergebrachter Methoden der Kaderschulung nicht gerade förderlich.Das unter großen Anstrengungen in der Zeit vollständiger wirtschaftlicher Zerrüttung und des Hungers in Sowjetrußland geschaffene Schulungssystem für Aktivisten aus den Komintern-Sektionen wurde im Zuge der maßlosen Repressionen völlig desorganisiert.Diese katastrophalen Ereignisse sollten nicht eine gewisse positive Rolle übersehen lassen, die die Komintern bei der Verbesserung des Bildungsniveaus vieler schlecht aus­ gebildeter, fast nicht einmal des Schreibens und Lesens kundiger Aktivisten der Arbei­ ter-, der kommunistischen und nationaler Befreiungsbewegungen gespielt hat. Viele Ab­ solventen der Komintern-Schulen wurden bekannte Politiker, Wissenschaftler und Künstler. An der KUTW studierten z.B. der Präsident Nord-Vietnams, Ho Tschi Minh, der Generalsekretär der KP Indochinas, Tschan Fu, der Präsident Kenias, Jomo Kenyat­ ta, der populäre ghanesische Dichter, W. Awunor-Renner. Die MLSch durchliefen die Generalsekretäre der KP Syriens, H. Bagdasch, und der USA, G. Hall, das Politbüro­ mitglied und ZK-Sekretär der KP Dänemarks in den Jahren 1931 bis 1937, A.M. Peter­ sen, das Politbüromitglied der KPD, John Schehr, der ZK-Sekretär der jugoslawischen KP, D. Dschakowitsch, und viele andere.Das theoretische Wissen der Absolventen der Komintern-Schulen konnte gewiß nicht umfangreich sein. Hier zeigten sich eine unzureichende Allgemeinbildung der Abiturienten, namentlich aus den östlichen Ländern, sowie schlechte Sprachkenntnisse und der ungenügende Ausbildungsstand der sowjetischen und ausländischen Lehrkräfte. Die aus den Komintern-Schulen hervorgegangenen Kader spielten mit Mehrheit eher die65 Ebenda, f.495, op.20, d.865, 1.42 und f.53 l, op. l, d.18, 1.51 sowie d.47, 1.47. 66 Ebenda, f.495, op.30, d. 295, 1.25. 67 Ebenda, f.531, op. l, d.50, 1.8. L.G. Bahitschenko: Die Kaderschulung der KominternJHK 1993 59Rolle beflissener Exekutoren denn die schöpferischer Denker, Dialektiker und selbständig Handelnder, die ein totalitäres System nicht hervorbringen kann.

Inhalt – JHK 1993

Copyright:

Eventuell enthaltenes Bildmaterial kann aus urheberrechtlichen Gründen in der Online-Ausgabe des JHK nicht angezeigt werden. Ob dieser Beitrag Bilder enthält, entnehmen Sie bitte dem PDF-Dokument.