JHK 1993

Neue Dokumente zur Kursänderung 1934/1935 in der KPD

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 171-186

Autor/in: Erwin Lewin (Berlin)

Die unzureichende Dokumentation der Brüsseler Konferenz der KPD schließt auch deren Vorgeschichte ein. Auf dem Weg, die Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre dominierende ultralinke politische Linie zu korrigieren, stellte zweifellos die Beratung des Politbüros der KPD mit der Politkommission des EKKI im Januar 1935 in Moskau einen gravierenden Einschnitt dar. Die überlieferten, als \"streng vertraulich\" geführten, Materialien der Beratung haben in der Parteigeschichtsschreibung der DDR keine differenzierte Bewertung gegefunden Nur bei Historikern aus den alten Bundesländern findet sich eine kritische Reflexion des damaligen Zustands in der KPD, wenngleich ihnen der Zugang zu den Quellen versperrt blieb.3 An der Wende des Jahres 1934/1935 zeichneten sich in der Kominternführung bereits Konturen einer neuen politischen Orientierung ab, die die Sozialdemokratie nicht mehr als \"Sozialfaschismus\" verurteilte und eine Zusammenarbeit im Kampf gegen den Faschismus anstrebte. Das ging in einem widersprüchlichen Prozeß vor sich. Die von Georgi Dimitrow und anderen Funktionären vorangetriebenen Auseinandersetzungen um einen Übergang von dem nach dem VI. Komintern-Kongreß 1928 verfolgten ultralinken Kurs zu einer antifaschistischen Bündnispolitik wurden von solchen Führungsmitgliedern wie Bela Kun oder V.G. Knorin nur sehr zurückhaltend unterstützt. Sichtbar wurde das ganze Ausmaß sektiererischer Verkrustungen in der Komintern ebenso wie NeuansätzeVgl. Kinner, Klaus: Imperialismustheorie und Faschismusanalyse in KPD und Komintern, in: Arbeiterbewegung und Faschismus. Faschismus-Interpretationen in der europäischen Arbeiterbewegung. Hrsg. von Grebing, Helga und Kinner, Klaus. Essen 1990. S. 71. 2 Vgl. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 5, Berlin (Ost) 1966. S. 93. Vgl. auch Vietzke, Siegfried: Die KPD auf dem Wege zur Brüsseler Konferenz. Berlin 1966. S. 164. - Ders.: Die KPD im Kampf gegen Faschismus und Krieg (1933-1945). Berlin (Ost) 1985. S. 53; Mammach, Klaus: Die antifaschistische Widerstandsbewegung 1933-1939. Berlin (Ost) 1974. S. 77; ders.: Widerstand 19331939. Berlin (Ost) 1984. S. 85. 3 Vgl. Weber, Hermann: Die Ambivalenz der kommunistischen Widerstandsstrategie bis zur\" Brüsseler\" Parteikonferenz, in: Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin. Hrsg. von Schmädeke, Jürgen und Steinbach, Peter. München, Zürich 1985. S. 73-85. 172 JHK 1993Dokumentationstrategischer Konzepte und praktischer antifaschistischer Politik. Dieser Zustand wiederum widerspiegelte sich auch in der KPD, deren Politik als Sektion der Komintern maßgeblich von der Weltorganisation bestimmt wurde. Von entscheidendem Einfluß war die Entwicklung in Frankreich, besonders das Einheitsaktionsbündnis zwischen der FKP und der SFIO vom 27. Juli 1934. Danach beschleunigten sich Tempo und Voraussetzungen für eine Änderung in der Politik der Komintern,4 die in der auf dem VII. Komintern-Kongreß im Sommer 1935 festgelegten Linie der antifaschistischen Einheits- und Volksfront ihren Niederschlag fand. Der insgesamt verspätet einsetzende Prozeß des Umdenkens hatte sich nicht in allen Sektionen so konsequent wie in der FKP vollzogen. In der KPD-Führung erfolgte trotz gegenteiliger Einsichten, die aus dem Widerstand gegen die faschistische Diktatur in Deutschland erwuchsen, die Überwindung der alten überlebten und der Übergang zu einer neuen Politik nur sehr zögernd. Auf einer gemeinsamen Sitzung mit dem EKKI-Präsidium am 9./10. Juli 1934 war die KPD kritisiert und darauf orientiert worden, ein neues Verhältnis zur Sozialdemokratie herzustellen. Sie sollte die eigene Politik auf Grund der sich ändernden Bedingungen überprüfen. Die Entschließung des ZK der KPD vom 1. August forderte in Auswertung der Präsidiumstagung alle Parteiorganisationen und Leitungen auf, mit den sozialdemokratischen Gruppen Verhandlungen aufzunehmen und die Initiative zur Wiederherstellung der Freien Gewerkschaften zu ergreifen. Festgelegt wurde, die RGOGruppen aufzulösen und die sektiererische Losung, unabhängige Klassengewerkschaften zu bilden, aufzugeben.Aber nach wie vor fehlte die Bereitschaft, auch mit dem sozialdemokratischen Parteivorstand in Einheitsfrontverhandlungen einzutreten. Hartnäckiger Widerstand bei der Mehrheit der Politbüro-Mitglieder (Hermann Schubert, Fritz Schulte, Wilhelm Florin, Franz Dahlem), die sich selbst als \"Thälmann-Gruppe\" bezeichnete,5 behinderte die praktische Verwirklichung der Forderungen. Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht befürworteten zwar die Orientierungen der Kominternführung, doch ist zu diesem Zeitpunkt nicht eindeutig, ob es sich um taktisches Einschwenken oder um überzeugtes Mittragen handelte.Beide vermochten nicht zu überzeugen, auch, weil ein kameradschaftliches Verhältnis im Umgang miteinander fehlte. So trat gerade letzterer nach einem Wort von Florin \"wie ein \'Leutnant\' oder \'Unteroffizier\' auf.6 Das Politbüro erwies sich infolge der unrealistischen Einschätzung der Lage im Land und der in der Führung herrschenden Atmosphäre, die über Unstimmigkeiten in Sachfragen hinausging und bis zu persönlichen Anschuldigungen - etwa die Nachfolge Thälmanns betreffend - reichte, als nicht fähig, eine Änderung der bisherigen Politik durchzusetzen. \"Was auf dem Papier festgelegt wurde, wurde nicht durchge-führt\" ,7 bemerkte Pieck später dazu.Die Situation im Politbüro spitzte sich zu, als Ulbricht nach den Gesprächen mit Siegfried Aufhäuser und anderen sozialdemokratischen Funktionären am 18. Oktober 1934 einen Artikel \"Für die Aktionseinheit gegen den Hitlerfaschismus\" veröffentlichte.8 Darin erklärte er die Bereitschaft der KPD, prinzipielle Gegensätze im Interesse der Einheitsfront4 Vgl. Frank, Pierre: Geschichte der Kommunistischen Internationale (1919-1943). Bd. 2, Frankfurt/M.1981. s. 610.5 Vgl. Bahne, Siegfried: Die KPD und das Ende von Weimar. Das Scheitern einer Politik 1932-1935. Frankfurt/M., New York 1976. S. 64.6 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, ZPA SED (imweiteren: ZPA SED), I 6/3/103, BI. 129.7 Ebenda, BI. 31. 8 Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung, 55/1934. S. 2412-2414. E. Lewin: Kursänderung in der KPDJHKl993 173zurückzustellen und konkrete Vereinbarungen zwischen kommunistischen und sozialdemokratischen Organisationen abzuschließen. Dieser Artikel löste heftige Angriffe seitens der Mehrheit aus. In Berlin, Hamburg und im Saargebiet wurden Resolutionen dagegen angenommen. Auf einer Sitzung des Politbüros vom 19. bis 23. Oktober gab es sogar den Versuch, Pieck und Ulbricht aus der Parteiführung zu verdrängen. Die Politkommission des EKKI protestierte zwar am 27. Oktober gegen solche Bestrebungen,9 dennoch gingen die Auseinandersetzungen weiter und beschworen die Gefahr eines Zerfalls herauf.Das Präsidium des EKKI sah sich daraufhin veranlaßt, eine Aussprache mit dem Politbüro der KPD einzuberufen. Sie fand mit Unterbrechungen vom 3. bis 10. Januar 1935 unter Anwesenheit sämtlicher Mitglieder der deutschen Parteiführung und weitere Vertreter illegaler Leitungen aus dem Land in der Politkommission statt. In der Begründung der Politkommission hieß es: \"Die Sitzung war notwendig geworden, weil sich über einen längeren Zeitraum hinweg Differenzen in der deutschen Parteiführung bemerkbar gemacht haben, die in der zweiten Hälfte des Jahres 1934 zu ernsten politischen Differenzen in der Frage der Herstellung der Einheitsfront und der Wiederaufrichtung der Freien Gewerkschaften wurden\" 10 Knorin, der einleitend die wesentlichen Differenzpunkte umriß, konstatierte eine \"Verspätung in der Einschätzung der politischen Lage, Verspätung der Losungen für die breiten Massen, keine genügende Massenarbeit, eine Verspätung mit der Fragestellung über die Einheitsfront und eine ziemlich lange Periode... Entgleisungen in dieser Frage und eine sektiererische Linie\"_ 11 Die tagelangen Debatten waren geprägt durch heftige Auseinandersetzungen, so daß Pieck sich zu der Feststellung genötigt sah, man müsse \"sozusagen die Eingeweide der deutschen Partei hier ausbreiten\".12 Teilweise waren die Reden, die wie bei Ulbricht über 100 Manuskriptseiten umfaßten, stark von persönlichen Rechtfertigungen und Anfeindungen geprägt oder nahmen wie bei den Ausführungen von Schubert, der wiederholt durch Zwischenrufe und Fragen unterbrochen wurde, den Charakter eines peinlichen Verhörs an. Das drohte letztlich, vom eigentlichen Kernwegzuführen. Es war hauptsächlich solchen Mitgliedern der Politkommission wie Palmiro Togliatti zuzuschreiben, daß die politische Seite der Differenzen herausgestellt und die Ursachen für die falsche Linie der Führung der KPD offengelegt wurden. Ein wesentlicher Punkt für die Meinungsverschiedenheiten bestand in der fehlerhaften Beurteilung der Lage im Land, die sich in der Auffassung widerspiegelte, die Partei habe eine Reihe von Erfolgen, und die Schwierigkeiten seien eigentlich gar nicht so groß. Im Zusammenhang mit der am 30. Juni 1934 erfolgten Abrechnung der SS und Gestapo mit führenden Kräften der SA und der NSDAP um Ernst Röhrn und Gregor Strasser wurde eine \"Verengung der Massenbasis der faschistischen Diktatur\" konstatiert, aber eine damit einhergehende Verstärkung des Staats- und Gewaltapparates des Faschismus kaum in Betracht gezogen. Verschiedene Arbeiteraktionen gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen (Abbau der Akkordlöhne u.a.) sah man nicht als spontane Abwehrkämpfe, sondern als \"Übergang zu Angriffskämpfen\" an.13 Die Orientierung der Partei auf die \"Machtübernahme\" blieb daher im Grunde unverändert.In der Diskussion über die Folgen, die sich daraus für die Haltung zur Sozialdemokratie und die Herstellung der Einheitsfront ergaben, zeigte sich, daß auch bei Vertretern der9 Vgl. ZPA SED, I 6/3/103, BI. 57; vgl. auch ebenda, I 6/10/44, BI. 107. 10 Ebenda, I 6/3/109, BI. 2. 11 Ebenda, I 6/3/103, BI. 3/4. 12 Ebenda, BI. 23. 13 Vgl. ebenda, I 6/3/104, BI. 8. 174 JHK 1993DokumentationMehrheit die Bereitschaft wuchs, Schlußfolgerungen aus der veränderten Situation zu ziehen. Wie Dahlem, Florin und auch Schubert betonten, ging die KPD-Führung fälschlich davon aus, daß die sozialdemokratische Bewegung organisatorisch zerstört sei, andererseits aber einige aktive Gruppen existierten, die die Politik des sozialdemokratischen Parteivorstandes ablehnten und mit der Diktatur des Proletariats sympathisierten. Daher hätte man keine aktive Einheitsfrontpolitik betrieben, sondern eine Vereinigung mit diesen Gruppen angestrebt, \"um der Sozialdemokratie die Möglichkeit des Wiederaufbaus zu erschweren, ihr die aktiven Leute wegzunehmen, sie möglichst lange zu hemmen und zu hindern\", wie es Dahlem ausdrückte.14 Die Orientierung auf die Rätemacht als Ziel der Einheitsfront lenkte von der Hauptaufgabe: Sturz der faschistischen Diktatur ab. Auch die Forderung des EKKI-Präsidiums, die Freien Gewerkschaften wiederherzustellen, wurde praktisch nicht durchgesetzt, weil keine klare Stellungnahme der Führung vorlag. Schubert verwies darauf, es würde mehr von Vereinigung der nicht existierenden Gewerkschaften, von Kampf gegen die Zersplitterung als von Wiederaufbau gesprochen. Das würden unter den konkreten Bedingungen leere Worte bleiben.15 Die kritische Sicht auch der Vertreter der Mehrheit im Politbüro hat - bei noch vorhandenen widersprüchlichen Positionen - ebenfalls dazu beigetragen, den politischen Klärungsprozeß in den Kernfragen voranzubringen. Die am 19. Januar 1935 vom Politsekretariat angenommene Entschließung kritisierte die sektiererischen Positionen der Mehrheit des Politbüros der KPD. Das direkte Eingreifen der Komintemführung beförderte die Auseinandersetzung um die notwendige Erneuerung der Politik. Es wurde festgelegt, eine Parteikonferenz einzuberufen. Im Gegensatz zur bisher vorherrschenden Interpretation war damit der entscheidende Umschwung in der langwierigen Auseinandersetzung gegen Dogmatismus und Sektierertum noch nicht vollzogen.16Neben Erkenntnisfortschritten wurden ebenso -grenzen sichtbar. In der Entschließung widerspiegelte sich wie in den Debatten eine \"Mischung\" von alter und neuer Orientierung: Beispielsweise wurde einerseits die Möglichkeit einer Erweiterung der antifaschistischen Front zur Volksfront angesprochen, andererseits aber die Werbung neuer Mitglieder für die KPD in den sozialdemokratischen Organisationen nicht aufgegeben. Unverkennbar auch der Führungsanspruch sowohl gegenüber der Sozialdemokratie als auch innerhalb der kommunistischen Bewegung gegenüber den sogenannten Rechten u.ä.. Wie aus dem Schriftwechsel des Politbüros in Moskau und seiner operativen Gruppe in Prag (Dahlem, Ulbricht) im Frühjahr 1935 hervorgeht, taten sich viele Funktionäre schwer, mit der notwendigen eigenen Initiative die von der Beratung ausgehende Orientierung durchzusetzen. So handelte es sich weniger um \"die Wendung\", wie es Ulbricht in einem Brief vom 30. April 1935 ausdrückte,17 als um einen halbherzigen Versuch, die praktische Politik in Anpassung an die neuen Bedingungen zu korrigieren. Dieser Ansatz erfolgte jedoch im Rahmen alter theoretischer Auffassungen. Noch im August 1935 wurde im Politbüro zur Vorbereitung der Parteikonferenz die Feststellung getroffen: \"Die Januar-Beschlüsse unseres14 Ebenda, I 6/3/105, BI. 6.15 Vgl. ebenda, I 6/3/104, BI. 144.16 Auf Beschluß der Politkommission konstituierte sich am 17. Januar 1935 eine zeitweilige Kommissionzur deutschen Frage, in der die Diskussion zur Einschätzung der Lage in Deutschland weitergeführt wurde (vgl. ebenda, I 6/10/44, BI. 244). In ihrem Ergebnis legte die KPD-Führung in der Entschließung vom 30. Januar 1935 \"Proletarische Einheitsfront und antifaschistische Volksfront zum Sturze der faschistischen Diktatur\" zusammenfassend die Orientierung für den VII. Kongreß der Komintern dar (vgl. Rundschau ... , 10/1935. S. 551 - 555). 17 Vgl. ZPA SED, I 2/3/283, BI. 118. E. Lewin: Kursänderung in der KPDJHK 1993 175Zentralkomitees haben uns in der Herausarbeitung einer richtigen politischen Linie geholfen, sie legten den Grundstein zu einer Wendung in unserer Arbeit. Es wäre übertrieben, wenn wir sagen wollten, daß diese Wendung schon durchgeführt ist\".18 Die ausstehende Korrektur auch des strategischen Konzepts - was eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit stalinistischer Theoriedeformation erfordert hätte - bewirkte letztlich, daß die KPD in der Zeit des deutsch-sowjetischen Nichtangriffs- und Freundschaftsvertrages im Grunde genommen ohne große Schwierigkeiten im Interesse der sowjetischen Außenpolitik eine Kehrtwendung zu ihrer vor dem VII. Kongreß und der Brüsseler Konferenz geführten Politik vollziehen konnte. Aus dem umfangreichen, 640 Seiten umfassenden und im IfGA, ZPA, aufbewahrten Protokoll der Januar-Beratung wurden die in deutscher Sprache gehaltene Diskussionsrede Palmiro Togliattis vom 9. Januar, der auf Grund ihrer konzentrierten, exakten und klaren Fragestellung eine zentrale Bedeutung zukommt, sowie die Entschließung des Politsekretariats des EKKI vom 19. Januar 1935 ausgewählt. Beide Dokumente, die auch als ein Beitrag zur weiteren selbstkritischen Auseinandersetzung mit bisherigen eigenen, die Politik der KPD und Komintern rechtfertigenden, Bewertungen dienen sollen, zählen zu den informativsten Materialien, die über die Vorgeschichte der Kursänderung 1934/1935 Auskunft geben. Die Dokumente werden erstmals veröffentlicht. Sie wurden stilistisch nicht verändert, lediglich grammatikalische bzw. Schreibfehler wurden stillschweigend korrigiert.Dokument Nr. 1DISKUSSIONSREDE PALMIRO TOGLIATTIS IN DER SITZUNG DER POLITKOMMISSION DES EKKI AM 9. JANUAR 1935Ich glaube, daß alle Genossen damit einverstanden sein werden, daß die Diskussion, die vor uns stattgefunden hat, gezeigt hat, daß in der Führung der Partei eine ernste, schwere Lage besteht. Wir haben gesehen, daß es eine Spaltung im Politbüro der Partei gibt, daß es im Politbüro der Partei und schon in der Partei einen Fraktionskampf gibt. Wir haben auch gesehen, daß es auf dieser Grundlage schon zu einer gewissen Diskreditierung der Führung der Partei in der Partei selbst gekommen ist. Und politisch sehen wir, daß es sowohl in der Führung wie auch in der ganzen Partei eine offene oder halboffene Resistenz in bezug auf die Durchführung der politischen Linie der Kommunistischen Internationale gibt. Welches sind die Ursachen dieser Lage, die wir jetzt vor uns sehen? Ich glaube, daß es falsch wäre zu sagen, daß es keine großen politischen Meinungsverschiedenheiten gibt.19 Es wäre auch nicht richtig zu sagen, daß es sich um einen prinzipienlosen Kampf in der Führung der deutschen Partei handelt. Natürlich gibt es gewisse Erscheinungen des prinzipienlosen Kampfes wie immer in einem Fraktionskampfe. Aber es wäre falsch zu glauben, daß wir aus diesem Kampf mit einem sogenannten Friedenspakt in der Führung der Partei herauskommen. (Zwischenruf Gen. Losowski: Nichtangriffspakt!) (Zwischenruf Gen. Knorin.) Es wäre auch falsch zu sagen, daß es sich handelt nur um die Führung der Partei vom personellen Standpunkt. Ich denke, daß es besser ist zu sagen, daß es um die richtige Linie, um die richtige Durchsetzung der Linie der18 Ebenda, L 2/3/18b, BI. 683.19 Das richtete sich gegen eine entsprechende Feststellung in der Rede Knorins (vgl. ZPA SED, I 6/3/103,BI. 18). 176 JHK 1993DokumentationKomintern geht. Natürlich gibt es gewisse innere Reibungen. Es sind gewisse Erscheinungen des Emigrationsgeistes zu verzeichnen. Aber auch dies sind keine wesentlichen Momente. Alle diese Momente und Umstände können uns die Lage nicht erklären, die in der Führung der Partei entstanden ist. Die wirkliche Ursache ist eine politische, und zwar ist es eine Verspätung der Führung der Partei und schon der ganzen Partei - kann man sagen - in der Einschätzung der politischen Lage im internationalen und nationalen Maßstabe und in der Bestimmung der Aufgaben, die vor der Partei stehen. Diese Verspätung tritt in der Einschätzung der internationalen Lage wie in der Schätzung der innerpolitischen Lage Deutschlands und auch in der innerparteilichen Lage in Erscheinung. Was die Einschätzung der internationalen Lage betrifft: Die deutschen Genossen werden mir erlauben zu sagen, daß in ihrer Führung schon ein Phänomen zu bemerken ist, daß auch in der Führung unserer Partei nach vielen Jahren des Lebens und Kampfes unter den Verhältnissen der faschistischen Diktatur sehr stark zu bemerken war. (Zwischenruf Gen. Knorin: Das ist das Zeichen einer italienischen Perspektive!) Noch nicht. Eine gewisse sozusagen nationale Begrenztheit und ein gewisser Grad des Provinzialismus in der Fragestellung, in der Diskussion der politischen Fragen. Ich habe einige Nummern der \"Roten Fahne\" durchgesehen, und mir scheint, daß in der \"Roten Fahne\" die internationalen Fragen zu wenig behandelt werden. Über die Einheitsfrontpolitik vom internationalen Standpunkt aus gibt es in der \"Roten Fahne\" - ich habe die Nummern der letzten 6 Monate durchgesehen - ziemlich wenig. Besonders aus Frankreich habe ich in diesen Nummern nur ein paar kleine Notizen gefunden, die mehr Chroniken sind als eine wirkliche Einschätzung der Einheitsfrontpolitik in Frankreich vom Standpunkt der internationalen Politik und vom Standpunkt auch der Politik der deutschen Partei. Mir scheint auch, daß gewisse Fragen des Kampfes gegen den Faschismus, die verschiedene Male in Verbindung mit unseren Erfahrungen, mit den Erfahrungen der anderen Parteien, der polnischen Partei z.B., in den Sitzungen der Kommunistischen Internationale aufgerollt wurden, von den deutschen Genossen nicht genügend studiert und ausgenutzt wurden. Es gibt, scheint mir, eine Reihe von Fragen, wo z.B. die deutschen Genossen dieselben Fehler machen, die wir in einem gewissen Moment der Entwicklung der faschistischen Diktatur in Italien gemacht haben. So z.B. in der Einschätzung der Kräfte der Sozialdemokratie. So z.B. in der Einschätzung des Charakters der Massenkämpfe unter den Umständen der faschistischen Diktatur und des faschistischen Terrors. So z.B. in der Frage der Ausnutzung der legalen Möglichkeiten der Arbeit in den faschistischen oder gleichgeschalteten Organisationen. Ich glaube, daß alle diese Fragen in der deutschen Partei mehr vom Standpunkt der internationalen Erfahrungen aufgerollt werden müssen.Die deutsche Partei steht nach der bolschewistischen Partei an der Spitze der Kommunistischen Internationale. Wir alle haben viel gelernt und lernen von den Erfahrungen der deutschen Partei. Aber wir glauben, daß auch die deutsche Partei, um sich diese Stellung in der Kommunistischen Internationale zu erhalten, alle Erfahrungen der internationalen Politik, die Erfahrungen aller Kommunistischen Parteien, die unter den Umständen einer faschistischen Diktatur kämpfen, gründlicher studieren und ausnützen muß. Kommen wir zur Einschätzung der internationalen Lage. Mir scheint, daß die Genossen der Führung der deutschen Partei - wie Genosse Bronkowski20 schon gesagt hat -20 Bronislaw Bronkowski (Bortnowski), 1894-1937, Mitglied der Politkornmission des EKKI, wandte sich gegen die Mehrheit, die die neuen Momente in der Situation nicht begriffen habe. Zugleich kriti- E. Lewin: Kursänderung in der KPDJHK 1993 177noch nicht ganz verstanden haben die Veränderungen in der internationalen Lage, die eine gewisse Änderung der Taktik der Komintern und besonders eine gewisse Änderung in der Anwendung der Einheitsfronttaktik der Kommunistischen Parteien in dieser Periode bestimmt haben. Das zeugt von einem gewissen Fehlen der bolschewistischen Fähigkeit higkeit, eine bolschewistische Politik zu bestimmen. Und alles, was einige Genossen des Polbüros der deutschen Partei über die Thälmann-Politik usw. sagten, ist - scheint mir falsch eben deshalb, weil das zeigt, daß diese Genossen noch nicht richtig verstehen, daß man eine gute Politik nur dann bestimmen kann, wenn man die Veränderungen in der internationalen Lage und in dem betreffenden Lande in Betracht zieht. Was gibt es in den letzten zwei Jahren, besonders im letzten Jahr Neues in der internationalen Lage? Deutschland, Österreich, Frankreich - das Wachstum der Gefahr des Easchismus in einer Reihe von Ländern. Der Faschismus steht im gegenwärtigen Moment als der Hauptfeind vor den Massen, und wir als Kommunistische Partei, die keine besonderen Interessen hat gegenüber den Interessen der Arbeiterklasse, müssen den Faschismus als den Hauptfeind betrachten. Zweitens: Nach den Erfahrungen in Deutschland und Österreich - der Drang der Massen zur Einheitsfront mit den Kommunisten. Drittens: Die Stärkung einiger Kommunistischer Parteien; die Stärkung der Kampffähigkeit einiger Kommunistischer Parteien erlaubt uns, unsere Einheitsfrontpolitik kühner zu betreiben. Viertens (das ist vielleicht das wesentliche Moment): Die Stärkung des Einflusses der Sowjetunion in den Massen der Arbeiterschaft in der ganzen Welt.Alle diese Umstände bestimmten eine Veränderung der Kräfteverhältnisse in der Arbeiterklasse beiterklasse zu unseren Gunsten und bestimmten auch eine Änderung in der Anwendung der Einheitsfronttaktik der Kommunistischen Parteien. Aber wenn wir jetzt betrachten, wie die Frage der Einheitsfrontpolitik in der Komintern steht, wie sich die Einheitsfrontpolitik der Komintern in den verschiedenen Ländern entwickelt, so sehen wir, daß wir in einigen Ländern schon ziemlich weit vorwärts geschritten sind, daß wir in anderen Ländern, und mir scheint besonders in Deutschland, noch zurückstehen. Deutschland ist noch ein schwaches Glied in der Kette der Anwendung unserer Einheitsfrontpolitik in diesem Moment. Aus diesem Zurückbleiben in der Einschätzung der internationalen Lage ge ergeben sich eine Reihe von Fehlern und falschen Formulierungen, eine Reihe von falschen Einschätzungen und eine Orientierung, die nicht vollständig richtig ist und die korrigiert werden muß. Zur Einschätzung der inneren Lage Deutschlands. Darüber haben die Genossen im Polbüro sehr lange diskutiert,21 aber mir scheint, hierbei sind vielleicht noch mehr als in der Einschätzung der internationalen Lage verschiedene Fehler, verschiedene falsche Einschätzungen in Erscheinung getreten sowie das Fehlen der richtigen, bolschewistischen Analyse der Tatsachen, der Ereignisse zur Bestimmung unserer Politik und unserer Aufgaben. Die faschistische Diktatur ist eine politische Form, die gebildet ist auf Grund der größten Widersprüche. Sie ist die Diktatur der am meisten reaktionären aktionären und am meisten chauvinistischen Teile der Bourgeoisie, aber gleichzeitig versucht sie immer, sich eine Massenbasis in den kleinbürgerlichen Schichten zu schaffen und verschiedene Schichten der Arbeiterschaft zu beeinflussen. Daraus ergibt sich,sierte er die Minderheit, Ulbricht und Pieck, die zwar einen richtigen Standpunkt einnahmen, aber keine richtigen Methoden verfolgten, um diesen durchzusetzen (vgl. ebenda, I 6/10/44, Bl. 120). 21 Wie Pieck feststellte, hatte es nach der XIII. EKKI-Tagung 19 Sitzungen gegeben, doch die Aussprachen brachten wenig an Ergebnissen. Die Arbeit lag zu Berge, doch das Politbüro war \"mehr ein Diskussions- und Streitklub als eine politische Führung\" (Ebenda, I 6/3/ 109, Bl. 9). 178 JHK 1993Dokumentationdaß eine faschistische Diktatur immer - und besonders wenn sich die ökonomische Lage verschlechtert - vor großen Schwierigkeiten steht, daß sie immer bedroht ist von schweren Krisen. Aber mir scheint, daß einige deutsche Genossen auf diesem Gebiet noch zu sehr auf die Spontaneität orientiert sind und auf den automatischen Sturz der Diktatur. Zum Beispiel ist es vollkommen richtig, daß die faschistische Diktatur in Deutschland das deutsche Volk zur Katastrophe führt. Das ist historisch, politisch vollkommen richtig. Aber das bedeutet nicht, daß in jedem Moment eine Katastrophe vor uns steht und daß die faschistische Diktatur nicht, wie Genosse Knorin schon erklärt hat, eine gewisse Manövrierbarkeit hat. Mir scheint, daß sich in verschiedenen Äußerungen einiger deutscher Genossen die Meinung widerspiegelt, als könnten die objektiven Schwierigkeiten von selbst zum Sturze der faschistischen Diktatur führen.Das ist eine unrichtige Vorstellung. In allen Krisen, die die faschistische Diktatur durchlebt, in allen Schwierigkeiten, vor denen die faschistische Diktatur steht, treten immer drei Momente in Erscheinung: Erstens die Differenzen im Lager der führenden Schichten der Bourgeoisie (diese schafft die faschistische Diktatur nicht ab, sie deckt sie nur mit dem Mantel des Totalitarismus; zweitens das Schwanken der kleinbürgerlichen Schichten, die in der ersten Periode der Entwicklung des Faschismus und auch noch nach seiner Machteroberung die Massenbasis des Faschismus bilden; drittens der Kampf der breiten Arbeitermassen und der breiten arbeitenden Bevölkerung. Selbstverständlich ist für uns das Hauptmoment das dritte, der Kampf der breiten Arbeitermassen. Das müssen wir wissen. Und die faschistische Diktatur ist immer bestrebt, wo Schwierigkeiten in der Lage bestehen, wo die Differenzen tiefer sind im Lager der Bourgeoisie, wo die Schwankung der kleinbürgerlichen Schichten größer ist, alles zu machen, um zu vermeiden, daß der Kampf der breiten Arbeitermassen sich entwickelt, weil das das entscheidende Moment ist. Und auch wir müssen unsere Taktik bestimmen, ausgehend von einer Einschätzung, aber einer richtigen Einschätzung des Charakters der Kämpfe der Arbeiterklasse gegen die faschistische Diktatur. Was ist der Charakter der Massenkämpfe jetzt in Deutschland? Die Genossen haben uns verschiedene Fälle erzählt, sehr interessante Fälle. Sie haben uns gesagt, daß sie eine Reihe von Beispielen haben. Das ist ein wichtiges Moment. Aber ich muß den Genossen sagen, daß der Charakter dieser Kämpfe noch ziemlich begrenzt ist. Nehmen wir z.B. unser Land. Einige Genossen haben an unserer Kommission, die die Aufgaben und die Lage unserer italienischen Partei diskutiert hat, teilgenommen. Sie wissen sehr gut, daß es auch bei uns und besonders in den letzten Jahren 1931/32 immer eine Reihe von solchen Kämpfen gab. In der letzten Diskussion, die wir über die italienische Lage hatten, habe ich selber, glaube ich, 60 Beispiele von solchen Kämpfen, teilweise spontan, teilweise beeinflußt von der Partei erzählt. Aber was war bei uns iün den letzten Jahren? Es war ein solcher Umstand, daß die Massenbewegung noch nicht von dieser Stufe auf eine höhere Stufe übergehen konnte. Ich will nicht eine Analogie der italienischen Lage zu der Lage von Deutschland machen. Die Genossen wissen sehr gut, daß ich immer scharf gegen solche Analogien gekämpft habe, besonders bei Trotzki und anderen, die, auf solche Analogien gestützt, ihre unrichtige, opportunistische Politik verteidigten. Das ist ein Moment, das auch unsere deutschen Genossen in Betracht ziehen müssen. Genosse Knorin hat offen erklärt, daß man nach dem Oktober 1933 erwartet hat, daß die Bewegung in Deutschland zu einer höheren Stufe übergeht. Das war nicht der Fall. Heute erwarten wir das auch. Wird das der Fall sein oder nicht, das hängt von der objektiven Lage, aber das hängt in erster Linie E. Lewin: Kursänderung in der KPDJHK 1993 179von der richtigen Politik unserer Partei ab. Wenn unsere Partei nicht eine richtige Politik macht, kann die Massenbewegung monatelang auf demselben Niveau bleiben. Das ist immer richtig, aber besonders richtig unter den Umständen der faschistischen Diktatur. Aber es ist ziemlich schwer, das den Genossen verständlich zu machen. Wir haben in Italien gesehen, daß unsere Organisationen, unsere Genossen monatelang, jahrelang gedacht haben, daß es genügt, um den Kampf der breiten Massen gegen die faschistische Diktatur zu entwickeln, die illegale Literatur zu verbreiten. Zu spät haben sie verstanden, daß es notwendig war, die Partei gut zu organisieren. Sie haben aber nicht verstanden, daß es nicht genügt, eine starke Organisation zu haben, daß sie auch eine gute Politik machen muß, die sie mit den Massen verbindet. Was braucht man heute in Deutschland? 1. Eine breite Einheitsfrontpolitik; 2. eine richtige Politik der Gewinnung der breitesten Schichten der Arbeiterklasse für den Kampf gegen die faschistische Diktatur. Das bedeutet in erster Linie eine richtige Politik gegenüber der Sozialdemokratischen Partei und den sozialdemokratischen Massen; 3. das Eindringen in organisierter Form in alle legalen Formationen und Organisationen des Faschismus; 4. die Ausnutzung aller legalen und halblegalen Möglichkeiten, um legale und illegale Massenströmungen zu schaffen und die Partei an die Spitze von allen diesen Strömungen gegen den Faschismus zu stellen.Aber um das zu können, muß man eine richtige Politik haben und mir scheint, daß hier die Mängel jetzt in der deutschen Kommunistischen Partei sind. Es gibt noch einen zu großen Unterschied zwischen dem Charakter der Kämpfe, die noch so begrenzt sind und der allgemeinen großen Unzufriedenheit der breiten Schichten der Bevölkerung gegen die faschistische Diktatur. Es gibt hier eine große Differenz, eine Schere, die wir überwinden können, aber nur durch eine richtige Politik überwinden können, und zwar eine Politik der Schaffung von einer Volksfront des Kampfes gegen die faschistische Diktatur. Wir lesen sehr viel in diesen Tagen aus Deutschland in den bürgerlichen Zeitungen. Vielleicht sind die Nachrichten etwas übertrieben, besonders in der französischen Presse, um die Öffentlichkeit vor allem im Saargebiet zu beeinflussen. Es kommt doch ein solcher Eindruck auf, daß in allen Schichten der Bevölkerung, besonders der arbeitenden Bevölkerung, die Unzufriedenheit gegen den Faschismus wächst. In derselben Zeit sehen wir von allen Seiten Versuche von verschiedenen Elementen, um sich an die Spitze dieser allgemeinen Unzufriedenheit zu stellen. Das versuchen die Reichswehr-Elemente zu machen, das versuchen die Pfaffen zu machen, die Zentrumsleute; das versucht jetzt die Sozialdemokratie zu machen. Und was macht die Kommunistische Partei? Was ist die Politik der Kommunistischen Partei gegenüber allen diesen Bestrebungen, sich an die Spitze der allgemeinen Unzufriedenheit der Massen gegen den Faschismus zu stellen? Die Führung der Partei muß dieses Problem sehr ernst nehmen, es vor der ganzen Partei stellen. Sie muß dieses Problem lösen, sonst, glaube ich, steht vor der Partei die Gefahr des Zurückbleibens hinter der Entwicklung der Lage und hinter der Entwicklung der Massenbewegung.Hier hat man von der italienischen Perspektive gesprochen. Ich will den deutschen Genossen nur eins sagen. Die italienische Lage war ganz anders als die deutsche Lage in der Zeit, wo der Faschismus zur Macht gekommen ist, und in den Jahren, wo der Faschismus seine Diktatur organisiert hat. Diese Differenzen und diese Verschiedenheit der Lage hat sozusagen die italienische Perspektive bestimmt. Aber, Genossen, erlauben Sie mir zu sagen, daß die italienische Perspektive in gewissem Sinne auch durch die 180 JHK 1993Dokumentationschlechte Arbeit und die schlechte Politik unserer Partei bestimmt wurde. Das müssen wir ganz klar sagen. Nehmen wir z.B. die Periode der Matteotti-Krise,22 die der jetzigen Periode der Entwicklung der faschistischen Diktatur in Deutschland sehr ähnlich war, weil auch damals eine große Unzufriedenheit in der ganzen Bevölkerung gegen den Faschismus, Schwankungen auch in den Spitzen gegen die rein faschistischen Elemente und große Schwierigkeiten für die faschistische Diktatur vorhanden waren. Hat unsere Partei in diesem Moment verstanden, eine richtige Politik zu machen, um sich an die Spitze der ganzen Bevölkerung gegen die faschistische Diktatur zu stellen? Nein. Die Kommunistische Internationale hat unserer Partei eine richtige Linie gegeben. Das Zentrum unserer Partei hat versucht, diese richtige Linie durchzusetzen. Aber die Partei im ganzen hat es nicht verstanden, diese Linie durchzusetzen. Und dann das dritte Moment: Der Kampf der breiten Arbeitermassen ist nicht in Erscheinung gekommen und die faschistische Diktatur konnte ihre Schwierigkeiten nicht vollständig überwinden, aber verschiedene Probleme zurückdrängen usw. Natürlich ist die Lage in Deutschland ganz anders. Aber was die Arbeit der Partei betrifft so gibt es vielleicht verschiedene Momente, die ähnlich sind. Hat die deutsche Partei Kräfte genug, um eine solche Politik zu machen? Ich glaube ja. Die deutsche Partei hat in ihrem heroischen Kampfe in den ersten Monaten nach der Errichtung der faschistischen Diktatur viele Kräfte verloren. Vielleicht hat die deutsche Partei zuviel Blut verloren in diesen ersten Monaten. Aber wenn man von einer Partei von 30000 Mitgliedern in einer solchen schweren Lage spricht das ist eine große Kraft. Das müssen wir anerkennen. Mit diesen Kräften kann man eine gute Politik machen. Damit kann man sehr viel machen. Aber wenn in der Partei das Sektierertum nicht überwunden wird, kann diese richtige Politik nicht durchgesetzt werden. Ich stelle die Frage des Kampfes gegen das Sektierertum in der deutschen Partei in erster Linie in Verbindung mit der objektiven Lage, die vor der Partei steht, und in Verbindung mit den Aufgaben, die vor der Partei stehen. Diese Aufgaben kann die Partei nicht lösen, wenn das Sektierertum nicht überwunden wird.Genosse Knorin hat schon ausführlich über die Ursachen, über die Wurzeln des Sektierertums in der deutschen Partei gesprochen. Ich werde nur eins sagen. Es ist für uns alle ganz klar, daß in der Führung der Partei sehr starke sektiererische Tendenzen waren, die besonders in der Gruppe der Vier zum Ausdruck kamen. Aber auch in der ganzen Partei sind solche Tendenzen vorhanden. Nehmen wir die Frage des Artikels des Genossen Ulbricht. Ich lasse hier die Frage beiseite, daß Ulbricht einen Fehler gemacht hat, wenn er diesen Artikel nicht im Polbüro gestellt hat, bevor er ihn zur Veröffentlichung gab. Ich werde hier die Frage von einem andern Standpunkt betrachten, vom Standpunkt der Reaktion der Parteiorganisationen auf diesen Artikel. Man hat gesagt, daß diese Reaktion fraktionell organisiert war. Es kann sein. Das ist sehr schlecht. Aber mir scheint, daß noch schlechter ist, wenn die Reaktion der Partei so war ohne eine fraktionelle Arbeit, weil das bedeutet, daß es in den unteren Organisationen stärkste Tendenzen des Sektierertums gibt. Ich muß den Genossen der Mehrheit des Polbüros ganz offen sagen: Wie stellt Ihr die Frage des innerparteilichen Kampfes? Wenn man Euch kritisiert als eine Gruppe, die sektiererische Tendenzen hat, sagt Ihr zur Rechtfertigung: Wir haben das und das gemacht, weil die unteren Organisationen uns nicht verstanden hätten, wenn wir22 Nach der Ermordung des sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti am 10. Juni 1924 verließen die Vertreter der Opposition das Parlament und bildeten den Aventinischen Block. In Italien kam es zu einem antifaschistischen Massenstreik. E. Lewin: Kursänderung in der KPDJHK 1993 181das nicht gemacht hätten. Was bedeutet eine solche Fragestellung? Das bedeutet, daß die Genossen nicht verstehen, daß es ihre Aufgabe ist, den Kampf gegen das Sektierertum in der Partei zu führen. Eine führende Gruppe kann sich nicht auf die Fehler, auf die Mängel der Partei stützen, um ihre Fehler zu rechtfertigen. Nein, im Gegenteil. Eine führende Gruppe muß gegen die Fehler der Partei kämpfen. Aber einen Kampf gegen das Sektierertum in der Partei hat das Polbüro nicht geführt, auch wenn das Polbüro gesehen hat, daß solche Tendenzen in den unteren Organisationen bestehen. Zur Frage der Sozialdemokratie: Mir scheint, daß hier in der deutschen Partei zwei Fehler gemacht wurden. Erstens: Die Orientierung der Partei war nicht eine Orientierung auf die Eroberung der breiten Massen. Hier muß man etwas diskutieren: Wie steht die Frage der Sozialdemokratie in einer faschistischen Diktatur, besonders in der ersten Periode einer faschistischen Diktatur? Es kommt der Druck der Diktatur, der Schlag gegen die Arbeitermassen, und die breite Masse wird für eine gewisse Periode passiv, will noch nicht kämpfen, nur ein Teil bleibt aktiv. Dieser Teil, der aktiv bleibt, ist immer der Teil, der schon mehr eng mit uns verbunden war, und es ist ganz sicher, daß man diesen Teil ziemlich leicht gewinnen kann. Diesen Teil muß man gewinnen, aber gleichzeitig muß man sich orientieren auf die breite Masse, weil diese breite Masse die Kraft ist, die wir gegen die faschistische Diktatur mobilisieren müssen, um sie stürzen zu können. Wenn wir uns orientieren nur auf diese Elemente, auf diese Gruppen von 10 bis 100 Leuten und sie in unsere Partei aufnehmen, so lösen wir einen Teil des Problems, aber nicht das ganze Problem. Ich glaube, die Genossen haben noch einen zweiten Fehler gemacht, wenn sie glaubten, die Führung der Sozialdemokratie in der Emigration hätte ihren Einfluß im Lande vollständig verloren.Das war ein Fehler. Warum? Die Genossen stellen hier die Frage in einer vollständig unrichtigen Weise, wenn sie sagen; Es bleibt die Ideologie, es bleibt aber nicht die Organisation. Mir scheint, das ist eine unmarxistische Fragestellung. Die Ideologie ist die Voraussetzung einer Organisation und die Organisation besteht nicht, weil der Druck des Klassenfeindes da ist, aber der Druck des Klassenfeindes löst für uns nicht die Frage der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse, die Frage der Gewinnung der sozialdemokratischen Arbeiter. Auf diesem Gebiet wurden auch verschiedene Fehler in der Einschätzung gemacht, zum Beispiel spiegelt sich die unrichtige Einschätzung der Sozialdemokratie in Artikeln - auch in der \"Kommunistischen Internationale\" - wider. Die deutschen Genossen haben, so scheint mir, nicht verstanden, nicht verfolgt die Änderungen in der Lage der Sozialdemokratie im Lande selbst, die von der Entwicklung der ganzen Lage bedingt waren. In der ersten Periode waren nur kleine Gruppen aktiv; diese konnten wir ziemlich leicht erobern. Genosse Dahlem hat hier in seiner Rede in versteckter Form auf Grund dieser Erfahrung eine falsche Linie in der Einschätzung der Sozialdemokratie im allgemeinen verteidigt. Dann änderte sich die Lage, es kam der 30. Juni, und ein Teil der breiten Massen, die früher passiv waren, begann in Bewegung zu kommen. Nun änderte sich das Problem. Das hat die deutsche Partei nicht bemerkt und deshalb hat sie - scheint mir - nicht richtig verstanden die Verbindung zwischen dem Problem der Vereinigung und dem Problem der Einheitsfront. Natürlich, wenn wir uns mit einigen Gruppen sozialdemokratischer Arbeiter vereinigen können - bitte schön, vereinigen wir uns! Aber das ist nicht alles. Ich habe Dokumente in der Presse der deutschen Partei gelesen, in denen man ganz offen spricht: Was braucht die deutsche Arbeiterklasse jetzt? Sie braucht eine einheitliche bolschewistische Partei (ganz richtig!), eine 182 JHK 1993DokumentationGewerkschaftsorganisation usw. - Aber von Einheitsfront spricht man darin gar nicht! Das ist eine vollständig falsche Einstellung, und besonders in diesem Moment ist das eine vollständig falsche Einstellung, weil wir uns in diesem Moment orientieren müssen auf die breitesten Schichten der Arbeitermassen, um sie gegen die faschistische Diktatur zu mobilisieren, und die Einstellung nur auf die Vereinigung kann uns in der Lösung dieser Aufgabe nicht helfen. Mir scheint, daß die deutschen Genossen auch nicht verstanden haben, daß die Verwirklichung der Aktionseinheit uns die Lösung der Aufgabe der Vereinigung erleichtert und uns hilft, diese Aufgabe auf eine höhere Stufe zu bringen.Wir müssen ganz offen sagen, daß in Deutschland, wo die Sozialdemokratie auf Millionen von Arbeitern einen so großen Einfluß hatte, im allgemeinen die Masse noch nicht mit uns kämpft. Die Lage ist noch nicht so weit gegangen wie z.B. jetzt in Spanien, wo eine große Masse der sozialdemokratischen Arbeiter gemeinsam mit uns gekämpft hat, und zwar mit den Waffen. Nein, in Deutschland ist noch nicht eine solche Lage, und wir müssen beginnen, mit der breiten Masse der sozialdemokratischen Arbeiter in einer Einheitsfront zu kämpfen, um die Frage der Vereinigung besser stellen und sie auf eine höhere Stufe bringen zu können. Noch eine Frage in Verbindung mit der Sozialdemokratie. Mir scheint (vielleicht irre ich mich), daß wir jetzt, nach dem 30. Juni, in Deutschland nicht die Möglichkeit eines Vorschlages an die Führung der deutschen Sozialdemokratie in der Emigration ausschließen können. Ich habe den Eindruck, daß die Führung der deutschen Partei sich etwas fürchtet, diese Frage zu stellen. Warum? Weil sie sich fürchtet, Politik zu machen. Nehmen wir den Aufruf der KPD \"Einheitsfrontangebot\",23 veröffentlicht in der \"Roten Fahne\" Ende November. Hier spricht man von einem Einheitsfrontangebot der KPD an alle sozialdemokratischen Gruppen, Organisationen und ihre Leitungen, aber man spricht nicht von der Prager Leitung. Warum diese letzte Reserve? Wenn wir jetzt feststellen, daß die Prager Leitung Verbindungen im Lande hat, daß im Lande eine Organisation besteht, daß diese Leitung jetzt ein Doppelspiel treibt, daß sie mit linken und rechten Karten spielt, daß sie versucht zu manövrieren mit den linken Gruppen und den rechten Führern, daß sie versucht, mit der Aufhäuser-Gruppe in Verbindung zu bleiben, und gleichzeitig versucht, mit Elementen der Reichswehr, der Bourgeoisie, des Zentrums usw. in Verbindung zu kommen, - so kann uns eben in diesem Moment ein Angebot an diese Prager Leitung helfen. Wir haben zum Beispiel im Monat Juli, nach der französischen Erfahrung ein Einheitsfrontangebot an die Führung der italienischen Sozialdemokratie gemacht.24 Aber die italienische Sozialdemokratie hat heute vielleicht noch weniger Verbindungen im Lande als die deutsche Sozialdemokratie, wenn alles, was die deutschen Genossen uns erzählt haben, richtig ist. Aber was haben wir durch dieses Angebot bekommen? Wir haben erreicht, daß wir von der kleinen Arbeit der Zersetzung einiger lokaler Gruppen der Sozialdemokratie zu einer höheren Stufe gekommen sind. Wir haben die faschistische Konzentration, das war das Bündnis der Sozialdemokratie mit den bürgerlichen Leuten, vernichtet. (Frage: Das war im Auslande?) Im Ausland. Aber die Verbindungen, die im Ausland bestanden, wider-23 \"Einheitsfrontangebot des Zentralkomitees der KPD. An alle sozialdemokratischen Gruppen, Organisationen und ihre Leitungen, insbesondere an den Arbeitskreis revolutionärer Sozialisten um Aufhäuser-Böcheln. In: Die Rote Fahne, Reichsausgabe, Ende November 1934.24 Das Angebot führte zum Aktionseinheitsabkommen zwischen der KP Italiens und der Italienischen Sozialistischen Partei, das am 17. August 1934 in Paris unterzeichnet wurde. E. Lewin: Kursänderung in der KPDJHK 1993 183spiegeln die Lage, die im Lande war. Was haben wir jetzt? Wir haben jetzt diese Lage, daß in der Sozialdemokratie im Lande ein Differenzierungsprozeß vor sich geht. Die bürgerlichen Elemente gehen zum Faschismus, die Arbeiterelemente kommen in die Einheitsfront. Das kommt, weil wir die Frage politisch behandelt haben, nicht nur organisatorisch oder propagandistisch. Wir haben uns nicht gefürchtet, auch zu den Führern zu sprechen, als sie im Auslande waren. Ich glaube, die deutsche Kommunistische Partei muß eine kühne kommunistische Einheitsfrontpolitik in diesem Moment machen. Zur innerparteilichen Lage. Ich habe schon etwas gesagt. Ich glaube, der Geist des Sektierertums ist groß in der deutschen Partei, weil der Kampf, den der Genosse Thälmann begonnen und schon geführt hat gegen Neumann usw. nicht vollkommen entwickelt war, weil die Errichtung der faschistischen Diktatur nicht erlaubt hat, das so breit zu machen. Vielleicht ist das eine Ursache. Aber die anderen Ursachen, ich glaube, die anderen Ursachen sind die Verhältnisse, die die faschistische Diktatur selbst einer illegalen Partei schafft. Aber ich werde noch etwas sagen über die Notwendigkeit des Kampfes gegen das Sektierertum. Ich habe den Eindruck, daß in der deutschen Partei etwas die Selbstkritik fehlt. Es fehlt etwas der innerparteiliche Kampf. Ich habe alle diese Nummern der \"Roten Fahne\" durchgesehen. Ich habe gar nichts gefunden über Selbstkritik, eine gute gesunde Selbstkritik, im Sinne eines innerparteilichen Kampfes gegen die Abweichungen der Partei, gegen die Gefahren der Entartung der Linie der Partei. Natürlich, es gibt eine schlechte Selbstkritik und eine gute Selbstkritik. Es gibt Parteien in der Komintern, die schlechte Selbstkritik gemacht haben. Die französische Partei hat jahrelang eine vernichtende Selbstkritik vor den Massen gemacht. Sie hat sich vor den Massen diskreditiert. Aber eine gesunde gute Selbstkritik hilft immer der Partei. Mir scheint, wenn die deutsche Partei gut selbstkritisch von sich sprechen wird, wird das gut sein für die ganze Kommunistische Internationale. Das wird der ganzen Kommunistischen Internationale helfen, ihre Probleme gründlicher zu sehen, ihre Aufgaben richtiger zu stellen.Die Lage in der Führung. Ich bin einverstanden mit den Äußerungen der Genossen Knorin und Bronkowski: Die Mehrheitsgruppe widerspiegelt das Sektierertum der Partei. Die Minderheitsgruppe ist sehr schwach. Das ist sehr auffällig, daß die zwei Genossen dieser Gruppe, die in den letzten Monaten, mir scheint, eine richtige Politik hatten, die Probleme der Politik der Partei vor den Massen der Partei nicht richtig zu stellen wußten und konnten. Der Genosse Ulbricht ist selbst zur Gruppen-Politik übergegangen. Die beiden Genossen haben versucht, für die richtige Linie der KI zu kämpfen, aber sie waren zu schwach, um einen Erfolg haben zu können. Darum muß die Komintern alles machen, um der Führung der deutschen Partei zu helfen, ihre Schwäche zu überwinden, das Sektierertum, das in der Führung der Partei und in der ganzen Partei ist, zu überwinden, sonst wird die Partei nicht gut vorwärtskommen. Die Genossen sprechen von einer Gefahr der Rechten, der Versöhnler. Da ist ganz richtig zu antworten, wie Genosse Bronkowski geantwortet hat: Die schlechte, unrichtige Politik der Führung bestimmte diese Gefahr.Erinnern Sie sich an den Fall Doriot.25 Wenn unsere französische Partei nicht eine gute richtige Politik der Einheitsfront gemacht hätte, im richtigen Moment gemacht hätte, ich sage das offen - Doriot hätte vielleicht unsere Partei gespalten, und er hätte das25 Jacques Doriot (1898-1945), Mitglied des Politbüros der FKP, sprach sich im Februar 1934 für die einheitliche kommunistisch-sozialistische Front aus, wurde jedoch auf der Landeskonferenz der FKP im Juni 1934 wegen \"Disziplinbruchs\" ausgeschlossen. 184 JHK 1993Dokumentationmachen können auf Befehl der Bourgeoisie. Die Bourgeoisie wollte unsere Partei spalten durch Doriot. Und diese Gefahr konnten wir vermeiden durch eine richtige bolschewistische Einheitsfrontpolitik unserer französischen Partei. Dasselbe müssen unsere deutschen Genossen machen, um die Gefahr der Rechten und Versöhnler zu bekämpfen. Was die Führung betrifft, will ich noch sagen, daß mir scheint, daß die Leitung im Lande verstärkt werden muß. Wir haben alle gesehen, daß die beiden Genossen,26 die vom Lande hier vertreten sind, die hier gesprochen haben, sie haben stärker gesprochen als alle anderen Genossen. Wenn sie auch nicht alle Probleme richtig stellten, doch fühlen sie, daß etwas neues in der Partei geschehen muß, wenn die Partei vorwärtsgehen soll. Wenn die Partei im Lande solche Kader hat - und die deutsche Partei hat solche Kader scheint mir, daß sie im Lande eine starke politische Führung schaffen muß. Das ist eine Aufgabe, die vor der Partei steht. Das ist eine Voraussetzung für die Durchführung der ganzen Probleme, die vor der Kommunistischen Partei stehen und die wir jetzt diskutieren.ZPA SED, 16/3/108, Bl. 36-53. Nach dem maschinengeschriebenen und von Togliatti korrigierten Text.Dokument Nr. 2RESOLUTION DES POLITSEKRETARIATS DES EKKI \"ÜBER DIE SEKTIERERISCHEN FEHLER DER KPD\" VOM 19. JANUAR 1935Das Wachstum der politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten der faschistischen Diktatur einerseits, die Verschärfung der Widersprüche in den Reihen der herrschenden Klassen und die Schwächung des Einflusses der faschistischen (nationalsozialistischen) Partei in den Massen, ganz besonders nach dem 30. Juni 1934, andererseits, der wachsende Widerstand der Arbeitermassen gegen die faschistische Offensive auf ihre Lebenshaltung, die Gärung und Unzufriedenheit der Bauern und der städtischen Mittelschichten sowie die ersten Äußerungen offener antifaschistischer Aktionen in der Stadt und auf dem Lande - dies alles schafft in Deutschland mit jedem Tage eine immer günstigere Situation zur Organisierung einer breiten antifaschistischen Volksbewegung gegen die faschistische Diktatur. Nach den Ereignissen des 30. Juni 1934, die eine erste ernste Erschütterung der faschistischen Diktatur darstellten, erörterte das EKKI-Präsidium die Lage in Deutschland und gab klare Anweisungen über die Notwendigkeit, unverzüglich eine breite Entfaltung der Massenarbeit in allen faschistischen Organisationen, in deren Reihen Arbeiter stehen, sowie unter den Bauern und den städtischen Mittelschichten, zugleich auch unter den oppositionellen SA-Leuten in Angriff zu nehmen und sie zum Kampf gegen die faschistische Diktatur, zur Verteidigung ihrer täglichen Bedürfnisse aufzurütteln. Zur selben Zeit stellte das EKKI- Präsidium, mit Beteiligung und in vollem Einverständnis mit vier (von sieben)27 Mitgliedern des Polbüros der KPD,26 Von der Landesleitung nahm Bruno Baum (1910-1971) und von der Berliner Bezirksleitung wahrscheinlich Alfred Voß ( 1903- ?) an der Beratung teil.27 Bei den genannten Diskussionen im Sommer 1934 war offensichtlich auch Fritz Heckert, der damals Vertreter der KPD beim EKKI in Moskau war, anwesend. E. Lewin: Kursänderung in der KPDJHKl993 185als wichtigste Aufgaben der KPD auf, den Kampf um die breite Einheitsfront mit den sozialdemokratischen Massen, darunter auch durch Vorschläge an alle zu jener Zeit bestehenden sozialdemokratischen Gruppen sowie den Kampf um die Wiederherstellung der Freien Gewerkschaften unter Zusammenwirken mit den alten reformistischen Gewerkschaftlern werkschaftlern, die bereit sind, mit den Kommunisten gemeinsam gegen den Faschismus zu kämpfen, um für die Abwehr des gegen die dringendsten Interessen der Massen vorstoßenden stoßenden Faschismus eine breite Massenbewegung zu organisieren. Anstatt jedoch die Gesamtpartei zur Erfüllung dieser überaus wichtigen Aufgaben zu mobilisieren, beschränkte schränkte sich das Polbüro der KPD auf die Fassung einer Resolution (1. August), entfaltete aber keinen wahren Kampf um die Durchführung der gemeinsam mit seinen Vertretern angenommenen EKKI-Beschlüsse. Die Mehrheit des Polbüros (Richter28 und andere) aber rutschte dabei selber zum Sektierertum und linkem \"Doktrinärtum\" ab, anstatt einen entschlossenen Kampf in den Reihen der Partei gegen diese Abweichungen zu führen, die ein Hindernis für die Entfaltung des Kampfes um die Massen, um die Einheitsfront heitsfront, um die Wiederherstellung der Freien Gewerkschaften sind. Das führte dazu, daß der günstigste Moment für die Herstellung der Einheitsfront mit den sozialdemokratischen Gruppen und für die Wiederherstellung der Freien Gewerkschaften verpaßt war und die Sozialdemokratie ein zentralisiertes Organisationsnetz wieder aufbauen konnte, während ein innerer Gruppenkampf in der Leitung der KPD auf die Arbeit der KPD abschwächend schwächend wirkte. Nach gemeinsamer Erörterung mit dem Polbüro, Vertretern der Landesleitung, der Berliner Organisation der KPD und Vertretern des KJVD der in der KPD-Leitung entstandenen Lage beschlieBt das Politsekretariat des EKKI:1. Das ZK der KPD wird verpflichtet, in den Reihen der ganzen Stufenleiter der Gesamtpartei samtpartei einen entschlossenen Kampf gegen das Sektierertum und das linke \"Doktrinärtum\" zu beginnen, dabei die konkreten Erscheinungsformen des Sektierertums aufzudecken decken und die ganze Partei für die tatsächliche Durchführung der taktischen Linie der KI im Kampf um die breiten Massen, mittels Anwendung der Einheitsfronttaktik, zu mobilisieren und zugleich den Kampf gegen die rechten Opportunisten (\"Versöhnler\") zu führen, die die sektiererischen Fehler führender Parteigenossen zu ihren parteifeindlichen Zwecken ausnutzen wollen.2. Das ZK der KPD wird verpflichtet, in breitem Maßstab die Taktik der Einheitsfront mit allen sozialdemokratischen Gruppen und Organisationen zur Organisierung des Kampfes gegen das faschistische Regime auf dem Boden konkreter Tagesforderungen der Arbeitermassen zu entfalten, wobei auch Vorschläge an das Prager ZK unter passenden Bedingungen und in passender Form nicht ausgeschlossen sind; jede Erklärung linker sozialdemokratischer Führer über ihre Bereitschaft zur Einheitsfront mit den Kommunisten munisten ist auszunützen, um sie entweder zu einer wirklichen Einheitsfront zu zwingen oder sie vor den Massen als Gegner der Kampfeinheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus schismus zu entlarven, um diese Erklärungen der linken Führer auszunützen zur Herstellung der Einheitsfront mit den sozialdemokratischen Gruppen im Lande, auf welche diese Führer Einfluß haben.3. Das ZK der KPD wird verpflichtet, in breitem Maßstab den Kampf um die Wiederherstellung der Freien Gewerkschaften zu entfalten. Die KPD muß sich dabei auf den Organisationswillen der ehemaligen Mitglieder dieser Gewerkschaften, darunter auch der Funktionäre, die heute den Klassenkampf wollen, stützen. Die Partei muß energisch28 Max Richter war der Deckname für Hermann Schubert. 186 JHK 1993Dokumentationeiner solchen Stimmung entgegentreten, als ob der Wiederaufbau der Freien Gewerk­ schaften allein mit den Kräften der RGO gelöst werden könnte. Die bürokratischen Be­ zirksleitungen der RGO, die ein Hindernis für den Kampf um die Wiederherstellung der Freien Gewerkschaften sind, müssen aufgelöst und die RGO- und roten Gewerkschafts­ gruppen in die wiederhergestellten Freien Gewerkschaftsorganisationen überführt wer­ den.4. Das ZK der KPD wird verpflichtet, die Werbung von KPD-Mitgliedern aus den Reihen der ehemaligen Sozialdemokraten zu verstärken, darf jedoch diese Werbung nicht anstelle der Masseneinheitsfront setzen. Gegen die Sozialdemokratie, darunter auch gegen die Einstellungen ihres linken Flügels, ist eine ständige breite, theoretisch und taktisch gut fundierte Aufklärungskampagne zu führen.5. Das ZK der KPD wird angewiesen, die Frage der Wege und Möglichkeiten der Or­ ganisierung einer breiten antifaschistischen Volksfront zu erörtern, die nicht nur kom­ munistische und sozialdemokratische, sondern auch katholische Arbeiter sowie Bauern, unzufriedene Elemente der städtischen Mittelschichten und Intellektuellen, kurz alle diejenigen erfaßt, die bereit sind, gegen die faschistische Diktatur zu kämpfen. Die Lo­ sung dieser Volksfront muß lauten: Ein Feind - die faschistische Bourgeoisie. Ein Ziel Sturz der faschistischen Diktatur durch den revolutionären Kampf der Massen. Die KPD, die als Führer und Organisator der ganzen Arbeiterklasse auftritt, muß die Arbei­ termassen von einfachen, elementaren, ihrer Form und ihren Losungen nach dem gege­ benen Verhältnis der Klassenkräfte entsprechenden Aktionen zu immer höheren Formen des Klassenkampfes, zum entschlossenen Kampf gegen die faschistische Diktatur em­ porheben. Indem die KPD als Organisator und Führer des Kampfes der proletarischen Massen um die Diktatur des Proletariats, um Rätedeutschland auftritt, muß sie alle Anti­ faschisten mobilisieren, auch als Führerin des Befreiungskampfes des ganzen Volkes vom Hitlerjoch auftreten. Die KPD muß die Bauern und die städtischen Mittelschichten davon überzeugen, daß die von ihr vorbereitete proletarische Revolution dem ganzen Volke Befreiung bringt, daß sie die einzige, die wahre, die Volksrevolution ist. Daher antifaschistische Volksfront zur Volksrevolution, deren erstes und nächstes Ziel der Sturz der faschistischen Diktatur ist. Das Politsekretariat verpflichtet das Polbüro der KPD, auf dem Boden dieser Direktiven seine Resolution auszuarbeiten und sie dem EKKI-Präsi­ dium vorzulegen. Die Vorbereitung der Parteikonferenz in den Organisationen der Partei muß breitest zur Überwindung der sektiererischen Fehler ausgenutzt werden.ZPA SED, I 6/10/37, Bl. 47-50. Nach dem maschinengeschriebenen Text.

Inhalt – JHK 1993

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