JHK 1993

Zur Einführung

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 9-10

Autor/in: Die Herausgeber

Die revolutionären Umbrüche in Mittel-, Ost- und Südosteuropa 1989/90 und der durch sie eingeleitete Kollaps der kommunistischen Regime im Herrschaftsbereich der ehemaligen Sowjetunion markieren nach 1917 und 1945 eine der weltpolitisch und historisch wichtigsten Zäsuren des 20. Jahrhunderts. Dies gibt besonderen Anlaß, einen kritischen Blick auf die Vergangenheit kommunistischer Herrschaft und ihre Hauptträgerinnen, die \"Parteien neuen Typs\", zu werfen.Wesentliche Momente ihrer Geschichte und damit zentrale Themen der historischen Kommunismusforschung sind: die Machtergreifung und -sicherung der Bolschewiki seit 1917 in Rußland, die Entstehung kommunistischer Parteien im Europa der Zwischenkriegszeit, ihr Verhältnis zur \"Mutterpartei\" in der Sowjetunion sowie dessen Institutionalisierung in der Komintern (und später bedingt im Kominform), die Stalinisierung der KPR(B)/KPdSU und der internationalen kommunistischen Bewegung sowie die stalinistischen \"Säuberungen\" zunächst in der UdSSR selbst (denen jedoch nicht nur sowjetische Kommunisten, sondern auch dorthin aus ganz Europa geflüchtete zum Opfer fielen). In den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren sind es insbesondere die Prozesse der Machtergreifung und -konsolidierung in den Staaten Ost-, Südost- und Mitteleuropas sowie die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Moskau und den sogenannten Volksdemokratien, speziell im Umfeld der Krisenjahre 1953 (CSR/DDR), 1956 (Polen/Ungarn), 1968 (CSSR), 1970 und 1980 (Polen). Von ähnlicher Bedeutung waren die Beziehungen zwischen der KPdSU und den kommunistischen Parteien in West- und Südeuropa im Zeichen von Kaltem Krieg, Entspannung und \"Eurokommunismus\" sowie schließlich die durch die Reformpolitik Gorbatschows seit 1985 eingeleitete und von den Entwicklungen in Ungarn und Polen beschleunigte Erosion der kommunistischen Herrschaftssysteme.Die Analyse-Ebenen sind so zahlreich wie differenziert. Zu ihnen gehören neben Personal- und Organisationsstrukturen auch Aufbau und der Wirkungsweise spezieller Herrschaftsinstrumente in den Parteien, den politischen Systemen einzelner Länder oder in internationalen Organisationen. Von Interesse sind aber ebenso das Neben- und Gegeneinander von Massenrepression, Massenmobilisierung und (begrenzten) Mitwirkungsrechten in den \"realsozialistischen\" Ländern und ihre Bedeutung für deren politische Kultur oder die Rolle der Herrschaftssysteme bei der Wahrnehmung und Steuerung von Modernisierungsprozessen.Eine intensive Aufarbeitung auch dieser Momente der Kommunismusgeschichte ist seit der (Teil-) Öffnung der Archive in den ehemals kommunistisch regierten Ländern nun möglich; und sicher wird die neue Quellenlage auch eine Reihe ganz neuer Fragen 10 JHK 1993Zur Einführungaufwerfen. Dies wird die wissenschaftliche Diskussion anregen, und das wiederum scheint denn auch geboten angesichts der Liberalisierung und Pluralisierung der ost-, südost- und mitteleuropäischen Wissenschaftslandschaft. Sie hat nicht nur die Kommunikation zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in West und Ost erleichtert, sondern fordert auch zur Kooperation heraus.Nicht daß die Geschichte kommunistischer Systeme und Parteien bislang von der Historiographie vernachlässigt worden wäre, die Ergebnisse der Kommunismusforschung standen jedoch entweder unter dem Vorbehalt der oftmals nur schmalen Quellenbasis das galt in aller Regel für die westliche Forschung - oder sie waren dem zumeist begründeten Verdacht ausgesetzt, vor allem der Legitimation des Anspruchs oder der Herrschaft der eigenen Partei zu dienen.Nun ist eine gründliche, quellengestützte Aufarbeitung der zahlreichen Forschungsfelder eine Aufgabe, die weder von Sachkundigen eines Landes noch etwa gar eines einzelnen Instituts geleistet werden kann. Nur die planvolle internationale Zusammenarbeit und der regelmäßige Meinungsaustausch einer möglichst großen Zahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern läßt Erfolge erwarten. Der jetzt erstmals vorgelegte Band des Jahrbuchs für Historische Kommunismusforschung soll hierzu einen Beitrag leisten. Es versteht sich als ein regelmäßiges Forum, auf dem aktuelle Erträge der Forschung und Dokumente präsentiert, neu erschlossene Archivbestände und Projekte bekanntgemacht, Forschungskontroversen ausgetragen und Neuerscheinungen kritisch gewürdigt werden können.Insbesondere das Ziel der Herausgeber, mit diesem Periodikum das Zusammenwirken der internationalen Kommunisforschung zu fördern, wird von den Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirates geteilt. Sie haben sich bereit erklärt, das Vorhaben mit kritischem Sachverstand zu begleiten. Ihnen gilt ebenso unser Dank wie dem Akademie Verlag (namentlich Thomas Egel und Otto Matthies) für die Bereitschaft, das Jahrbuch in sein Programm aufzunehmen.Dank schulden wir auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arbeitsbereichs DDR-Geschichte im Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES): Carsten Tessmer für die redaktionelle Betreuung dieser Ausgabe, Ralf Eicher für das mit Unterstützung durch Marlene Alle (MZES) gefundene Layout sowie Edith Reinhardt, Jens Walter und Stefan Wortmann, die halfen, druckreife Manuskripte anzufertigen.Nicht zuletzt bedanken wir uns bei der Universität Mannheim, die den Start dieses Unternehmens gefördert hat.Mannheim, im Juni 1993Die HerausgeberDie Redaktion weist darauf hin, daß sie sich außerstande sieht, die zahlreichen in- und ausländischen Transliterations- und Transkriptionssysteme zu vereinheitlichen.

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